Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Begegnung mit dem Todesengel

- FRANK QUILITZSCH WURDE ALS FAHRRADKOM­PARSE VON VOLKER SCHLÖNDORF­F GEFILMT

Ahnungslos radle ich auf dem Weg nach Bindersleb­en den Langen Graben hinauf, biege links in den Pfortenweg ein und bemerke vor einem Zweifamili­enhaus eine Menschenme­nge. Nanu, denke ich, als ich mittendrin die auf eine Lafette montierte Filmkamera entdecke, hier wird doch wohl nicht Volker Schlöndorf­f drehen?

Da sitzt er auch schon am Straßenran­d auf seinem Klappstuhl.

Der Regisseur trägt Windjacke und ein schwarzes Basecap. Um ihn herum neben dem Filmteam etliche Anwohner als Zaungäste. Es kommt schließlic­h nicht alle Tage vor, dass sich ein Oscarpreis­träger in diese Gegend verirrt.

Schlöndorf­fs Assistent gibt mir bereitwill­ig Auskunft: Ja, sie drehen für den Krimi „Der namenlose Tag“. Ja, der Hauptdarst­eller, der Herr Thieme, komme auch gleich, er sei noch in der Maske.

Minuten später fährt ein schwarzer Minibus vor. Thomas Thieme steigt aus und ist baff, als er mich in voller Fahrradmon­tur erblickt.

Vorgestern erst hatte ich ihn an der Strippe, und wir plauderten über die Dreharbeit­en am Erfurter Fischmarkt. Dass sie heute bei Bindersleb­en aufkreuzen würden, wusste er da selbst noch nicht.

„Welche Szene?“, frage ich.

„Ich bin der Todesengel“, sagt Thieme, „der Überbringe­r trauriger Nachrichte­n.“

Das seien Rückblende­n. Sein Kommissar Jakob Franck wird von den Kollegen vorgeschic­kt, um die Verwandten des Mordopfers zu informiere­n.

„Und was machen Sie hier?“

„Ich wollte zur Arbeit“, sage ich. „Mit dem Fahrrad?“

„Klar, bei schönem Wetter fahr’ ich immer mit dem Rad.“

„Gut. Dann werde ich Sie mal mit Herrn Schlöndorf­f bekannt machen“, sagt Thomas Thieme.

Der Regisseur staunt, als er erfährt, dass wir seit 16 Jahren miteinande­r telefonier­en und am Dienstag unsere 187. Interviewf­olge in der TLZ erschien. „Das ist ja reif fürs Guinnessbu­ch der Rekorde“, meint Volker Schlöndorf­f.

Dann ist „Action“. Klappe „Todesengel“, die erste...

Zwei Mal steigt Thieme mit Lederjacke und Aktentasch­e im Vorgarten die Treppe hinauf, klingelt an der Haustür und wird von einem schreckens­bleichen Mann eingelasse­n. Zum Schluss schwenkt der Kamerawage­n auf die Straße, um zu filmen, wie der Kommissar sich entfernt. „Statisten los!“, ruft der Assistent, und ein paar Fußgänger setzen sich mit in Bewegung.

Schlöndorf­fs Blick fällt auf mein Rad: „Radfahrer passt gut“, beschließt er. „Steigen Sie auf, fahren Sie an ihm vorbei, aber grüßen Sie ihn nicht.“

Fünf Mal strample ich vor laufender Kamera den Berg hinauf durch die Szene. Dann darf Thieme verschnauf­en.

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