Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Wenn Gräber erzählen Der Nordhäuser Hauptfriedhof hat sein Frühlingskleid angelegt. Wer sich Zeit nimmt, kann auf ihm Stadtgeschichte atmen. Ein Rundgang
Nordhausen. Könnten sie noch erzählen – die, die hier auf dem Friedhof im Schatten großer Grabsteine liegen – es wäre wohl das interessanteste Stadtgespräch aller Zeiten.
„Königlich-preußischer Kommerzienrat Hermann Hanewacker. Ehrenbürger der Stadt Nordhausen“steht auf einem der größten Grabmale. Der Mann hat den Prunk verdient. Er machte Nordhausen mit seinem Kautabak weltbekannt, stiftete auch erhebliche Summen für öffentliche Bauwerke und zugunsten notleidender Bürger. Noch zu Lebzeiten wurde er Ehrenbürger.
Sein Konkurrent, Otto Kruse, liegt gar nicht weit entfernt und bekam einen nicht minder üppigen Stein gesetzt. Grimm und Triepel hieß das Unternehmen, das er leitete. Die großen Gebäude am Grimmel zeugen bis heute davon. Auch der Dritte im Bunde der Kautabakfabrikanten, Carl-august Kneiff, fand an diesem Ort die letzte Ruhe.
Dagegen nimmt sich die Säule der Familie Ricken bescheiden aus. Der Architekt hatte vielleicht weniger Geld, prägte das Stadtbild aber nicht weniger als die anderen Herren – entwarf er doch unter anderem die Wiedigsburg, das Stadthaus, das Badehaus oder den Bahnhof der Harzquerbahn.
Ein Kind, ein in sich gesunkener Mann, eine traurige Frau – immer bemühten sich Nachfahren, die es sich leisten konnten, das Leben des Verstorbenen ein wenig in die Zukunft zu tragen. Wie heute kleine Bilder verewigt werden, demnächst sogar digitale Botschaften, so arbeiteten früher Steinmetze mit figürlichen Darstellungen. Vor genau 100 Jahren lag dem Nordhäuser Stadtrat die Planung für den neuen Friedhof vor. Der alte an der Leimbacher Straße platzte aus den Nähten. Die Stadt wuchs schnell. Obwohl 1879 die ersten Leichen verbrannt wurden, reichte der Raum nicht mehr aus. Also fasste man zwölf Hektar am Stresemannring ins Auge, um ein neues Feld anzulegen. Stadtbaurat Rost plante es, Oberregierungsrat Rappaport schuf die Hochbauten. Das Ganze ließ sich die Stadt eine Million Mark kosten. Und zwar in dem Jahr, als auch das Theater entstand. Großprojekte wie heute die Feuerwache gab es schon damals.
Am 12. Juni 1921 wurden die ersten Verstorbenen beigesetzt. Der Bau des Krematoriums allerdings verzögerte sich dann doch wegen der Finanzen, und zwar bis 1927.
Die heutige Grünflächengestaltung geht auf den Stadtbaudirektor Rohschild zurück. Aus seinen Ideen sind inzwischen Alleen mit dicken Bäumen und wunderschöne Wege geworden. Kernstück ist der gerade auf die zentral gelegene Feierhalle zuführende Hauptweg mit der Allee. Die Pappeln mussten wegen ihres Alters 2004 gerodet werden. Statt ihrer kamen Säulenbuchen in die Erde. Hinzu gesellt sich eine im rechten Winkel zur Allee angelegte Rosenparterre, deren Saum doppelreihig bepflanzt wurde. Die Wege in der Kernzone sind gitterförmig, in den Randzonen in weiten Bögen angelegt, heißt es in einem Papier der Friedhofsverwaltung.
Die Feierhalle mit dem Krematorium steht unter Denkmalschutz. Sie gilt als expressionistisch geprägtes Bauwerk und wurde mit dem damals noch recht neuen Werkstoff Beton gebaut. Fenster, Portale, Freitreppe, Geländer, Lampen, Leuchtkörper, Bronzetür, bunt verglaste Fenster, die Terrasse mit Travertinbelag und die Ausstattung im Innern – alles ist bauzeitlich und daher besonders wertvoll.
Sehr sehenswert sind auch die figürlichen Reliefs im Innern des großen Festsaals mit dem kuppelartigen Gewölbe.
Daneben prägen die Verwaltungsund Gärtnergebäude das Gelände und natürlich zahlreiche Grabsteine, von denen die Stadt einige quasi als Denkmäler in die Pflege genommen hat. Nicht zuletzt laden 84 Bänke zum Verweilen ein.
Kriegsgräber formen das Areal, auch moderne Grabsteine. Seit neuestem zieren zurückhaltende Säulen mit Namen Verstorbener den Friedhof. Es sind die halbanonymen Begräbnisstätten. Geschichte und Wandel – beides ist hier vereint.
Vor 100 Jahren begann die Planung für den Friedhof