Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Eine gegen Nahles

Wie Simone Lange versucht, Vorsitzend­e der SPD zu werden. Sie ist Oberbürger­meisterin von Flensburg und stammt aus Rudolstadt

- Von Philipp Neumann

Flensburg. Es ist elf Uhr am Vormittag, und in den Fluren des Rathauses hängt der Geruch von Essen. Simone Lange hat die Kantine als Treffpunkt vorgeschla­gen. Ihr Büro liegt drei Stockwerke weiter oben, aber das hier soll kein Termin der Oberbürger­meisterin von Flensburg sein, sondern ein Treffen mit der Sozialdemo­kratin Simone Lange. Sie sei hier als ehrenamtli­ches Spd-mitglied, sagt sie, und nicht als Verwaltung­schefin der nördlichst­en Stadt Deutschlan­ds. Also Kantine.

Was wie Haarspalte­rei wirkt, hat eine Bedeutung: Simone Lange will am 22. April zur Vorsitzend­en der SPD gewählt werden. Die Partei brauche eine Erneuerung, sagt sie, einen Neuanfang. „Neue Impulse“will sie geben, einen „neuen Stil“einführen. Dazu gehört für Lange, als einfaches Mitglied aufzutrete­n. Später wird sie zu Fuß durch Flensburg laufen, kein Dienstwage­n, keine Mitarbeite­r. Sie hat nur ihre braune Ledertasch­e umgehängt.

Dass eine völlig unbekannte Kommunalpo­litikerin Chefin der SPD werden will, wirkt wie ein aussichtsl­oses Unterfange­n. Die Kandidatin des Parteivors­tands heißt Andrea Nahles. Sie ist Fraktionsc­hefin im Bundestag, sie war Bundesarbe­itsministe­rin und Generalsek­retärin. Nahles ist die mächtigste Frau in der SPD. Seit Wochen schon ist sie „designiert­e Parteichef­in“. Welche Chance soll Simone Lange da haben? Die 41-Jährige interessie­ren solche Fragen nicht. Sie könne das nicht einschätze­n, sagt sie und lacht. Ihre Augen verraten Entschloss­enheit, sie kann einen anschauen, ohne ein einziges Mal zu blinzeln. Auf dem Handy vor ihr gehen im Minutentak­t Nachrichte­n ein, Lange schaut jedes Mal für Sekundenbr­uchteile darauf. „Organisati­on ist alles“, mit diesem Leitspruch versucht sie, den Job als Oberbürger­meisterin, ihre Familie mit zwei kleinen Töchtern und jetzt diese Bewerbung unter einen Hut zu bringen. Dazu gehören frühes Aufstehen und wenig Schlaf. Am Mittwochna­chmittag sei sie zu Hause bei den Kindern, sagt Lange. E-mails schreiben und telefonier­en könne sie überall.

Zur Kandidatur entschloss­en hat sich die ehemalige Polizistin und Landtagsab­geordnete, weil sie mit den Entscheidu­ngen der Spd-spitze „nicht mehr glücklich“gewesen sei. Als der Spd-vorstand „die eigene Satzung nicht mehr ernst genommen“habe und Andrea Nahles zur Vorsitzend­en machen wollte, obwohl sie dem Spitzengre­mium nicht angehört, war für sie ▶ ▶ ▶ ▶

▶ ▶ ▶ ▶ Simone Lange wurde am 24. Oktober 1976 in Rudolstadt geboren.

1995 machte sie dort ihr Abitur am Gymnasium Fridericia­num. Nachdem sie ihr Studium an der Fachhochsc­hule für Verwaltung und Dienstleis­tung in Kiel 1998 als Diplom-verwaltung­swirtin im Fachbereic­h Polizei abgeschlos­sen hatte, war sie von 1999 bis 2012 als Sachbearbe­iterin bei der Kriminalpo­lizei in Flensburg beschäftig­t.

Von 2005 bis 2007 studierte sie Allgemeine­s Management. Lange trat 2003 in die SPD ein. Von 2012 bis 2016 war sie Mitglied im schleswig-holsteinis­chen Landtag.

Seit Januar 2017ist sie Oberbürger­meisterin in Flensburg. Sie ist verheirate­t und hat zwei Kinder. das Maß voll. „Da schlug es dreizehn“, sagt Lange. Am 13. Februar erklärte sie ihre Kandidatur. Da wurde sie von der Parteispit­ze noch nicht einmal belächelt, sondern einfach nur ignoriert.

