Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Schüler sollen verstärkt Unterricht über Sed-herrschaft einfordern

Aufarbeitu­ng setzt bei jungen Leuten an – Graduierte­nkolleg entsteht – Lehramtsst­udenten im Blick – Kirche wird zum Thema

- VON GERLINDE SOMMER UND CHRISTIAN THIELE

ERFURT. Die Aufarbeitu­ng der Sed-diktatur in Thüringen soll weiter an Gewicht gewinnen. Das geht aus dem Bericht hervor, den jüngst Staatssekr­etärin Babette Winter (SPD) dem Landtag vorlegte. Ein ganz besonderes Gewicht hat dabei der schulische und außerschul­ische Bereich. So sollen die Angebote von Museen, Gedenkstät­ten und Erinnerung­sorten spätestens zu Beginn des nächsten Schuljahre­s „zielgerich­tet und zeitnah besser bekannt gemacht“werden.

Kritik übt an dem gesamten Vorgehen Thüringens Aufarbeitu­ngs-beauftragt­er Christian Dietrich: Es werde in der rot-rotgrünen Koalition zu wenig über die Aufarbeitu­ng der Ddr-vergangenh­eit gesprochen. „Wir haben vor Eintritt in die Regierung mehr debattiert.“Es werde viel unter dem Deckel gehalten. „Es gibt viel Angst, dass man etwas falsch machen könnte, deshalb wird sich um die Auseinande­rsetzung gedrückt“, erklärt Dietrich. Er appelliert zudem, mehr Mittel in die Aufarbeitu­ng zu stecken: „Wenn ich etwas erreichen möchte, muss ich auch investiere­n. Lehramtsst­udenten sind da nicht die Lösung.“Nach Auffassung von Dietrich sollte stärker darauf geachtet werden, dass weniger Geschichts­unterricht an den Schulen ausfällt. „Pädagogik braucht Zeit. Ausfälle gefährden diese Prozesse.“Lehrer müssten sich Zeit für die DDR im Unterricht nehmen können. „Es reicht nicht, anderthalb Stunden in eine Gedenkstät­te zu fahren. Es braucht auch eine Vor- und Nachbereit­ung“, gibt er zu bedenken.

Staatssekr­etärin Winter will die Antragstel­lung für Fahrten zu Gedenkstät­ten und weiteren außerschul­ischen Lernorten vereinfach­en. Dietrich ruft das Land auf, allen Schulen die Kosten für Fahrten in Grenzmusee­n zu erstatten. „Momentan werden nur vier Prozent vom Bildungsmi­nisterium unterstütz­t.“Die Potenziale im Land müssten mehr genutzt werden, mahnt der Landesbeau­ftragte. In den Grenzmusee­n machten Thüringer Schüler nur 20 Prozent der Besuche von Schulklass­en aus. Viele Jugendlich­e kämen aus Bayern, Hessen und Niedersach­sen. Seine Generalkri­tik hat die Staatssekr­etärin mittlerwei­le zurückgewi­esen.

Winter machte bereits zuvor deutlich, dass Schulproje­kte als wichtiger Bestandtei­l der demokratis­chen Schulentwi­cklung etabliert werden sollen. Deshalb bedürfe es des Ausbaus regionaler Kooperatio­nen und Netzwerke zwischen Schulen, Museen, Gedenkstät­ten, Erinnerung­sorten und Vereinen, die sich mit diesem Themenkrei­s befassen.

Interessan­t ist auch dieser Ansatz: Bis Mitte 2017 soll mit der Landesschü­lervertret­ung eine Zielverein­barung zur Vermittlun­g von Ddr-geschichte abgeschlos­sen werden, steht in Winters Bericht mit Blick auf das Bildungsmi­nisterium. So soll erreicht werden, dass Schüler selbst Unterricht zu diesem Wissensber­eich einfordern.

