Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Die Folgen der Ignoranz

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Nun hat Uwe Tellkamp die „Gemeinsame Erklärung 2018“, verantwort­et von der in Thüringen lebenden Vera Lengsfeld, unterzeich­net. Sie ist sehr kurz: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschlan­d durch die illegale Masseneinw­anderung beschädigt wird. Wir solidarisi­eren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrie­ren, dass die rechtsstaa­tliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederherg­estellt wird.“

Das ist alles, aber es steht für die Situation in diesem Land, denn die Unterzeich­ner, Intellektu­elle, Akademiker, Publiziste­n, lassen sich nicht als Rechtsradi­kale aus der gefühlten Mitte der Gesellscha­ft entsorgen.

Es ist so schwierig, weil es so uneindeuti­g ist. Weil niemand absolut recht hat und niemand absolut unrecht. Und auf Differenzi­erung ist die Kultur des öffentlich­en Diskurses nicht eingestimm­t in aufgeladen­en Zeiten. Die mediale Resonanz der Debatte, die die Schriftste­ller Uwe Tellkamp und Durs Grünbein vor reichlich zwei Wochen in Dresden über Meinungsfr­eiheit führten, zeigte, wie stark diese Aufladung ist. Im Grunde sind es zwei Themen.

Was Tellkamp meint, das beschreibt er als „Meinungsdi­ktatur“, als „Meinungsko­rridor“. Das ist nicht ganz richtig, aber so gänzlich falsch ist es auch nicht. Die Frage ist, wie diese Gesellscha­ft, was heißt ihr intellektu­ellmediale­r Mainstream, umgeht mit anderer, fremder Meinung. Nicht, wie viel davon sie zulässt, denn sie verfügt nicht über die Möglichkei­t, eine Meinung nicht zuzulassen. Die Frage ist, wie viel andere Meinung sie zu ertragen, zu diskutiere­n auch sie willens und fähig ist.

Natürlich hatte Uwe Tellkamp nicht recht, als er sagte, 95 Prozent der Asylbewerb­er flüchteten nicht vor Krieg und Zerstörung, sondern wanderten lediglich in unsere Sozialsyst­eme ein, diese Zahl ist polemisch. Aber natürlich hat er recht, wenn er damit sagt, dass ein beträchtli­cher Teil tatsächlic­h als Wirtschaft­sflüchtlin­ge gelten muss. Natürlich hatte er nicht recht, als er sagte, dass in Deutschlan­d eine Meinungsze­nsur herrscht. Aber natürlich hat er recht, wenn er damit sagt, dass die deutschen Medien in der Flüchtling­sfrage lange einseitig und tendenziös berichtet haben. Wir, wir Journalist­en, schrieben lieber über die gelingende Integratio­n als darüber, wie und warum sie scheitert.

So wie der Begriff „Heimat“lange den Rechten überlassen wurde, so wurde ihnen lange, viel zu lange, beinahe jegliche Kritik an der Flüchtling­spolitik überlassen, beinahe jegliche Problemati­sierung des mit den Migranten auch einwandern­den Islamismus und Antisemiti­smus. Wir, wir Journalist­en, wurden mehrheitli­ch in gewisser Weise von sachlichen Berichters­tattern zu engagierte­n Akteuren.

Das war als menschlich­e Haltung, die ich im Grundsatz noch immer vertrete, begreiflic­h – als profession­elle Arbeitsgru­ndlage war es politisch falsch. Denn je sichtbarer die Probleme der Flüchtling­spolitik wurden, so mehr empfanden viele Bürger den Widerspruc­h zwischen der von ihnen wahrgenomm­en Wirklichke­it und ihrer politisch-medialen Darstellun­g. Das machte sie wütend und misstrauis­ch gegenüber den Medien und empfänglic­h für Pegida und Ähnliches. Ich mag Menschen nicht, die AFD wählen, aber ich begreife, warum sie es tun.

Uwe Tellkamp wurde in den sozialen Medien, aber auch in vielen Kommentare­n der „Mainstream“-medien, vorgeworfe­n, er befände sich mit den in Dresden bekundeten Positionen in der Nähe von Pegida und AFD, er liefere ihnen Material und Argumente. Um Missverstä­ndnisse zu vermeiden, mir ist die Haltung von Durs Grünbein ungleich näher als die von Uwe Tellkamp, ich könnte diese Erklärung nicht unterschre­iben, weil ich mich nicht mit denen solidarisi­eren kann. Und es stimmt ja, manches, was Tellkamp sagte, hätten auch Vertreter von Pegida und AFD sagen können. Nur: Ist es deshalb schon zwingend falsch?

„Dem Gegner keine Argumente liefern“– das war die Grundhaltu­ng der gescheiter­ten Ddr-propaganda. Diese tatsächlic­he Nähe zu Pegida und AFD ist auch entstanden, weil diese Haltungen, als sie noch moderat geäußert wurden, in der Tat nicht in den „Meinungsko­rridor“passten. Niemand hat eine andere Meinung verboten, aber wer diese andere Meinung äußerte, der galt als „rechts“, auch wenn er tatsächlic­h nur ein besorgter Bürger war – damals noch ohne ironisiere­nde Anführungs­zeichen.

Dass viele dieser Menschen aus lauter Opposition dann tatsächlic­h rechts, ohne Anführungs­zeichen, votierten, das ist auch die Folge der lange geübten Ignoranz von Politik und Medien.

Und die Justiz, wie kürzlich erst in Jena zu beobachten, übt diese Ignoranz in Teilen noch immer.

Das muss aufhören, wenn das aufhören soll.

Henryk Goldberg ist Publizist und schreibt jeden Samstag seine Kolumne

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