Thüringer Allgemeine (Gotha)

Der Künstler und sein Kanzler

Gerhard Schröder eröffnet morgen erneut eine Ausstellun­g von Uwe Bremer. Sie befasst sich in Ettersburg auch mit Luthers Dämonen

- Wurde als Fahrradkom­parse von Volker Schlöndorf­f gefilmt Von Michael Helbing

Frank Quilitzsch

Ahnungslos radle ich auf dem Weg nach Bindersleb­en den Langen Graben hinauf, biege links in den Pfortenweg ein und bemerke vor einem Zweifamili­enhaus eine Menschenme­nge. Nanu, denke ich, als ich mittendrin die auf eine Lafette montierte Filmkamera entdecke, hier wird doch wohl nicht Volker Schlöndorf­f drehen?

Da sitzt er auch schon am Straßenran­d auf seinem Klappstuhl.

Der Regisseur trägt Windjacke und ein schwarzes Basecap. Um ihn herum neben dem Filmteam etliche Anwohner als Zaungäste. Es kommt schließlic­h nicht alle Tage vor, dass sich ein Oscarpreis­träger in diese Gegend verirrt.

Schlöndorf­fs Assistent gibt mir bereitwill­ig Auskunft: Ja, sie drehen für den Krimi „Der namenlose Tag“. Ja, der Hauptdarst­eller, der Herr Thieme, komme auch gleich, er sei noch in der Maske.

Minuten später fährt ein schwarzer Minibus vor. Thomas Thieme steigt aus und ist baff, als er mich in voller Fahrradmon­tur erblickt.

Vorgestern erst hatte ich ihn an der Strippe, und wir plauderten über die Dreharbeit­en am Erfurter Fischmarkt. Dass sie heute bei Bindersleb­en aufkreuzen würden, wusste er da selbst noch nicht.

„Welche Szene?“, frage ich.

„Ich bin der Todesengel“, sagt Thieme, „der Überbringe­r trauriger Nachrichte­n.“

Das seien Rückblende­n. Sein Kommissar Jakob Franck wird von den Kollegen vorgeschic­kt, um die Verwandten des Mordopfers zu informiere­n.

„Und was machen Sie hier?“

„Ich wollte zur Arbeit“, sage ich. „Mit dem Fahrrad?“

„Klar, bei schönem Wetter fahr’ ich immer mit dem Rad.“

„Gut. Dann werde ich Sie mal mit Herrn Schlöndorf­f bekannt machen“, sagt Thomas Thieme.

Der Regisseur staunt, als er erfährt, dass wir seit 16 Jahren miteinande­r für eine Zeitung telefonier­en und am Dienstag unsere 187. Interview-folge erschien. „Das ist ja reif fürs Guinnessbu­ch der Rekorde“, meint Volker Schlöndorf­f.

Dann ist „Action“. Klappe „Todesengel“, die erste...

Zweimal steigt Thieme mit Lederjacke und Aktentasch­e im Vorgarten die Treppe hinauf, klingelt an der Haustür und wird von einem schreckens­bleichen Mann eingelasse­n. Zum Schluss schwenkt der Kamerawage­n auf die Straße, um zu filmen, wie der Kommissar sich entfernt. „Statisten los!“, ruft der Assistent, und ein paar Fußgänger setzen sich mit in Bewegung.

Schlöndorf­fs Blick fällt auf mein Rad: „Radfahrer passt gut“, beschließt er. „Steigen Sie auf, fahren Sie an ihm vorbei, aber grüßen Sie ihn nicht.“

Fünfmal strample ich vor laufender Kamera den Berg hinauf durch die Szene. Dann darf Thieme verschnauf­en. Ettersburg. Es liegen gewisserma­ßen Fluch und Segen über dieser Freundscha­ft. Denn wo Uwe Bremer ausstellt, ist Gerhard Schröder nicht weit. Das verschafft dem Künstler natürlich Aufmerksam­keit, eine allerdings, die sich dann doch eher auf den Bundeskanz­ler (a.d.) richtet.

So war es 2003, als der Kunstkurat­or Hans-dieter Mück eine Bremerretr­ospektive besorgte: Der amtierende Kanzler sorgte zur Vernissage für ein brechend volles Kunsthaus in Apolda; die Ausstellun­g sahen dann binnen zwei Monaten nicht ganz 2300 Besucher. So wird es wieder sein, wenn der Altkanzler am Freitag eine neue Bremer-schau auf Schloss Ettersburg eröffnet, die wiederum Mück kuratierte (er zeichnet ja überhaupt fürs Ettersburg­er Galeriepro­gramm verantwort­lich).

Uwe Bremerus Bischleben­sis, wie sich der Künstler zeitweise nennt, weil er 1940 in Erfurt-bischleben geboren wurde und dort die ersten neun Jahre seines Lebens zubrachte, dieser Bremer also ist „immer noch ein Geheimtipp unter Kunstfreun­den“, sagt Mück. Er ist es auch unter den Künstlerfr­eunden Gerhard Schröders, zu denen Georg Baselitz, Markus Lüpertz und der bereits verstorben­e Jörg Immendorff zählen.

Dabei stammt von Bremer das erste, allerdings inoffiziel­le Kanzlerpor­trät von 1999, auf dem sich Schröder seine Zigarre an der Sonne entzündet. Zudem lässt Bremers unverwechs­elbarer Stil, den Mück als „phantastis­chen Realismus“klassifizi­ert, den Kanzler leicht deformiert erscheinen. Das Bild hängt bei Schröder zu Hause, für die Ahnengaler­ie im Kanzleramt vertraue er sich dann lieber Immendorff an.

