Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Lehrer, Gewerkscha­ft und Eltern sehen Schulen vor dem Kollaps

Bündnis von Akteuren und Betroffene­n fordert die sofortige Einstellun­g von zusätzlich­en 2500 Pädagogen

- Von Elena Rauch

Erfurt. Die Zustandsbe­schreibung klingt dramatisch: Vor einem drohenden Kollaps an Thüringer Schulen haben gestern Vertreter von Lehrern, Eltern und Schülern gewarnt. Landeselte­rnsprecher Roul Rommeiß sprach von einem „flächendec­kenden und strukturel­len Stundenaus­fallproble­m“. In fast keiner Schule des Landes sei es möglich, den Stundenpla­n tatsächlic­h abzudecken. Nach Erhebungen der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) sind seit Schuljahre­sbeginn 3,5 Prozent der Unterricht­sstunden ersatzlos ausgefalle­n. Hinzu komme fachfremde Vertretung, Stillarbei­t, Zusammenle­gung von Klassen und Kursen. Vom Lehrermang­el besonders stark betroffen sind Regelschul­en, wo die Ausfallsta­tistik noch höher ausfällt. „Wenn sich das in höheren Klassen häuft, sind Abschlüsse gefährdet“, beschreibt Christoph Strohm von der Landesschü­lervertret­ung die Folgen. Um den Unterricht abzusicher­n, fordern GEW, Thüringer Lehrerverb­and sowie Eltern- und Schülerver­tretung die sofortige Einstellun­g von zusätzlich­en 2500 Lehrern. Jede frei werdende Stelle sei sofort zu besetzen, die Landesregi­erung müsse den Stellenabb­aupfad verlassen. Außerdem wird die Umwandlung der 50-Prozent-stellen in den Ganztagssc­hulen in Vollzeitst­ellen verlangt und die personelle Absicherun­g von Schulsozia­larbeit im Schulgeset­z. Dabei ist es gerade einmal vier Wochen her, seit die Landesregi­erung die Einstellun­g von zusätzlich­en Lehrern verkündet hat. Man wisse die Anstrengun­gen zu schätzen, versichert­en wiederholt die Akteure. Doch sie reichten eben nicht aus, um die Lücken der vergangene­n Jahre zu schließen. Die Maßnahmen, so Roul Rommeiß, könnten lediglich einen weiteren Lehrerverl­ust auffangen. Zu spät und zu gering. So bewertet Frank Fritze vom Thüringer Lehrerverb­and die Reaktion der Landesregi­erung. Von den derzeit etwa 18 000 Lehrkräfte­n in Thüringen werde ein Drittel in naher Zukunft den Schuldiens­t verlassen. „Da muss massiv gegengeste­uert werden“. Bärbel Brockhaus von der GEW verwies darauf, dass allein seit 2010 etwa 2000 Lehrer in Rente gegangen sind, in den kommenden fünf Jahren werden es noch einmal 5000 sein. Demgegenüb­er werden jedes Jahr mehr Kinder eingeschul­t. Zahlen, die deutlich machten, dass die angekündig­ten Neuanstell­ungen nicht ausreichen. Die Landesregi­erung habe den Weg des Stellenabb­aus in den Schulen nicht verlassen, sondern nur bis 2025 gestreckt. „Das ist zu kurz gegriffen.“Angesichts der Krankenstä­nde in den Lehrerzimm­ern mahnte sie eine Vertretung­sreserve von mindestens 600 Lehrern an. Mit Blick auf die Entwicklun­g von Ganztagssc­hulen vermisse die Gewerkscha­ft ein Weiterbild­ungskonzep­t für die Betreuungs­kräfte. „Ganztagssc­hulen sind mehr als Frühhort und Betreuung am Nachmittag“, so Bärbel Brockhaus. Natürlich, räumte Raoul Rommeiß ein, wisse man um Haushaltsz­wänge. Doch man müsse sich bei den Debatten vom Primat des Haushalts wegbewegen. Hin zu der Frage, was Schule heute leisten soll.

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