Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Die dramatischen Damen von Jena
Frank Quilitzsch über den agilen Seniorenkreis der „Theaterbrücke“
Es ist schon einige Zeit her, dass ich eine überraschende Einladung ans Theaterhaus Jena erhielt. Ich sollte vor Mitgliedern der Jenaer Initiative „Theaterbrücke“sprechen – als Kritiker und Zeitungsredakteur. Sie seien, erzählte mir damals Doris Heinze, Jahrgang 1939, acht Seniorinnen, die allesamt den „Kulturführerschein“abgelegt hätten. Kulturführerschein?
„Na, einen Führerschein für kulturelle Kompetenz, zum Beispiel fürs Theater.“
Ich erfuhr, dass die Theaterbrückenbauerinnen sich regelmäßig trafen, gemeinsam Proben und Premieren der heimischen Bühne besuchten und Exkursionen zu den Theatern in Altenburg, Gera und Rudolstadt unternahmen. Trotz hohen Alters seien sie sehr wissbegierig.
Das bekam ich bei meinem Besuch zu spüren.
Die Damen, es waren derer fünf, nahmen mich ins Kreuzverhör. Warum ich, verlangten sie zu wissen, den Hauptdarsteller der jüngsten Jenaer „Hamlet“-inszenierung in der Zeitung kritisiert hätte. „Der Prinz im Stimmbruch“, das sei doch eine Beleidigung. Ob ich denn nicht wüsste, wie sich der Schauspieler jetzt fühle.
Es war toll! Die alten Damen verteidigten leidenschaftlich ihr junges Theater. Und ich legte nochmals meine Gründe dar, warum ich den fispelnden Hamlet für eine Fehlbesetzung hielt. Der von mir geschätzte Darsteller passt in viele Rollen, aber nicht in diese. Es entspann sich eine Diskussion darüber, wie weit Kritik gehen dürfe. Wir gingen am Ende friedlich, ja freundschaftlich auseinander.
Und heute? Gibt es den dramatischen Seniorinnenkreis noch?
Aber ja, erfahre ich aus dem Jenaer Theaterhaus, die Damen und der eine Herr seien sehr aktiv und zögen andere ältere Besucher mit zu den Vorstellungen. Besonders Frau Heinze, die sei Facebook-affin und schreibe jetzt selber Kritiken im Netz, „mit viel Charme“.
Ich rufe Doris Heinze an und habe sie sofort an der Strippe. „Natürlich machen wir weiter“, sagt sie, „die Nähe zum Theater zahlt sich langsam aus. Wir waren inzwischen in allen Gewerken, außer der Maske, und kennen die Leute persönlich. Und alle zwei Monate veranstalten wir unseren Theaterstammtisch.“
Bei der letzten Folge des „Mister Dynamit“, die ausschließlich im Netz stattfand, habe sie sogar mitgespielt, verrät mir Frau Heinze. „Das war ein Erlebnis! Beim ersten Mal wusste ich ja nicht mal, was das Darknet ist. Ich habe gewartet, weil ich dachte, das sei erst die Vorspeise. Dabei, ich musste doch das Abendbrot machen! Ich fürchte, meine Teilnahme hat auch die Theaterleute verunsichert...“