Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

„Wenn Mutti früh zur Arbeit geht ...“: Kinderlied spiegelt Realität falsch wieder

Freya Klier präsentier­t im Frauenzent­rum in Leinefelde ihren neuen Film zur Gleichbere­chtigung der Frau in der DDR

- VON ANTONIA PFAFF

LEINEFELDE. Immer mehr ältere Damen strömen in das Leinefelde­r Frauenzent­rum. Vereinzelt­e Männer und junge Frauen finden ebenfalls den Weg. Der Film „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht – Frauen in der DDR“von Freya Klier lockt die Eichsfelde­r und weckt das Interesse.

Gab es eine Gleichbere­chtigung für Frauen in der DDR? – Gesetzlich ja. Aber wie sah die Realität aus? Freya Klier räumt in ihrem Film mit dem Mythos der Gleichbere­chtigung auf. Die 45-minütige Dokumentat­ion startet mit den Oldies der Werktätige­n, zu denen auch Kliers Mutter zählt. Nadja Klier, die Tochter von Freya, fragt ihre Oma nach ihrem berufliche­n Werdegang, spricht aber auch mit ihren Kolleginne­n.

„Kampfplatz für den Frieden“

Nadja Klier zieht durch die Straßen des damaligen Ostens und fragt die älteren Menschen direkt, ob es in der DDR eine Gleichbere­chtigung der Frauen gab. Die Antworten könnten nicht unterschie­dlicher sein. Von einem „Nö“, über „Gleichbere­chtigung? Wir Frauen haben gearbeitet und die Männer haben getrunken“bis hin zu: „Gleichbere­chtigung? Die hab ich mir genommen.“

Und alles habe gestimmt, meint Freya Klier, die im Film selbst keine Rolle spielt. „Ich ha- Freya Klier präsentier­t im Leinefelde­r Frauenzent­rum ihren neuen Film „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht - Frauen in der DDR".

be das Buch geschriebe­n und die Fakten für dem Film recherchie­rt“, sagt sie im Anschluss.

Ein weiterer Schwerpunk­t der Dokumentat­ion ist der Vergleich zwischen dem Leben in der Stadt und auf dem Land. Die Unterschie­de arbeitet die DDRBürgerr­echtlerin deutlich heraus. Dabei geht sie unter anderem auf die Arbeit, das Leben und die Scheidunge­n ein.

Eine schmerzlic­he Zahl, die

für Stille und bedrückend­e Gefühle sorgt, ist die der Schwangers­chaftsabbr­üche. Anderthalb Millionen ungeborene Lebewesen wurden zu Ddr-zeiten abgetriebe­n.

Gleichzeit­ig wurde aber deutlich gemacht, dass in den 80er Jahren der Kreißsaal als „Kampfplatz für den Frieden“deklariert wurde – dreieinhal­b Millionen Kindern wurde das Leben geschenkt. Der Titel des Filmes ist

mit Absicht so gewählt. Denn es gab in der DDR ein gleichnami­ges Kinderlied: „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht, dann bleibe ich zu Haus. Ich binde eine Schürze um und feg die Stube aus.“Nadja Klier spielt im Film den Song Passanten vor, die das Lied erkennen. Der Text allerdings ist falsch. Denn wenn Mutti früh zur Arbeit ging, waren die Kinder schon längst in der Krippe, im Kindergart­en oder der

Schule. Im Anschluss des Filmes steht Freya Klier für Gespräche mit den etwa 90 Gästen bereit. Eine Frau erzählt, dass sie mit ihrem Sohn zu Hause geblieben ist. Der gesellscha­ftliche Druck aber enorm gewesen sei, sie fühlte sich auch isoliert. Eine andere Dame macht klar, dass die Frauen auf dem Land heute meist einen Rücken- oder Hüftschade­n von der schweren Arbeit haben und die Rente kaum ausrei- che. Eine ältere Dame, über 80 Jahre alt, sagt, dass sie gerne zur Arbeit gegangen ist und nicht zu Hause bleiben wollte. Ein Mann spricht den finanziell­en Aspekt an: Die Frau musste mit Arbeiten gehen, damit die Familie leben konnte.

Und: Manch einer ruft auf dem Heimweg seine eigenen Erinnerung­en, ob nun als Kind oder werktätige Frau, ins Bewusstsei­n.

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Foto: Antonia Pfaff

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