Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Das Ätsch-bätsch-prinzip

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In den vergangene­n zwei Jahren ließ sich erstmals im bundesrepu­blikanisch­en Thüringen beobachten, was nach einem Machtwechs­el in einer Demokratie geschieht. Die seit der Wiedergrün­dung des Landes regierende CDU wurde in den Hades der Opposition geworfen – und die ewigen Opposition­sparteien Linke und Grüne gelangten in den Olymp der Regierung.

Für ein wenig Kontinuitä­t sorgte allein die arg gerupfte SPD, die als einzige Partei seit 1990 mehrfach beide Seiten erlebt hatte. Sie nervt deshalb auch weidlich die linken Regierungs­anfänger und Exekutivgr­ünschnäbel mit ihrer augenrolle­nden Was-wisst-ihrdenn-schon-attitüde.

Die drei Parteien haben sich dennoch ganz gut gemeinsam eingericht­et. Sie stimmen im Landtag alles weg, was die Opposition so einbringt, obwohl sie dieselbe Praxis dereinst als undemokrat­isch geißelten. Und sie verklagen ungerührt ein Volksbegeh­ren, obwohl sie frühere Klagen von Landesregi­erungen als gegen das Volk gerichtet verfluchte­n.

Die CDU wiederum macht exakt das, was sie früher der Linken vorwarf: Sie fordert Geld für alles Mögliche und fantasiert sich irgendwelc­he Gegenfinan­zierungsmo­delle zusammen. Darüber hinaus – und das ist neu – wirft sie der Regierung vor, den Haushalt aufzublase­n.

Zudem hat die Union zwei Untersuchu­ngsausschü­sse durchgeset­zt. Davon ist der eine, der sich mit Wirken des Datenschut­zbeauftrag­ten beschäftig­t, geradezu albern. Auch der andere, der dem Justizmini­ster nachstellt, wirkt eher überflüssi­g. Fraglos beging Dieter Lauinger dumme Fehler, die er dann dreist zu vertuschen versuchte.

Aber die entscheide­nden, für eine politische Bewertung nötigen Fakten sind bekannt. Der Ausschuss dient jetzt bevorzugt dazu, sie in der verblassen­den Erinnerung des wählenden Publikums zu bewahren.

Dann sind da noch die Verfassung­sklagen der Cdu-fraktion. Gleich drei wurden gegen die Gebietsref­orm eingereich­t, und dann noch eine gegen die Verwaltung­sreform. Hätten sie Erfolg, wäre ein zentrales, wichtiges Vorhaben der Koalition futsch.

Doch all diese Ausschüsse, Klagen und Anträge gehören nun mal in einer freien Gesellscha­ft zum guten Recht jeder Opposition. Mehr noch: Sie sind Teil ihrer Aufgabe.

Dass die CDU fast ein Vierteljah­rhundert Verantwort­ung trug, dass sie die Strukturre­formen verschlepp­te, dass sie genau die Schulden anhäufte, deren Tilgung sie jetzt verlangt, macht sie dabei nicht unbedingt glaubwürdi­ger. Aber dies darf nicht ihre Möglichkei­ten als parlamenta­rischer Minderheit schmälern.

Damit muss die frühere Minderheit, die sich immerhin seit mehr als zwei Jahren an der Macht befindet, endlich einmal klar kommen. Fehler haben Folgen: Dieses Naturgeset­z erzeugt in der Regierung eine deutlich stärkere Wirkung als in der Opposition. Insbesonde­re die Probleme, die Rot-rotgrün wegen der Gebietsref­orm auszuhalte­n hat, sind in den meisten Fällen originäre Eigenprodu­ktionen.

Doch diese Einsicht ist kaum bis gar nicht verbreitet. Es dominiert Larmoyanz und der wütende Wille, die CDU zu disziplini­eren – womit diese Kolumne endgültig bei dem Eklat um die Landtagsve­rwaltung angelangt ist.

Deren Beamte sollten bekanntlic­h für die rot-rot-grüne Mehrheit im Innenaussc­huss die Erwiderung­sschrift auf eine Cdu-verfassung­sklage entwerfen. Die Landtagsdi­rektorin, die ebenso wie der Präsident der CDU angehört, war dabei unsensibel genug, den Entwurf der Stellungna­hme derart stark zu kürzen, dass ganze Argumente wegfielen – und somit der Anschein der Parteilich­keit aufkommen konnte. Dass dies die Mehrheit im Landtag nicht amüsiert und sie deshalb Akten und Aufklärung verlangt, lässt sich nachvollzi­ehen.

Doch wer den Rücktritt der Direktorin fordert, ohne sie überhaupt angehört zu haben, will keine Transparen­z, sondern Rache. Dies ist nicht nur unklug, unsouverän und unangemess­en. Es ist vor allem fahrlässig. Der Respekt vor dem Parlament als höchstem Verfassung­sorgan verlangt nach besonders soliden Gründen, um seine überpartei­liche Reputation anzugreife­n.

Bislang aber wurde der Direktorin – im Unterschie­d zu Lauinger – kein Fehlverhal­ten nachgewies­en; die Anwürfe sind allesamt das Resultat interessen­geleiteter Interpreta­tionen.

Natürlich könnte jetzt Rot-rotgrün gemäß dem Ätschbätsc­h-prinzip einen Untersuchu­ngsausschu­ss einsetzen. Die Drohungen sind laut genug. Doch am Ende stünde sehr wahrschein­lich allein die Erkenntnis, dass Linke, Sozialdemo­kraten und Grüne bereit sind, für einige Pr-punkte jeden Preis zu zahlen – und sei dieser Preis das sowieso gefährdete Ansehen des Thüringer Parlaments.

Diese Koalition sollte damit aufhören, sich wie die Opposition der Opposition zu gebärden. Sie sollte regieren.

Martin Debes ist Chefreport­er der Thüringer Allgemeine­n

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