Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Sie finden dich überall“

Wie afghanisch­e Flüchtling­e in Thüringen die Debatten um die Sicherheit in ihrer Heimat und die Abschiebun­gen erleben

- Von Elena Rauch

Erfurt.

Was, wenn er einer von ihnen wäre? Als Karim A. (*) die Nachrichte­nbilder mit den abgeschobe­nen Männern auf dem Kabuler Flughafen sah, hat er versucht, diese Vorstellun­g zu verdrängen. Nur keine Fragen, die ohnehin nur die Angst schüren würden.

Sie würden mich finden, sagt er, egal wo ich hingehe. Wer? Die Männer, die ihn am Telefon bedrohten, weil er beim Fernsehsen­der „Ariana“arbeitete, der ihnen zu liberal, zu weltlich ist. Die den Vater zusammensc­hlugen, als sie ihn im Elternhaus nicht fanden. Die Männer von denen er sagt, er wisse, dass sie zu den Taliban gehören.

Seit 15 Monaten lebt er in Jena. Vor wenigen Tagen bekam er ein Schreiben vom Bundesamt für Migration: Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Und weiter?

Seit vergangene­m Dezember wurden in drei Flügen insgesamt 59 Afghanen aus Deutschlan­d nach Kabul gebracht. Zurückgefü­hrt, wie es offiziell heißt. Um Abschiebun­gen nach Afghanista­n wird heftig gestritten. Während die Bundesregi­erung ihre Abschiebep­raxis damit begründet, es gebe im Land durchaus auch sichere Gebiete, verweist der UNHCR in einem aktuellen Bericht auf eine verschärft­e Sicherheit­slage im Land, die sich zudem ständig ändere. Eine Unterschei­dung in sichere und unsichere Gebiete hält das Unflüchtli­ngshilfswe­rk für gar nicht möglich.

Sechs Bundesländ­er, darunter Thüringen, setzen deshalb die Abschiebun­gen nach Afghanista­n derzeit aus. Sehr zum Ärger von Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU). Er erhofft sich angesichts der Flüchtling­sströme vom vergangene­n Jahr mit den Abschiebun­gen auch einen Abschrecku­ngseffekt: Die gefährlich­e Flucht nach Deutschlan­d lohnt sich nicht.

Das sind die politische­n Dimensione­n des Abschiebes­treits. Doch er hat eben auch sehr persönlich­e. Zum Beispiel Karim A.

Wen die Taliban einmal im Visier haben, sagt er, den lassen sie nicht in Ruhe. Sie sind gut vernetzt, im ganzen Land. Der Bundesinne­nminister solle doch bitte sagen, wo man vor ihnen sicher ist. Der afghanisch­e Staat kann nicht für Sicherheit sorgen, die Terrornach­richten beweisen das. Es geht nicht nur um Einschücht­erung, sagt er. Ihre Strategie ist in Afghanista­n berüchtigt. Sie suchen sich gezielt Menschen aus, die in Behörden, in den Medien oder in staatliche­n Einrichtun­gen arbeiten, versuchen sie für blutige Anschläge zu rekrutiere­n. Wer sich weigert, hat eigentlich gar keine andere Möglichkei­t mehr, als zu fliehen, sagt der junge Mann.

Oder Mina M. (*), deren Geschichte davon erzählt, was es heißt, in Afghanista­n ein selbstbest­immtes Leben führen zu wollen, wenn man eine Frau ist. Und welchen Preis man dafür zahlen muss. Auch sie hat bei einem Fernsehsen­der gearbeitet, als Schauspiel­erin, als Organisato­rin eines Filmfestiv­als und als Fotografin.

Sie erzählt von dem Bildband, der ihr eines Tages in die Hände fiel. Es zeigte Straßensze­nen in Kabul aus dem Jahr 1970. Frauen mit fröhlichen, offenen Gesichtern und knielangen Kleidern. Was ist mit uns geschehen? Warum müssen wir uns schämen, eine Frau zu sein? Aus diesen Fragen hat sie mit einer Freundin ein Fotoprojek­t gemacht. Sie und ihr Körper, verhüllt in Stoff. Veröffentl­icht wurden sie nie, doch jemand muss davon erfahren haben. „Wir wissen, dass du es bist.“Ein Unbekannte­r hinterließ auf ihrem Handy diese Worte.

Ein Satz, der eine Drohung war. Was sonst. Im März 2015 hatte ein Männermob eine junge Studentin auf der Straße ermordet, mitten in Kabul.

Wir müssen weg, hatten die Eltern gesagt. Die Angst wurde übermächti­g, es war ja nicht die erste Anfeindung.

In Mazedonien, sie war mit ihrer Familie mitten auf der Flucht, erfuhr sie von dem Anschlag in Kabul. Eine Autobombe hatten einen Bus ihres Fernsehsen­ders in die Luft gesprengt. Unter den Toten war auch ihre Freundin. Eine Frau, die wie sie leben wollte, frei, selbstbest­immt.

Sie fühlt sich, sagt Mina, bis heute ohnmächtig und schuldig. Dass sie nicht zusammen mit ihr gestorben ist.

Seit einem Jahr lebt sie mit ihrer Familie in Thüringen, auf einen Bescheid von den Behörden warten sie bis heute.

Das Warten und die Untätigkei­t zermürben. Die Ungewisshe­it zermürbt. Die Angst vor dem, was kommen könnte, zermürbt. Die Abschiebed­ebatten halten afghanisch­e Flüchtling­e unter ständiger Spannung. Sie und Karim wissen das aus den Gesprächen mit anderen Flüchtling­en, sie leisten psychosozi­ale Beratung. Was geschieht mit mir? Jeden Tag, sagt Karim, hört er diese Frage.

Der ungeklärte Status schließt sie von Integratio­nskursen aus. In Jena, sagt er, leben 1600 Afghanen, die noch nie in einem Deutschkur­s saßen. Ein Leben auf Abruf. Ein Leben in der Warteschle­ife. So empfinden sie es.

Tahora Husaini kann das nur bestätigen. Die 26-jährige Afghanin hat in Indien studiert, in Kabul und in Deutschlan­d. Inzwischen arbeitet sie in der Flüchtling­sberatung in Erfurt. Sie selber wurde als Kind einer afghanisch­en Flüchtling­sfamilie im Iran geboren.

Die Stimmungsl­age vieler ihrer Landsleute in Deutschlan­d kennt sie nur zu gut. Das Gefühl, keinen verlässlic­hen Ort zu haben, an dem man wurzeln kann. Immer in einer Erklärungs­pflicht zu sein, dafür, dass man leben will, wie andere auch. Sie spricht von der großen und uneingelös­ten Hoffnung nach dem Fall der Taliban.

Ja, es gibt auch Menschen, die sich für eine freiwillig­e Rückkehr entscheide­n. Aber eben auch viele Menschen wie Mina und Karim, deren Angst größer ist als das Heimweh.

Vielleicht, bemerkt Mina bitter, könnte ich nach Afghanista­n zurückkehr­en und überleben. Aber nur, wenn ich verstumme, mich unsichtbar mache, gegen mich lebe.

(*) Die Namen sind der Redaktion bekannt.

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Tahora Husaini () aus Afghanista­n berät Flüchtling­e in Erfurt. Foto: Elena Rauch

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