Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
„Wenn Mutti früh zur Arbeit geht ...“: Kinderlied spiegelt Realität falsch wieder
Freya Klier präsentiert im Frauenzentrum in Leinefelde ihren neuen Film zur Gleichberechtigung der Frau in der DDR
LEINEFELDE. Immer mehr ältere Damen strömen in das Leinefelder Frauenzentrum. Vereinzelte Männer und junge Frauen finden ebenfalls den Weg. Der Film „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht – Frauen in der DDR“von Freya Klier lockt die Eichsfelder und weckt das Interesse.
Gab es eine Gleichberechtigung für Frauen in der DDR? – Gesetzlich ja. Aber wie sah die Realität aus? Freya Klier räumt in ihrem Film mit dem Mythos der Gleichberechtigung auf. Die 45-minütige Dokumentation startet mit den Oldies der Werktätigen, zu denen auch Kliers Mutter zählt. Nadja Klier, die Tochter von Freya, fragt ihre Oma nach ihrem beruflichen Werdegang, spricht aber auch mit ihren Kolleginnen.
„Kampfplatz für den Frieden“
Nadja Klier zieht durch die Straßen des damaligen Ostens und fragt die älteren Menschen direkt, ob es in der DDR eine Gleichberechtigung der Frauen gab. Die Antworten könnten nicht unterschiedlicher sein. Von einem „Nö“, über „Gleichberechtigung? Wir Frauen haben gearbeitet und die Männer haben getrunken“bis hin zu: „Gleichberechtigung? Die hab ich mir genommen.“
Und alles habe gestimmt, meint Freya Klier, die im Film selbst keine Rolle spielt. „Ich ha- Freya Klier präsentiert im Leinefelder Frauenzentrum ihren neuen Film „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht - Frauen in der DDR".
be das Buch geschrieben und die Fakten für dem Film recherchiert“, sagt sie im Anschluss.
Ein weiterer Schwerpunkt der Dokumentation ist der Vergleich zwischen dem Leben in der Stadt und auf dem Land. Die Unterschiede arbeitet die DDRBürgerrechtlerin deutlich heraus. Dabei geht sie unter anderem auf die Arbeit, das Leben und die Scheidungen ein.
Eine schmerzliche Zahl, die
für Stille und bedrückende Gefühle sorgt, ist die der Schwangerschaftsabbrüche. Anderthalb Millionen ungeborene Lebewesen wurden zu Ddr-zeiten abgetrieben.
Gleichzeitig wurde aber deutlich gemacht, dass in den 80er Jahren der Kreißsaal als „Kampfplatz für den Frieden“deklariert wurde – dreieinhalb Millionen Kindern wurde das Leben geschenkt. Der Titel des Filmes ist
mit Absicht so gewählt. Denn es gab in der DDR ein gleichnamiges Kinderlied: „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht, dann bleibe ich zu Haus. Ich binde eine Schürze um und feg die Stube aus.“Nadja Klier spielt im Film den Song Passanten vor, die das Lied erkennen. Der Text allerdings ist falsch. Denn wenn Mutti früh zur Arbeit ging, waren die Kinder schon längst in der Krippe, im Kindergarten oder der
Schule. Im Anschluss des Filmes steht Freya Klier für Gespräche mit den etwa 90 Gästen bereit. Eine Frau erzählt, dass sie mit ihrem Sohn zu Hause geblieben ist. Der gesellschaftliche Druck aber enorm gewesen sei, sie fühlte sich auch isoliert. Eine andere Dame macht klar, dass die Frauen auf dem Land heute meist einen Rücken- oder Hüftschaden von der schweren Arbeit haben und die Rente kaum ausrei- che. Eine ältere Dame, über 80 Jahre alt, sagt, dass sie gerne zur Arbeit gegangen ist und nicht zu Hause bleiben wollte. Ein Mann spricht den finanziellen Aspekt an: Die Frau musste mit Arbeiten gehen, damit die Familie leben konnte.
Und: Manch einer ruft auf dem Heimweg seine eigenen Erinnerungen, ob nun als Kind oder werktätige Frau, ins Bewusstsein.