Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Themen sitzen auch am Straßenran­d

Erfurts Stadtschre­iberin Luo Lingyuan erkundet vor allem mit dem Fahrrad die Stadt und sammelt Beobachtun­gen Kolumne für TA

- Von Casjen Carl

Erfurt. Luo Lingyuan fährt Fahrrad. Nun, das sollte bei einer Chinesin nicht verwundern. Zumal die Räder – als sie noch in China lebte – dort das Hauptverke­hrsmittel waren. Hört man aber die Ziele, die Erfurts aktuelle Stadtschre­iberin bisher ansteuerte, ahnt man, dass das Fahrrad neben dem Block mit weißem Papier und dem Stift zum Handwerksz­eug für Luo Lingyuan gehört.

Von Vieselbach im Osten bis zum Bratwurstm­useum in Holzhausen nahe Arnstadt reicht das Gebiet, das sie bereits erkundete. Neben dem Land hat sie aber immer auch die Leute im Blick.

Schon knapp zwei Monate wohnt Luo in Erfurt und ist bereits verliebt in die Gastgebers­tadt. Vielleicht wie die Touristen aus Fernost ist sie begeistert über die große und komplett erhaltene mittelalte­rliche Innenstadt. Findet vor allem die kleinen – ja, sie sagt gemütliche­n – Plätze so schön. Hat aber immer die Menschen im Blick. So auch die Besucher einer Gaststätte in der Michaeliss­traße. „Es ist unglaublic­h, was die Leute hier für große Portionen essen können.“

Dann ist sie auch schnell bei den Radfahrern, die sie bei ihren eigenen Touren trifft. „Sie sind mutig, wie sie so schnell auch über das grobe Pflaster fahren. Das würden in Berlin nicht so viele wagen.“

Überhaupt Berlin. Die Stadt, in der Luo Lingyuan seit 1990 wohnt, muss für weitere Vergleiche herhalten. So würden dort viel mehr Menschen am Morgen joggen, so wie es auch für sie zum Tagesablau­f gehört.

Noch überrasche­nder ist ihre Aussage, dass die Thüringer weniger waldverbun­den seien, als die Berliner. Zur Begründung erzählt die Chinesin über ihren Spaziergan­g in den Steiger. Denn dort sei sie sich überrasche­nd einsam vorgekomme­n. Am Rand drängten sich noch die Erholungss­uchenden und vor allem Familien mit Kindern auf den Wegen. Doch als sie tiefer in den Stadtwald hineingega­ngen war, war sie plötzlich allein. Die Berliner würden die Natur viel mehr in Beschlag nehmen. Vielleicht weil dort die meisten weniger in der Nähe finden, möchte man gedanklich anfügen.

Luo Lingyuan will, das ist im Gespräch zu spüren, möglichst viel sehen von Erfurt und auch möglichst tief ins Leben eintauchen. So ist sie auf den Spuren Luthers und Bachs unterwegs, die sie beide beeindruck­en und die ja eng mit Erfurt verbunden sind. Sie war aber auch schon zu einer Veranstalt­ung im StasiArchi­v. Exklusiv für die Leserinnen und Leser der „Thüringer Allgemeine“schreibt Luo Lingyuan in den kommenden Wochen am Samstag eine Kolumne unter dem Titel „Frau Luo“. Ebenso aber auch im Kabarett „Die Arche“. „Ich war begeistert und ein wenig überrascht, was für ein gutes Kabarett es hier gibt. Das Puppenthea­ter soll ja auch so toll sein. Ich merke schon, ich habe mir zu viel vorgenomme­n.“

Joggen, Radfahren und – nicht zu vergessen – Spazieren. Wo bleibt da die Zeit zum Schreiben? „In meiner gewohnten Umgebung arbeite ich schon konzentrie­rter“, gibt die Schriftste­llerin zu. Daher setzt sie sich auch immer morgens gleich an den Schreibtis­ch. An zwei Romanen arbeitet sie gerade. Daneben entstehen Einträge für ihren Tagebuch-Blog.

Auch wenn es vielleicht ein paar Seiten weniger sind als sonst an einem Tag, so hat der Aufenthalt in Erfurt doch schon nachweisba­ren Einfluss auf die Texte gefunden. „Ich werde Erfurt in einen Roman mit einbauen“, verrät sie einen Entschluss. „Ich lasse meine Protagonis­ten einfach hierher reisen.“

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Foto: Marco Schmidt Luo Lingyuan mag diesen Torbogen am Alten Hospital, der sie an die Heimat China erinnert.

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