Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Begeisterung muss man leben
Martina und Johannes Fliegel verwirklichen sich in ihrem Backlebener Hof. Altes bewahren, Wohlbefinden stiften
Backleben. 2004, da war er 40, haben Martina und Johannes Fliegel in Backleben ein bäuerliches Anwesen gekauft. Einen Pflegefall.
10 Jahre hat Johannes Fliegel sich damals für das Großprojekt gegeben. Im Vorjahr, 2016, haben die Fliegels für ihr Backlebener Heim den 1. Preis beim Bundeswettbewerb für Handwerk in der Denkmalpflege in Thüringen und Brandenburg erhalten und sind dennoch noch lange nicht fertig. Wie auch? „Wir haben allein fünf Jahre gebraucht, um aufzuräumen“, sagt Johannes Fliegel.
Hast ist seine/ihre Sache also nicht. Den Fliegels kommt es aufs Bewahren an. Weggeworfen sind die Dinge schnell. Und dann unwiederbringlich verloren. Fliegels haben buchstäblich alles aufgehoben, was – und sei es nur vielleicht – noch einmal von Nutzen sein könnte.
Alte Türbeschläge kamen wieder an die alten Türen. In den Stallungen, inzwischen Lager und Werkstatt, sind die alten Fresströge erhalten geblieben. Handgeschmiedete Dielennägel wurden wieder gerade gezogen und erneut eingebaut. Am Rande des Gartens mit Streuobstwiese des großzügigen Anwesens („Das Eingangstor ist in der Mitte des Dorfes, die Gartengrenze ist dessen Rand.“) lagern die Schätze, die andere Bauherren achtlos Containern anvertraut hätten: historische Biberschwanz-ziegel und über Jahrhunderte ausgetretene Kopfsteinpflastersteine. Altes Holz sowieso. Alles für den Fall, dass der nächste Schritt der Sanierung angegangen wird.
Wohl überlegt und in Etappen. „Zwischendurch und nebenbei müssen wir ja auch das Geld verdienen, das wir dann in unser Denkmal stecken können“, sagt Johannes Fliegel. Ein Scherz, aber ein ernst gemeinter.
„Das kann man nicht als Hobby betreiben“, sagt er. „Das muss man leben.“Die Fliegels leben die Begeisterung.
Martina Fliegel, sie ist Ärztin in Weimar, tut es in der Freizeit, ihr Mann rund um die Uhr.
Johannes Fliegels kleine Firma (zwei Gesellen und er als „zu 95 Prozent mitarbeitender Chef“) ist auf Arbeiten in der Denkmalpflege spezialisiert. Das Gros seiner Aufträge bekommt er von den einschlägigen Stiftungen, in Thüringen von der für Schlösser und Gärten oder für die Weimarer Klassik. Nach dem Brand hat er zum Beispiel Böden und Hauptregale der Anna Amalia-bibliothek in Weimar wieder zu ihrem alten Glanz verholfen.
Nach Backleben hat die Fliegels einst der Zufall verschlagen. Johannes Fliegel war mit seiner Werkstatt in Ulrichshalben eingemietet und beengt. „Ich brauchte mehr Platz, vor allem, um alte Dielen oder auch Gerüstteile lagern zu können“, erklärt Fliegel. Er habe Jahre gesucht, sich umgehört, die Angebote von Grundstücksauktionen verfolgt. Doch alles, was in Frage kam, war zu weit weg.
Die Alternative, ein Neubau auf der grünen Wiese, erschien ihm wenig verlockend – und gar nicht zu ihm passend.
Beim Vierseitenhof in Backleben mussten sie nicht lange überlegen.
Die im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie erfolgte Bauforschung diente als Grundlage. Ein dendrochronologisches Gutachten – dabei wird das Alter von Holz ermittelt – belegt, „dass Balken im Haupthaus im Winter 1600/1601 geschlagen und frisch verzimmert wurden“.
Nach dem Aufräummarathon begann 2008/09 die eigentliche Bauphase. Zeitweise sah das Grundstück aus wie ein Werk von Einpack-künstler Christo. Die Westwand musste ob des geschädigten Fachwerks im ersten Obergeschoss komplett ausgewechselt werden.
Vieles haben die Fliegels selbst gemacht. „Alles, was Freizeit ist, geht ins Objekt“, sagt Johannes Fliegel. Und betont, dass die Facharbeiten auch Fachleute ausgeführt haben. Die lange Liste an Betrieben, die neben den Fliegels für Arbeiten am Backlebener Hof den Preis für Handwerk in der Denkmalpflege zugesprochen bekamen, belegt das. „Schuster bleib bei deinen Leisten“, sagt Fliegel als Bauherr. Die Aufträge habe er personengebunden vergeben, nicht an die jeweilige Firma. Er wollte dann schon genau diesen und jenen Mitarbeiter haben.
Bauen, Sanieren, Restaurieren im Denkmal bringt immer auch Überraschungen. Das meint weniger, dass ein Einmessen des historischen Areals und der Bau einer vollbiologischen Kläranlage verlangt wurden.
So stieß man, um im Thema zu bleiben, unter dem Standort eines Dixi-klos auf einen Brunnen. Selbstredend wurde dieser erhalten und wieder aufgemauert. Die historischen Aborte für Gesinde und Herrschaft (innenliegend und mit beachtlicher Fallhöhe) fanden sich auch und sind nachvollziehbar erhalten.
Johannes Fliegel hat seine Werkstatt inzwischen in Backleben und weitere Pläne für die Gestaltung der Wohn- und Kellerräume, des Gartens und der Ruhezonen. Das reicht für weitere 10 Jahre. „Langsam sehen wir aber Licht“, sagt er.