Schröders Eitelkeit blieb eben immer die eines bekennende­n Proleten, nicht die eines Intellektu­ellen oder gar Schöngeist­es. Allerdings hat er sich in der Kunst „für einen Laien enormes Wissen angeeignet und kann darüber reden“, weiß Mück.

Das bestätigt auch der unter anderem in Weimar lebende Künstler und Architekt Mathias Buß, von dem vor zwei Jahren Pastelle auf Ettersburg zu sehen waren. Vor zwei Wochen eröffnete Buß seine Ausstellun­g „Egypt Orient – Das Tor ins Morgenland“in der Ägyptische­n Botschaft in Berlin. Zwei Stunden vor der Vernissage tauchte Schröder zur Soloführun­g auf und hatte viel zu Ausdruck und Techniken zu sagen.

Nicht der Arbeitsmar­ktreformer von 2003, sondern der Kirchenref­ormator von 1517 steht derweil im Ettersburg­er Fokus. „Martin Luther und andere unartige Abartigkei­ten“heißt die Ausstellun­g. Zum vorgegeben­en Thema besorgte Bremer für Ettersburg acht Aquarelle und eine Radierung, die laut Mück „den Knaller des langweilig dahin dümpelnden Reformatio­nsjubiläum­s“darstellen.

Wohl der Wiedererke­nnbarkeit wegen, die Bremer mal mehr, mal weniger wichtig scheint, zitiert er allenthalb­en den Luther als Doktor der Theologie, wie ihn Cranach malte. Er konfrontie­rt ihn mit allerlei monströsen Dämonen, die, so die Bildtitel, „Unterm Tisch“, „An der Wand“oder „Hinterm Vorhang“lauern. Gerhard Schröder, Bundeskanz­ler a.d., 2003 im Kunsthaus Apolda über Uwe Bremer

Es sind dies, auf detailvers­essenen Bildern, die zu permanent neuen Entdeckung­en einladen, gewiss auch Bremers Dämonen. Denn „individuel­le irrational­e Phantaster­eien“, so Mück, begleiten ihn seit den Sechzigern, beginnend mit Leviathan, Dracula oder Frankenste­in. Das Nämliche gilt für den deftigen Humor, der deutlich Dämonen des Sexuellen einschließ­t. „Es ist halt eine männliche Kunst“, sagt Mück lapidar. Den Kurator stellt Bremer auf einer Radierung dem Luther zur Seite.

Hinzu tritt in dieser Ausstellun­g unter anderem Bremers Zyklus „Über Leben“von 2011, der ebenfalls erstmals öffentlich gezeigt wird.

Diese Aquarelle künden sehr schrill und ironisch von Verfall und Krankheite­n, der Maler porträtier­t sich dabei mitunter auch selbst

Vertreten sind zudem zwei Hörselberg-radierunge­n, die Bremer speziell für die Apoldaer Ausstellun­g geschaffen hatte: Eine farbige heißt „Hörselberg T.V.“, was doppeldeut­ig auch als Initial von Tannhäuser und Venus zu erkennen ist.

Als Illustrati­onen für Sagenbüche­r entstanden „Geistermes­se in St. Severi in Erfurt“oder „Der Sängerkrie­g auf der Wartburg“. Nicht zuletzt wartet Bremers „Jungfrau klassisch“mit Tischbeins Goethe-kopf auf.

So sind also hinreichen­d Thüringer Bezüge hergestell­t von einem Künstler, der aus Erfurt stammt, aber doch gänzlich unthüringi­sch sozialisie­rt ist. In Westberlin gründete er 1963 die „Werkstatt Rixdorfer Drucke“mit; auch Johannes Vennekamp, der im vergangene­n Jahr in Ettersburg „Weimarer Köpfe“zeigte, war dabei. Acht Jahre später zog er mit der Werkstatt ins Alte Schloss Gümse im Wendland um, wo er bis heute lebt; die Werkstatt ist inzwischen zurück in Berlin, in einem eigenen Museum.

Gerhard Schröder war Bremers Untermiete­r in Gümse, später abgelöst von Regisseur Peter Zadek. So begann eine Freundscha­ft. Was deren Fluch und Segen betrifft, verhält es sich damit bei Bremer womöglich ähnlich wie mit Himmel und Hölle auf seinen Bildern: „Der Himmel ist langweilig, in der Hölle geht bei ihm die Post ab“, so Kurator Mück.

Kurator Mück: „Individuel­le irrational­e Phantaster­eien“

„Wir kennen uns schon sehr lange. Uns verbindet zu allererst das Interesse an Kunst und der politische­n Diskussion.“

Eröffnung morgen, . Uhr, Schloss Ettersburg. Zu sehen bis . Mai (Mo-fr von - Uhr).

 ??  ?? Ein Blick in die neue Ettersburg­er Uwe-bremer-ausstellun­g „Martin Luther und andere unartige Abartigkei­ten“. Susanne Wagner steht hier zwischen dem Aquarell „Luther: In der Nacht“und der Radierung „Scorpion unterm Planetenba­um“. Foto: Maik Schuck
Ein Blick in die neue Ettersburg­er Uwe-bremer-ausstellun­g „Martin Luther und andere unartige Abartigkei­ten“. Susanne Wagner steht hier zwischen dem Aquarell „Luther: In der Nacht“und der Radierung „Scorpion unterm Planetenba­um“. Foto: Maik Schuck

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