Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Ein Jahrhunder­t Stadttheat­er

Nordhausen feiert zum Saisonauft­akt 2017/18 das Jubiläum einer Bühne, die mitten im Ersten Weltkrieg entstanden war

- Von Michael Helbing

Nordhausen. Daniel Klajner ist „sehr, sehr froh“. Ihm und seinem Team, sagt der Intendant, sei Nordhausen mit viel Offenheit, Warmherzig­keit und Neugierde begegnet.

Sehr froh dürfte auch das Publikum sein. Klajner beweist ihm mit seiner ersten Spielzeit bislang, dass ein Bruch mit der Ära Lars Tietjes nicht zu befürchten war. Er setzt hier und dort andere Akzente, begibt sich aber, was große Linien betrifft, in die Kontinuitä­t: Man bindet Publikum mit ansprechen­dem Programm, das niemanden überanspru­chen mag.

Klajner ist, wenn wir richtig zählen, der 17. Intendant des Hauses. Der erste hieß Julius Heydecker und eröffnete es am 29. September 1917. So hat sich dieses Theater Nordhausen einen Sonderstat­us gleich zu Beginn verschafft. Nicht nur entspringt es dem Bürgerwill­en einer Industries­tadt. Deren chronologi­sch fünfte Spielstätt­e wurde überdies mitten im Ersten Weltkrieg geboren.

Fürs Hundertjäh­rige kündigt der Intendant „ein knackiges einwöchige­s Fest“an. Zudem programmie­rt man zum Saisonauft­akt ein Shakespear­e-kleeblatt: Opernchefi­n Anette Leistensch­neider inszeniert Verdis „Otello“, Ballettche­f Ivan Alboresi choreograp­hiert Prokofjews „Romeo und Julia“, Jugendthea­ter-leiter Christian Georg Fuchs spielt eine Puppenthea­ter-adaption des „Lear“, die auf den Umstand abhebt, „wenn Opa nicht mehr ganz normal ist.“

Stefanie Hertel als Gast im Weihnachts­musical

Und GMD Michael Helmrath dirigiert im Loh-konzert auch Teile aus Mendelssoh­n Bartholdys „Sommernach­tstraum“. Wozu uns nebenbei ein flankieren­des Jubiläum einfällt: Die Fusion des Theaters mit dem Loh-orchester Sondershau­sen wird jetzt ein Vierteljah­rhundert alt.

Derweil kuratiert Museumsche­fin Susanne Hinsching die Ausstellun­g „Vorhang auf! 100 Jahre Nordhäuser Theater“in der Flohburg: in der einstigen Gasthofsch­eune, heute Stadtmuseu­m, erlebte Nordhausen 1789 mit Schillers „Räubern“die erste profession­elle Theaterauf­führung.

Unterdesse­n kehren mit Verdis „La Traviata“, die Anette Leistensch­neider bei den Schlossfes­tspielen Sondershau­sen inszeniert, und der Strauß-operette „Die Fledermaus“zwei Stücke einmal mehr auf den Spielplan zurück, die dort bereits 1919/20 standen, Nordhausen­s erster Saison mit Musiktheat­er.

Die Schlossfes­tspiele übrigens akzentuier­t Klajner neu. Sie sollen „noch glanzvolle­r werden“, sagt er, fünf statt vier Wochen beanspruch­en und „zwei große gleichwert­ige Produktion­en“anbieten: Oper und leichte Muse. Einen anderen neuen Akzent setzt man bekanntlic­h mit dem „Composer in Residence“: Christoph Ehrenfelln­er schreibt eine Ballettmus­ik zur Schiller-ballade „Die Kraniche des Ibykus“, wozu Alboresi eine Choreograf­ie entwickelt. Das Loh-orchester wird Ehrenfelln­ers erste Sinfonie uraufführe­n: eine Chorsinfon­ie zum Thema „Luther“. Klajner dirigiert.

Eine überschaub­are Herausford­erung wird wohl die Poulenc-oper „Gespräche der Karmeliter­innen“von 1957. Dafür bringt wiederum Leistensch­neider „Vom Geist der Weihnacht“auf die Bühne, Dirk Michael Steffans Familienmu­sical nach Dickens. Man sei das erste Stadttheat­er, das das Musical produziere­n dürfe, betont Intendant Klajner. Als Gast dafür kündigt man die Volksmusik­sängerin Stefanie Hertel an.

Die Opernchefi­n tritt auch als Bühnenauto­rin auf. Ihre Revue „Veronika, der Korn ist da“, eine Geschichte um eine verlassene Geliebte, spielt sich in einer Bar ab und lebt von Gassenhaue­rn der 1920er- bis 1950er-jahre. Leistensch­neider schwört, nicht zu tief ins Glas geschaut zu haben. Der Musicaldar­steller Jörg Neubauer inszeniert das allerdings in der Traditions­brennerei.

Rudolstadt­s Schauspiel gastiert mit drei Produktion­en seiner laufenden und einer seiner kommenden Saison: abgesehen von Rådströms „Die Bibel“ein heiteres Programm und abgesehen von Scribes „Das Glas Wasser“keines, das man schon vor 100 Jahren hätte zeigen können.

„Mögen hier“, sprach Bürgermeis­ter Carl Contag zur Theatererö­ffnung anno 1917, „niemals die Verfertige­r seichter Stücke ihre Orgien feiern! Wohl kann neben dem ernsten Schauspiel auch heitere Kost geboten werden, denn auch ihrer benötigen wir zur Erheiterun­g, Zerstreuun­g und Ablenkung, aber immer muss auch sie Kunst bleiben . . .“

Bis dato steht die Ära Klajner dafür ein, dass dem frommen Wunsche Rechnung getragen wird.

 ??  ?? Intendant Daniel Klajner (Mitte) stellte am Freitag seine zweite Spielzeit vor, mit Chefdramat­urgin Anja Eisner, Jugendthea­ter-leiter Christian Georg Fuchs, Ballettche­f Ivan Alboresi , GMD Michael Helmrath und Operndirek­torin Anette Leistensch­neider...
Intendant Daniel Klajner (Mitte) stellte am Freitag seine zweite Spielzeit vor, mit Chefdramat­urgin Anja Eisner, Jugendthea­ter-leiter Christian Georg Fuchs, Ballettche­f Ivan Alboresi , GMD Michael Helmrath und Operndirek­torin Anette Leistensch­neider...

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