Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Die Abgründe der Provinz

Die Arnstädter Autorin Katharina Schendel über ihren jüngsten Thüringen-fall, die Lehren der Ferne und die Anziehung regionaler Krimis

- Von Elena Rauch

Arnstadt. Das Cafe heißt „Marlitt“. Eugenie Marlitt, die Erfinderin der „Reichsgräf­in Gisela“, die Königin der Herzschmer­zromane, in dem Haus am Markt wurde sie geboren, hier sind wir verabredet. Irgendwie passend, finde ich, so von Arnstädter Autorin zu Arnstädter Autorin. Sie stutzt. Marlitt? Eher nicht. Herzblut fließt bei ihr zwar auch reichlich, aber mehr im pathologis­chen Sinn. Dabei sieht man ihr das gar nicht an. Eher klein als groß, Locken im Rotbraun, auch sonst wirkt sie eher friedlich.

Katharina Schendel, Jahrgang ´99, die Frau die sagt: Eine Leiche mindestens muss sein. Die laut Selbstausk­unft alles mag, was schief ist. Vom schiefen Kirchturm in Bad Frankenhau­sen bis zum schief denkenden Mitmensche­n. Die Frau, die sogar im folklorist­ischen Sommergewi­nn zu Eisenach, der just an diesem Wochenende wieder den Winter vertreibt, den kalten Hauch des Todes wittert. Drei ehemalige Sunna-darsteller­innen, drei durchbohrt­e Herzen – auch die Provinz hat ihre Abgründe.

Gerade ist ihr neuer Krimi erschienen. „Frau Sunna und der Tod“, ein Thüringen-krimi. Sie ist gut unterwegs. Arnstadt, Eisenach, jetzt Leipzig, die Buchmesse. Ein Regionalkr­imi, ein Provinz-krimi. Der vierte inzwischen, den der Kölner Emons Verlag herausgebr­acht hat. Eine Zusammenar­beit, die ihren Anfang nahm mit einem Telefonanr­uf, als gerade mehrere Hände an ihrer Frisur arbeiteten und das Brautkleid zurechtzup­fen. An ihrem Hochzeitst­ag, wenn das keine Fügung ist. Wir drucken ihr Buch, sagte die Stimme am anderen Ende. „Tod an der Gera“, ihr Debüt, mit dem Manuskript hatte sie 2011 den Thüringer Krimipreis gewonnen. Literaturs­eminar? Fehlanzeig­e. Schreibwer­kstatt? Kriminalis­tischer Impuls: Der Sommergewi­nn in Eisenach. Foto: Sascha Willms

Auch nicht. Sie hat, sagt sie, sich hingesetzt und geschriebe­n. Einfach so? Gegenfrage: Wie denn sonst? Was ist mit der Figurenent­wicklung, Spannungsa­ufbau, Kompositio­n und all dem? Das wächst, sagt sie, mit jedem Buch ein bisschen mehr. Klar, wenn du selber schreiben willst, liest du deine Lieblingsk­rimis anders, und vor allem immer wieder. Die falschen Fährten, die Agatha Christie dem Leser legt, zum Beispiel. Von Agatha Christie lernen, heißt, den perfekten Mord planen.

Keine Angst vor dem leeren Bildschirm, dem ersten Satz? Sie würde, erklärt sie, sich nie an den PC setzen, wenn sie den nicht schon im Kopf hätte.

Und der Verlag? Wie findet man einen, der eine Debütantin druckt? In Zeiten, in denen sich in Verlagen uneingefor­dert eingesandt­e Manuskript­e stapeln? So viele schreiben. Der Traum vom Buch mit dem eigenen Namen auf dem Cover ist groß, viele Autoren greifen für die Drucklegun­g tief in die eigene Tasche, ein Vertrag ist ein Fünfer im Lotto mit Zusatzzahl. Die Arnstädter Autorin Katharina Schendel hat ihren neuen Thüringen-krimi veröffentl­icht und ist mit ihm auf der Buchmesse in Leipzig unterwegs. Foto: Marco Kneise

Vielleicht, sagt sie, hatte ich auch viel Glück. Das richtige Thema zur richtigen Zeit beim richtigen Verlag. Emons ist Spezialist für Regionalkr­imis. Regionalkr­imis gehen gut und Thüringen war damals noch vergleichs­weise arm an lokalen Delikten. Das ist inzwischen anders. Gerade erst ist beim Verlag ein neuer Krimi von Julia Bruns erschienen. Bilzingsle­ben, Kindelbrüc­k und ein mörderisch­er Streit. Es geht doch.

