Im Tanzkonzert
Bei den Thüringer Bachwochen wagen das Scottish Ensemble und die Andersson Dance Company eine neue Sicht auf die Goldberg-variationen
Erfurt.
Der rote Faden der Thüringer Bachwochen wurde am Samstagabend im gutbesuchten Erfurter Theater weiter gesponnen. Ungebrochen ziehen Johann Sebastian Bachs berühmte, teilweise aus der Feder seiner zweiten Frau Anna Magdalena stammende Aria und die auf sie folgenden 30 Variationen das Publikum an. Und da die Goldberg-variationen im Verzeichnis der Bachwerke die Nummer 988 tragen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Bachwochen eine ebenso große Zahl an Aufführungen präsentiert haben werden.
Eine neue Sicht auf das omnipotente Spitzenwerk barocker Variationskunst zeigten in einem intensiven Miteinander elf Musiker (Jonathan Morton, Cheryl Crockett, Daniel Pioro, Rakhvinder Singh, Joanne Green, Laura Ghiro, Jane Atkins, Andrew Berridge, Alison Lawrance, Naomi Pavri und Diane Clark) und fünf Tänzer (Jozsef Forro, Eve Ganneau, Paul Pui Wo Lee, Javier Perez, Danielle de Vries). Gemeinsam treten sie als die von Örjan Andersson choreografierte, schwedische Andersson Dance Company und das von Jonathan Morton geleitete Scottish Ensemble auf. Bei aller Faszination für eine szenische Version der Goldberg-variationen lässt sich eine Ebenbürtigkeit von Musik und Tanz schwer erreichen. Darüber hinaus sind die Deutungsmöglichkeiten des modernen Ausdruckstanzes wie dessen Vokabular doch ziemlich begrenzt. Der Andersson Dance Company konnte natürlich nicht daran gelegen sein, Noten und satztechnische Strukturen bildlich umzusetzen. Es ging vielmehr um Zwischenräume beziehungsweise Zwischentöne, um eine emotionale Transkription. Ob letztere nun einem tieferen Werkverständnis dienlich ist oder nicht, mögen Bach-experten entscheiden.
Die visuelle Kommentierung des Streicher-arrangements, basierend auf Dmitry Sitkovetsky Trio-version von 1985, vollzog sich im Rund von Licht-, Kostüm und Videodesign (Sutoda, Bente Rolandsdotter, Sam Salem) auf jeden Fall angenehm dezent, fast in ehrwürdiger Zurückhaltung. Animiert war die ansprechende Tanz-kreation von vielen Aspekten; vor allem auch von maßvollem Taktgefühl. Der Wunsch, bei etwas Großem mitspielen zu wollen, ließ die Tänzer auf Stimmenfang gehen, wobei zu den vielseitig deutbaren Stimmungen auch eine gewisse humoristische Note gehörte, denn man führte Probenatmosphäre vor, man zeigte zudem, wie Tanz ohne Musik ganz im stillem Raum aus einem inneren Rhythmus heraus funktioniert.
Nicht zuletzt deshalb kann man diesem originellen „Tanzkonzert“eine unbekümmert auftretende Verspieltheit nicht absprechen, musste diese – wie das kräftig applaudierende Publikum – sogar sympathisch finden.
Die künstlerisch wertvollere Ebene des Goldberg-variationenabends war zweifelsfrei die musikalische. Gerade im Triospiel von Jonathan Morton, Jane Atkins (Violine) und Alison Lawrance (Violoncello) berührte die klangschöne Intimität der Ausführung.
Sollten die Goldberg-variationen gemäß einer anekdotenhaften Überlieferung wirklich komponiert worden sein, um einen mit der Bach-familie befreundeten russischen Gesandten am Dresdner Hof in seinen schlaflosen Nächten aufzuheitern, dürfte dieses Meisterwerk dem Festivalleiter der Thüringer Bachwochen Christoph Drescher vermutlich noch einige schlaflose Nächte bereiten. Denn es ist gewiss nicht leicht, einem genreübergreifenden, hohen Kunstanspruch gerecht zu werden.
Der Auftritt von Andersson Dance Company und Scottish Ensemble war diesbezüglich eine anregende Offerte.
Visuelle Kommentierung mit angenehmer Zurückhaltung
Mehr im Internet unter www.thueringer-bachwochen.de