Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
„Sitzen ist das neue Rauchen“
Beim Gesundheitsforum der Stiftung Westthüringen mahnt der Arzt Dietrich Grönemeyer zu mehr Bewegung
Bad Langensalza. Der Arzt und Buchautor Dietrich Grönemeyer ist ein Streiter für Gesundheit und Fitness. Bekannt ist er unter anderem für sein Bewegungsprogramm „Die bewegte Schulpause“, das Kinder 20 Minuten pro Tag vor dem Unterricht und während der Schulpausen in Schwung bringen will. Eigens dafür gründete er vor mehr als zehn Jahren die Dietrich Grönemeyer-stiftung.
Beim XIV. Colloquium der Stiftung Westthüringen am Donnerstag in Bad Langensalza zum Thema „Medizin der Zukunft“mahnte der Rückenpapst, dass das Kulturgut Medizin Gefahr laufe, verspielt zu werden. „Wir müssen anders mit uns umgehen“, sagte Grönemeyer im voll besetzten Congresszentrum. So seien 80 Prozent aller Rückenbeschwerden psychosomatisch, also nicht medizinisch, sondern durch seelische und andere Belastungen bedingt.
Im Verlaufe seines launigen Vortrages zeigte der Arzt eine Pyramide, demnach ist für Beschwerden und Krankheiten zu 60 Prozent allein unser Verhalten zuständig. Gesundheit sei eine Frage der Haltung.
Dafür sensibilisieren, wie man sich und seinem Körper Gutes tun kann, will Grönemeyer auch an diesem Abend. Immer wieder unterbricht er seine Rede für kleine Übungen. Die Besucher sollen sich auf die Stuhlkante setzen, und abwechselnd Schultern und Oberkörper schlaff hängen lassen beziehungsweise aufrichten und den Brustkorb durchdrücken. Eine gerade, positive Körperhaltung vermittle nicht zuletzt ein Gefühl der Befreiung – dies wolle er gern vermitteln. Wie nötig das ist, macht der Arzt am Medikamenten-verbrauch deutlich. „In Deutschland nehmen pro Woche 6 Millionen Menschen, das sind 10 Prozent der Erwachsenen, Schmerzmittel zu sich, nur weil sie verspannt sind. Gleichzeitig explodiert die Zahl der Rücken-operationen. Diese Art von Medizin ist verrückt“, sagt Grönemeyer. Frauen gingen differenzierter um mit ihrem Körper als Männer. Und bereits 70 Prozent der Jugendlichen hätten schon einmal über Rückenschmerzen geklagt.
Als mögliche Alternative zeigt Grönemeyer Filme von Hochbetagten aus seiner Zdf-sendung „Leben ist mehr“. Ein 95-Jähriger geht regelmäßig ins Fitnessstudio. Als der rüstige Senior im Film sein Alter nennt, geht ein anerkennendes Raunen durch den Saal. Eine 100-Jährige hält sich durch Lesen und regelmäßige Gänge in den Supermarkt fit. „In Deutschland gibt es 10 000 Hundertjährige, sie hüten einen Erfahrungsschatz, dem wir zuhören sollten“, so der Arzt.
Apropos zuhören: Dietrich Grönemeyer findet, dass das klärende Gespräch beim Arzt zu kurz kommt. „Zuhören muss wieder angemessen bezahlt werden. So kann der Arzt besser feststellen, was einem Patienten wirklich fehlt und vieles ohne medizinische Indikation klären.“Schwestern und Pfleger als die Menschen, die den Patienten am nächsten kommen, verdienten mehr Wertschätzung und müssten endlich besser bezahlt werden. Für Schulen fordert Grönemeyer Schulärzte. „In jede Schule gehört einer, der den Kindern hilft, dass sie in Sachen Gesundheit schlauer werden.“
Immer wieder geht es Dietrich Grönemeyer an diesem Abend um die eine Botschaft: Die Menschen müssten wieder achtsamer mit sich selbst umgehen. „Schalten Sie das Handy mindestens eine Stunde am Tag aus, es macht süchtig und löst keine Probleme. Finden Sie heraus, was Sie wirklich drückt, was Ihnen auf den Magen schlägt“, mahnt er. Vor allem solle man sich mehr bewegen. „Sitzen und mangelnde Bewegung sind das neue Rauchen, das kann tödlich sein“, so der Arzt.
In der anschließenden Diskussion fragt Ta-chefredakteur und Moderator Johannes Maria Fischer nach Möglichkeiten, wie man aus dem Teufelskreis von Stress und Bewegungsarmut herauskommt. Für die Krankenkasse Barmer räumt deren Hauptgeschäftsführer Jens Müller ein, dass man gerne viel mehr in Prävention statt in Krankenhäuser investieren würde. „Leider erreichen wir aber oft die nicht, die es am nötigsten hätten“, so Müller.
Ralf Schomburg, Vorsitzender der gastgebenden Stiftung und Vorstand der Vr-bank, stellt ein Programm vor, mit dem Mitarbeiter des Unternehmens motiviert werden, sich sportlich zu betätigen. Der Erfurter Sportmediziner und Orthopäde Christian Gessner betont den Teamcharakter der Medizin. „Die Behandlung muss den Symptomen entsprechen. Statt immer selbst Hand anzulegen, sollte man dem Patienten Wege zeigen, wer der richtige Ansprechpartner sein könnte.“
Laut Dietrich Grönemeyer sollten sich Mediziner und Patienten auf Augenhöhe begegnen. Ein selbstbestimmtes wohlbefindliches Leben bis zum Schluss sei möglich. „Da ist mir ein fitter Dicki lieber als ein schlanker Schlaffi“, so der Arzt.
Ein fitter Dicki ist besser als ein schlanker Schlaffi