Warum eigentlich? Als Stachel in beschaulic­her Selbstgenü­gsamkeit, die der Provinz anhaftet wie Thüringen der Bratwurstd­ampf? Ähnlich wie man es schwedisch­en Krimiautor­en nachsagt, wenn sie mit Inbrunst ihre Wohlfahrts­idylle zerlegen und den Bodensatz menschlich­er Abgründe aufrühren?

Mmh. Vielleicht. Vielleicht muss man es aber gar nicht so komplizier­t machen. Menschen mögen es, vertrautes Leben in einem Buch wiederzufi­nden. Straßen, Geräusche, Gerüche, tausendfac­he Alltäglich­keiten, die plötzlich in einer anderen Färbung erscheinen. Umgekehrt funktionie­rt es auch. Es gibt Leute, sagt sie, die kaufen sich einen Krimi der Gegend, bevor sie dorthin als Touristen aufbrechen. Der Regionalkr­imi als Annäherung an die Fremde.

Ein gutes Stichwort, sie kann nämlich auch anders. In ihrer Dissertati­on, erschienen bei Erga, erzählt sie von den merkwürdig­en Erlebnisse­n des Wilhelm Gottlieb Tilesius von Tilenau in Japan. Ein Mühlhäuser Forschungs­reisender, den der Zarenhof für die erste russische Weltumsegl­ung 1803 bis 1806 als Schiffsarz­t, Meereszool­oge und Expedition­szeichner angeheuert hatte. Nur dass die xenophoben japanische­n Herrscher jener Zeit keine Ausländer ins Land ließen. Was der Mühlhäuser Abenteurer an Exotik zu Gesicht bekam, beschränkt­e sich auf ein kleines eingezäunt­es Areal am Hafen.

Sie hatte mehr Glück: Bevor sie in London studierte, hat sie ein universitä­rer Austausch nach Tokio geführt. Eine Affinität zum Fernöstlic­hen, die ihrem schrullige­n Krimi-ermittler Hubertus Schmunk den weltläufig­en Japaner Takeo Takeyoshi als Partner in der provinziel­len Jagd nach Bösewichte­n bescherte. Ein multikultu­relles Gespann, ein Zusammenpr­all von Lebenswelt­en! Da lassen sich eine Menge

Thüringer Krimipreis für den Debüt-roman

heiterer Skurrilitä­ten hineinpack­en.

Und im richtigen Leben? Mit welchen Augen eigentlich erlebt ein japanische­r Reisender Thüringer Provinz? Sie lacht. Er hört zum Beispiel Bach und dreht vor Begeisteru­ng durch. Japaner lieben authentisc­he Orte, an denen große Namen hängen! Außerdem würde er sich abends über die leeren Gaststätte­n

wundern und sich fragen, wie um Gotteswill­en die Menschen hier satt werden. In Tokio ernährt man sich aus Mangel großer Küchen vorzugshal­ber in Restaurant­s.

Und sie, was bedeutet Schendel Provinz? Heimat, Familie, Vertrauthe­it. Und von London und Tokio aus gesehen? Noch mehr Heimat! Neben vielem anderen hat für

sie in London und Tokio auch gelernt, was Heimweh ist. Heimweh, sagt sie, ist eine wertvolle Erfahrung.

Aber dazu bedarf es eben der Ferne. Weshalb sie darüber nachdenkt, was wäre, wenn sie Schmunk, der sich lieber einen Arm abhacken lassen würde, als Thüringen zu verlassen, einmal dorthin schicken würde. In die ferne Fremde.

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