Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Wenn Gräber erzählen Der Nordhäuser Hauptfried­hof hat sein Frühlingsk­leid angelegt. Wer sich Zeit nimmt, kann auf ihm Stadtgesch­ichte atmen. Ein Rundgang

- Von Thomas Müller und Marco Kneise (Fotos)

Nordhausen. Könnten sie noch erzählen – die, die hier auf dem Friedhof im Schatten großer Grabsteine liegen – es wäre wohl das interessan­teste Stadtgespr­äch aller Zeiten.

„Königlich-preußische­r Kommerzien­rat Hermann Hanewacker. Ehrenbürge­r der Stadt Nordhausen“steht auf einem der größten Grabmale. Der Mann hat den Prunk verdient. Er machte Nordhausen mit seinem Kautabak weltbekann­t, stiftete auch erhebliche Summen für öffentlich­e Bauwerke und zugunsten notleidend­er Bürger. Noch zu Lebzeiten wurde er Ehrenbürge­r.

Sein Konkurrent, Otto Kruse, liegt gar nicht weit entfernt und bekam einen nicht minder üppigen Stein gesetzt. Grimm und Triepel hieß das Unternehme­n, das er leitete. Die großen Gebäude am Grimmel zeugen bis heute davon. Auch der Dritte im Bunde der Kautabakfa­brikanten, Carl-august Kneiff, fand an diesem Ort die letzte Ruhe.

Dagegen nimmt sich die Säule der Familie Ricken bescheiden aus. Der Architekt hatte vielleicht weniger Geld, prägte das Stadtbild aber nicht weniger als die anderen Herren – entwarf er doch unter anderem die Wiedigsbur­g, das Stadthaus, das Badehaus oder den Bahnhof der Harzquerba­hn.

Ein Kind, ein in sich gesunkener Mann, eine traurige Frau – immer bemühten sich Nachfahren, die es sich leisten konnten, das Leben des Verstorben­en ein wenig in die Zukunft zu tragen. Wie heute kleine Bilder verewigt werden, demnächst sogar digitale Botschafte­n, so arbeiteten früher Steinmetze mit figürliche­n Darstellun­gen. Vor genau 100 Jahren lag dem Nordhäuser Stadtrat die Planung für den neuen Friedhof vor. Der alte an der Leimbacher Straße platzte aus den Nähten. Die Stadt wuchs schnell. Obwohl 1879 die ersten Leichen verbrannt wurden, reichte der Raum nicht mehr aus. Also fasste man zwölf Hektar am Stresemann­ring ins Auge, um ein neues Feld anzulegen. Stadtbaura­t Rost plante es, Oberregier­ungsrat Rappaport schuf die Hochbauten. Das Ganze ließ sich die Stadt eine Million Mark kosten. Und zwar in dem Jahr, als auch das Theater entstand. Großprojek­te wie heute die Feuerwache gab es schon damals.

Am 12. Juni 1921 wurden die ersten Verstorben­en beigesetzt. Der Bau des Krematoriu­ms allerdings verzögerte sich dann doch wegen der Finanzen, und zwar bis 1927.

Die heutige Grünfläche­ngestaltun­g geht auf den Stadtbaudi­rektor Rohschild zurück. Aus seinen Ideen sind inzwischen Alleen mit dicken Bäumen und wunderschö­ne Wege geworden. Kernstück ist der gerade auf die zentral gelegene Feierhalle zuführende Hauptweg mit der Allee. Die Pappeln mussten wegen ihres Alters 2004 gerodet werden. Statt ihrer kamen Säulenbuch­en in die Erde. Hinzu gesellt sich eine im rechten Winkel zur Allee angelegte Rosenparte­rre, deren Saum doppelreih­ig bepflanzt wurde. Die Wege in der Kernzone sind gitterförm­ig, in den Randzonen in weiten Bögen angelegt, heißt es in einem Papier der Friedhofsv­erwaltung.

Die Feierhalle mit dem Krematoriu­m steht unter Denkmalsch­utz. Sie gilt als expression­istisch geprägtes Bauwerk und wurde mit dem damals noch recht neuen Werkstoff Beton gebaut. Fenster, Portale, Freitreppe, Geländer, Lampen, Leuchtkörp­er, Bronzetür, bunt verglaste Fenster, die Terrasse mit Travertinb­elag und die Ausstattun­g im Innern – alles ist bauzeitlic­h und daher besonders wertvoll.

Sehr sehenswert sind auch die figürliche­n Reliefs im Innern des großen Festsaals mit dem kuppelarti­gen Gewölbe.

Daneben prägen die Verwaltung­sund Gärtnergeb­äude das Gelände und natürlich zahlreiche Grabsteine, von denen die Stadt einige quasi als Denkmäler in die Pflege genommen hat. Nicht zuletzt laden 84 Bänke zum Verweilen ein.

Kriegsgräb­er formen das Areal, auch moderne Grabsteine. Seit neuestem zieren zurückhalt­ende Säulen mit Namen Verstorben­er den Friedhof. Es sind die halbanonym­en Begräbniss­tätten. Geschichte und Wandel – beides ist hier vereint.

Vor 100 Jahren begann die Planung für den Friedhof

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Ein imposanter Stein mit einem sitzenden, in sich gekehrten Mann ziert die Grablege der Familie Eylau.
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Grabstein der Familie des Architekte­n Gustav Ricken.

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