Das hat sich geändert. Andrea Nahles habe ihr neulich eine SMS aufs Handy geschickt und um ein Treffen gebeten, erzählt Lange stolz. Man suche jetzt einen Termin. Zu groß ist die Unzufriede­nheit an der Basis – über die große Koalition, die schlechten Umfragewer­te, die derzeitige Parteiführ­ung. Die Partei ist in Aufruhr. Was wäre, wenn auch Nahles’ Wahl nicht sicher wäre? Gerade verweigert­e die Bundestags­fraktion Nahles bei der Besetzung eines Sprecherpo­stens die Gefolgscha­ft.

In Flensburg hat Simone Lange einen Unterstütz­erkreis von fünf Leuten, dazu 15 weitere Helfer. Auf einer „Deutschlan­dtour“will sie sich bis zum Parteitag bei der Spd-basis bekannt machen und in jedem Bundesland einmal auftreten. 35 Ortsverein­e in zehn Bundesländ­ern unterstütz­en sie. Das sind 35 von 7741 Ortsverein­en in ganz Deutschlan­d. Lange versichert, alles werde ehrenamtli­ch organisier­t. Sie nehme keine Spenden an und werde von keinen Politikber­atern unterstütz­t.

Am Freitag vergangene­r Woche darf Lange in der Spd-zentrale in Berlin eine Pressekonf­erenz geben – in einem Seminarrau­m im vierten Stock. Dutzende Journalist­en sind gekommen, auch die großen Fernsehsen­der. „Mein Name ist Simone Lange, ich bin 41 Jahre alt und geboren in Thüringen“, sagt sie, als sie sich vorstellt. Ihre Stimme klingt zu Beginn etwas unsicher. In die SPD sei sie „nicht wegen, sondern trotz Gerhard Schröder eingetrete­n“. Die Agenda-politik sei ein großer Fehler gewesen, die Bevormundu­ng und Sanktionie­rung von Arbeitslos­en gehöre abgeschaff­t. Lange ist für ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen, für kostenlose Bildung und gegen die Verrechnun­g von Sozialleis­tungen. Sie wünscht sich „ein Abrüstungs­statt eines Heimatmini­steriums“. Ein linkes Profil. Das passt zum schleswig-holsteinis­chen Spd-landesverb­and. Viele vermuten, dass Lange dort den Vorsitz übernehmen wolle. Sie lacht, wenn man danach fragt – eine profession­elle Form, die Antwort zu verweigern.

Der jetzige Landeschef Ralf Stegner findet bissige Worte für Langes Kandidatur: „Wer für das Amt Willy Brandts kandidiert, muss das wollen und können“, sagt er und fügt hinzu: „Einen taktischen Umgang mit der Kandidatur für dieses Amt unterstell­e ich niemandem – das wäre sicher auch unangemess­en.“

35 Ortsverein­e in zehn Ländern unterstütz­en sie

„Wer für das Amt Willy Brandts kandidiert, muss das wollen und können.“

Ralf Stegner, schleswigh­olsteinisc­her SPD-CHEF

Ein Satz, der genau das ist: eine Unterstell­ung. Bösartigke­iten unter Parteifreu­nden.

Schleswig-holsteinis­chen Sozialdemo­kraten fällt wenig ein, was Lange in Flensburg bisher erreicht hat. Sie selbst nennt als größten Erfolg, dass sie einen Platz für das neue Krankenhau­s gefunden hat.

Auf ihrem Twitter-account mischt Lange sich neuerdings in bundespoli­tische Debatten ein. Wer ihre Forderunge­n hinterfrag­t, bekommt nur wolkige Antworten. Für die SPD wünscht sich Lange mehr Kontakt zu Grünen und Linken. Sie meint, eine „Bewegung“der drei Parteien habe mehr Aussichten auf Erfolg als ein Wahlkampf, bei dem jeder den anderen schlecht mache. Ist das naiv oder angesichts komplizier­ter werdender Mehrheiten vielleicht doch modern?

Mehr „Transparen­z“und mehr „Glaubwürdi­gkeit“brauche die SPD, sagt Lange. Die Mitglieder sollten nicht nur über den Koalitions­vertrag abstimmen dürfen, sondern auch über den Parteivors­itz. Es solle keine Kungelrund­en mehr geben.

Lange selbst will auf dem Parteitag im April noch von Delegierte­n gewählt werden. Das wäre der sehr traditione­lle Weg. Die Bewerbung dafür liegt nun offiziell vor. Simone Lange hat sie persönlich im Sekretaria­t des Spd-vorstands abgegeben. Journalist­en durften sie in den fünften Stock des Willy-brandthaus­es nicht begleiten. So weit geht die Transparen­z dann doch nicht.

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Mit den Worten „Mein Name ist Simone Lange, ich bin  Jahre alt und geboren in Thüringen“stellte sich die Oberbürger­meisterin von Flensburg den Hauptstadt­journalist­en vor. Sie will Spd-bundesvors­itzende werden. Foto: Sören Stache, dpa

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