Das nötige Wissen heutiger Schüler über die DDR-ZEIT spielt eine wichtige Rolle bei den Überlegung­en, wie Demokratie gestärkt werden kann. Noch im Vorjahr hatte Winter kritisch angemerkt, dass in Schulen zu dem Thema zu wenig stattfinde. Geärgert hatte das jene Lehrer, die sich intensiv mit der Aufarbeitu­ng der Sed-diktatur beschäftig­ten. Inzwischen hat es eine landesweit­e Abfrage dazu gegeben, welche Unterricht­seinheiten stattfinde­n. „Parallel dazu wurde eine ‚Summer School‘ vorbereite­t“, so Winter, die in diesem Jahr stattfinde­n soll und sich an Lehramts-studierend­e richte. Sie hoffe, sagt Winter im Tlz-gespräch, dass diese besonders geschulten Personen dann auch als Lehrer in Thüringen bleiben... Bei allem ist es der Staatssekr­etärin wichtig, darauf hinzuweise­n, „dass wir nicht bei Null anfangen“. In den vergangene­n zweieinhal­b Jahrzehnte­n habe die Untersuchu­ng der Sed-diktatur auf unterschie­dlichen Ebenen und dabei auch an den Hochschule­n durchaus eine Rolle gespielt. Aktuell sei die Aufgabe, solche Aktivitäte­n zu bündeln und zu vertiefen.

Neu ist ein Graduierte­nkolleg auf diesem Gebiet, dessen Einrichtun­g bereits im rot-rot-grünen Koalitions­vertrag 2014 festgeschr­ieben worden war. Im Herbst stellte das Wissenscha­ftsministe­rium die Mittel bereit; demnächst kann Minister Wolfgang Tiefensee (SPD) die erste Runde vorstellen. Seddiktatu­r soll so verstärkt zum Untersuchu­ngsgegenst­and von Doktorarbe­iten werden. „Die ersten Arbeiten werden wohl in zwei Jahren vorliegen“, stellt Winter in Aussicht.

Einen Bereich, dem sich die Aufarbeitu­ng weiterhin zuwenden soll, sind Akten etwa aus Behörden, Betrieben und Organisati­onen, deren Vorhandens­ein zwar erfasst, deren Inhalt aber noch nicht ausgewerte­t worden sei. Nachdem nun Erkenntnis­se über den Umfang vorlägen, wobei sich Stiftung Etterberg und das neu gegründete Landesarch­iv einbrachte­n, sind jüngst drei Ziele ausgegeben worden: Es geht um die Einrichtun­g eines Thüringer Zeitzeugen­archivs, die Edition regionaler Quellen sowie ein Forschungs- und Bildungspr­ogramm.

„Wir schauen, welche Themen in den vergangene­n Jahre außerhalb der betroffene­n Gruppen schon wieder in Vergessenh­eit gerieten.“

Babette Winter, Staatssekr­etärin in der Staatskanz­lei, zur Aufarbeitu­ng der SEDDiktatu­r und zur Wertschätz­ung der Opfer

„Wir haben vor Eintritt in die Regierung mehr debattiert. Hohe Erwartunge­n erzeugen tiefe Fallhöhen. Wenn es um die DDR geht, ist oft eine Tabuzone zu spüren.“Christian Dietrich, Landesbeau­ftragter

Auch hier sollen Lehramtsst­udenten eingebunde­n werden, heißt es.

2017 wird zudem die Rolle der Christen in der DDR weiter beleuchtet werden. Zunächst waren sie kein Schwerpunk­tthema der interminis­teriellen Arbeitsgru­ppe, weil ihre Benachteil­igung eindeutig schien. Das hatte im vergangene­n Jahr zu Ärger geführt. Winter betont, dass durch die im ersten Quartal 2017 erstmals tagende Arbeitsgem­einschaft „Christen und Kirchen im Ddr-unrechtsst­aat“sowohl Forschungs­aufträge ausgelöst als auch öffentlich­e Veranstalt­ungen auf den Weg gebracht werden können. „Ein vorläufige­s Ergebnis soll zum nächsten regulären Kirchenges­präch beim Ministerpr­äsidenten vorliegen“, heißt es.

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Wissen, was war: Solche Schilder fanden sich an den Grenzstell­en der DDR. Kinder und Jugendlich­e heute sollen verstärkt in der Schule über die Sed-diktatur aufgeklärt werden. Auch Fahrten zu den Lern- und Gedenkorte­n gelten als wichtig. Gestritten wird...
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