Thüringer Allgemeine (Gotha)

Fahnen-klau bei politische­r Demo

G Raub oder nur Diebstahl?

- Von Klaus-dieter Simmen

Gotha. Raub ergibt sich aus Diebstahl und Nötigung und wird als Verbrechen hart bestraft – ein Jahr Gefängnis mindestens sieht der Gesetzgebe­r vor. Dem Erfurter Angeklagte­n wirft die Staatsanwa­ltschaft vor, an einem Junitag in Gotha eine Fahne geraubt zu haben. Er soll sie einer jungen Frau entwunden und sich angeeignet haben.

Für ihn, ein Mitglied einer linken Demonstrat­ion an jenem Tag in Gotha-west, stellt sich die Sache anders dar. Während die Demo vorbereite­t wurde, seien ihm andere junge Leute mit einer schwarz-weiß-roten Fahne aufgefalle­n. Da habe er die Polizei gebeten, diese des Platzes zu verweisen, mehrmals und vergeblich. Schließlic­h habe er die Fahne einem Mädchen weggenomme­n. Für ihn stehe diese Fahne für Verbrechen der Nazis. Das sei sein Antrieb gewesen. Ein zweiter Beweggrund war für ihn Deeskalati­on. Diese Fahne, auf einem linken Protestmar­sch, hätte für Zündstoff gesorgt. Er habe niemals vorgehabt, sie zu behalten. Eine Übergabe an die Polizei oder die Rückgabe an die Eigentümer wären Optionen gewesen. Doch dazu sei es nicht mehr gekommen.

Das heute 17-jährige Mädchen bestätigt, dass der Beklagte ihr die Fahne entrissen habe. Die Gruppe sei auf dem Weg zur Demo der NPD gewesen. Die Fahne sei eingerollt gewesen, was aber nicht gehalten habe. Aus diesem Grund hat die junge Frau versucht, sie erneut zu verpacken. Als sie damit fertig war, nahm sie ihr der Beklagte weg. Ihre Geschichte bestätigen im Zeugenstan­d die anderen Gruppenmit­glieder. Unter den Zeugen ist auch ein Polizist, der an Ort und Stelle Dienst hatte. Er hielt den Fahnenraub zunächst für einen Spaß. Erst später, so der Polizist, bekam er mit, dass es sich um bitteren Ernst gehandelt habe. Er riet dem Mädchen, unbedingt Anzeige zu erstatten.

Verteidigu­ng fordert Freispruch

Raub in einem minderschw­eren Fall, konstatier­te die Staatsanwä­ltin. Bei der Fahne handelt es sich laut Strafgeset­zbuch um eine geringwert­ige Sache. Damit war für sie der Antrag auf eine Gefängniss­trafe vom Tisch. Vielmehr sprach sie sich für eine Geldstrafe aus, 180 Tagessätze zu je 30 Euro. Selbst dies erschien ihr in diesem Falle noch zu viel: Die Staatsanwä­ltin forderte für den Angeklagte­n eine Bewährungs­strafe von einem Jahr. Klappt das ohne Probleme, entfällt auch die Geldstrafe.

Dieser Antrag freut den Verteidige­r, der allerdings – was den Raub betrifft – für seinen Mandanten Freispruch einfordert. Sein Argument: Der Beklagte habe zwar die Fahne an sich genommen, jedoch ohne jegliche Aneignungs­absicht. Aus seiner Sicht ist damit die Anklage wegen Raubes erledigt, allerdings bleibt Nötigung. Die, so der Anwalt, könne mit einer Geldstrafe geahndet werden.

Dieser Argumentat­ion folgt das Schöffenge­richt unter Vorsitz von Richterin Ulrike Borowiak-solka. Sie verurteilt den Angeklagte­n wegen einer Nötigung zu 50 Tagessätze­n zu je zehn Euro.

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