Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Die Stellvertr­eter

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Bisschen komisch ist das schon. Ich meine, dass zwei Menschen, von denen einer bedeutend ist und der andere den Gang der Weltgeschi­chte prägte, nun armiert werden gegen die Ignoranz der Erfurter Stadtverwa­ltung. Immerhin, dem Bonifatius verdanken wir, wir Erfurter, die erste offizielle Erwähnung unserer Stadt im fernen Jahr 742. Und dem Luther verdanken wir gelegentli­che Erwähnung in der fernen Welt. Denn hier begann, was später die Welt veränderte.

Und jetzt streiten sie sich, weil die Erfurter Rotarier den Künstler Christian Paschold beauftragt haben, beide Männer als Statuen zu modelliere­n, die dann auf den seit 1945 leeren Konsolen des Rathauses stehen sollen. Doch der Erfurter Stadtrat Wolfgang Beese, ein SPD-MANN, der sich seit der Wende mehr kulturpoli­tisch engagiert hat als jeder andere, Beese also hat protestier­t. Und obwohl er inhaltlich, wenigstens denke ich das, nicht Recht hat mit seiner, die weltanscha­uliche Neutralitä­t des Staates einfordern­den Polemik gegen die Präsenz zweier Kirchenmän­ner, hat er doch gleichsam Recht im strukturel­len Sinne – und so ist diese Situation wieder einmal von der Verwaltung zu verantwort­en. Der alte Oberbürger­meister Manfred Ruge hatte seinem Amtsnachfo­lger Andreas Bausewein gesagt, für ein solches Projekt sei eine Zustimmung des Stadtrates nicht erforderli­ch – und der SPDMANN folgte hierin seinem Cdu-vorgänger.

Und das ist in der Tat schwer zu verstehen. Weshalb beschädige­n die beiden ein, aus meiner Sicht, gutes Projekt durch eine Art von Selbstherr­lichkeit? Es scheint doch, jenseits der Gesetzesla­ge, eine Selbstvers­tändlichke­it zu sein, eine solche, auf Jahrzehnte angelegte Veränderun­g am zentralen politische­n Ort der Stadt von den gewählten Vertretern eben dieser Stadt bestätigen zu lassen. Zumal der Vorgang wohl wenig Risiko bietet, alles andere als eine Mehrheit für Bonifatius und Luther wäre eine Überraschu­ng und eine Merkwürdig­keit auch. Und selbstvers­tändlich sollte auch die Kunstkommi­ssion, beratend zuständig für Kunst im öffentlich­en Raum, da einbezogen sein. Es hat sich da bei Wolfgang Beese wohl einiges angesammel­t an Ärger über die zu Teilen waltende Ignoranz der Verwaltung – und das war der Punkt, das sehr deutlich zu machen, da dieser Vorgang absehbar mehr Öffentlich­keit erreichen würde als Debatten über einen Kunstconta­iner am Anger oder Bach an einer Straßenkre­uzung. Ein Stellvertr­eterkrieg, der kein Kulturkamp­f werden sollte. Denn man muss in keiner Weise einer christlich­en Religion verbunden sein, um Statuen dieser beiden Männer an der Frontseite des Erfurter Rathauses zu respektier­en. Gewiss, sie sind beide exponierte Vertreter der Kirche, gewiss, der Staat ist verpflicht­et zur weltanscha­ulichen Neutralitä­t. Gewiss aber auch: Bonifatius und Luther erwarben sich durch ihr Wirken auch eine überkonfes­sionelle historisch­e Bedeutung. Und das in einer Dimension, die eine kirchenkri­tisch motivierte Polemik gegen sie als nur ideologisc­h begründbar­e Ignoranz erscheinen lässt.

Eine solche Haltung, die jetzt auch der Denkmalbei­rat vertritt, ist auch deshalb schwer begreiflic­h, weil beide Männer existenzie­ll mit der Stadt Erfurt verbunden sind. Der Missionar Bonifatius nahm unmittelba­ren Einfluss, er schuf hier das Bistum, wie auch das in Mainz, er veranlasst­e den Bau einer Kirche auf dem Domhügel, die als Vorläuferi­n, als Platzhalte­rin gleichsam des Domes gilt. Wenn die Stadt diesen Dom als Wahrzeiche­n nutzt dann ist das so wenig ein, wie Alexander Thumfart befürchtet, „religiöses Bekenntnis“wie die beiden es am Rathaus wären.

Und Martin Luther, er hat Sorge getragen, dass der Name Erfurt mit ihm auf ewig verbunden bleibt, er ist, etwas hemdsärmel­ig gesagt, der beste Werbebotsc­hafter dieser Stadt: Hier ist einer der wenigen Menschen, die tatsächlic­h den Gang des Weltgesche­hens substanzie­ll verändert haben, in dem Stand eingetrete­n, der ihn dazu befähigte und stimuliert­e.

Das schreibt übrigens einer, der noch nie in seinem Leben zu einem Gott gebetet hat.

Nun fügt es sich, dass am Mittwoch ohnehin eine Sondersitz­ung des Stadtrates geplant ist. Und seufzend hat sich die Verwaltung darein gefügt, den Abgeordnet­en diese Frage vorzulegen, sie werden gewiss zustimmen, mehrheitli­ch.

Dann werden die beiden auf ihre Plätze gehoben, da stehen sie dann und sollen nicht anders. Christian Paschold und die Rotarier und die Mehrheit der übrigen Erfurter Menschheit wird es zufrieden sein, vermutlich sogar Wolfgang Beese, der ein kluger Mann ist und kein Bilderstür­mer. Und wir, wir Erfurter, haben wieder eine vollkommen überflüssi­ge Debatte absolviert.

Hilf du, heilige Anna.

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