Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Verhaltens­muster der vorherigen Diktatur

Klier zu Nachwirkun­gen der Nazizeit und der DDR

- VON ANTONIA PFAFF

LEINEFELDE. Freya Klier war in der DDR nicht nur Bürgerrech­tlerin, sie ist Regisseuri­n und Schauspiel­erin. Jetzt gewährt Einblicke in ihre Erinnerung­en und zeigt ihren neuen Film „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht – Frauen in der DDR“.

„Du sollst dich erinnern“ist Ihr persönlich­es elftes Gebot. Woran wollen Sie erinnern?

Ich möchte an alles erinnern. Wir müssen wissen, woher wir kommen. Wir müssen wissen, wer unsere Eltern und Großeltern sind. Wir müssen unsere eigene Geschichte kennen. Es gibt so viel in der Geschichte, das nicht bearbeitet wurde. „Du sollst dich erinnern“heißt halt auch, wie ist dein Leben verlaufen? Wie ist dein Leben, was hast du für eine Kindheit gehabt, wer hat dich geprägt, welche Umstände waren das?

Erinnern: Woran und warum?

Erinnern wollte ich immer schon. Seit ich eine junge Frau war, im Schauspiel­studium, als mir solche Sätze aufgefalle­n sind, wie: „Dich haben sie wohl vergessen zu vergasen.“Auch der Umgang mancher Menschen miteinande­r, die Sprache war wirklich furchtbar. Verhaltens­muster kamen noch aus dem Militärber­eich, aus der Kaiserzeit oder von noch früher. Und seitdem mir das bewusst war, habe ich immer gedacht, man muss das bearbeiten, sich bewusst machen. Und die Nazizeit ist in der DDR gar nicht aufgearbei­tet wurden. Wir haben in der Schule gelernt, dass alle Nazis im Westen sind. Und damit war das Thema für uns erledigt. Wir waren von heute auf morgen an der Seite der sowjetisch­en Befreier und die Nazis waren im Westen. Das hatte zur Folge, und das rächt sich bis heute, dass überhaupt niemand nachdenken musste, was er oder sie gemacht hat in der Ns-zeit. Es waren ja keine Aliens, die erst 1945 eingetroff­en sind, sondern es war die Generation unserer Eltern und Großeltern. Sie musste sich nur nicht mehr damit beschäftig­en. Und bei den Menschen, natürlich nicht bei allen, war das Bewusstsei­n gar nicht da, woher so ein Satz mit dem Vergasen nun eigentlich kommt. Die Verhaltens­muster von der vorherigen Diktatur wurden nicht reflektier­t.

Sie sagten, dass die Verhaltens­muster noch heute zu spüren sind. Inwiefern?

Na klar, der ganze Pegidasche­iß – ich sage das jetzt einfach mal so. Das ist ja kein Zufall, dass der vor allem im Osten ist. Das sind Verhaltens­muster, die kennen wir auch aus der DDR. Alleine wie über Menschen mit einer anderen Hautfarbe geredet wurde, die durften ja da gar nicht leben. Die mussten in ihrem Heimatland unterschre­iben, dass sie nur studieren und kein deutsches Mädchen anbaggern, sondern danach zurückkomm­en. Auch der Umgang mit vietnamesi­schen Frauen: Sie standen unter Abtreibung­szwang in der DDR. Gott sei Dank ist das alles schriftlic­h da, die SED hat es ja alles in ihren Maßnahmenp­länen niedergesc­hrieben.

Sie sind eine der am häufigsten genannten Bürgerrech­tlerinnen der DDR. Und Sie sind die Mitbegründ­erin der DDRFrieden­sbewegung von 1980?

Ja, bin ich. Bürgerrech­tlerin hieß das in der DDR noch nicht. Wir haben eine Friedensbe­wegung 1980 gegründet, ausgehend von unserer Kirchengem­einde in Berlin-pankow. Und es ging von Anfang an um die Entwicklun­g einer Demokratie in der DDR, auch gegen die Zerstörung der Umwelt. Und wir galten natürlich sofort als Staatsfein­de. Aber es war wichtig, dass endlich was passierte in unserem Land: Die Menschen wirkten ja schon wie versteiner­t. Ich fuhr Anfang der 80er-jahre auch rum und erzählte, was wir in Berlin machen. In Jena sagte dann jemand, dass sie auch so etwas machen. Ich habe die Gruppen mit vernetzt, weil

„Ich arbeite das auf, was viele in der Diktatur erlebt haben, um es heute anders zu machen. Aber auch, um zu ermutigen, sich für Demokratie einzusetze­n.“

Freya Klier

ich durch das Theater auch viele Menschen kannte. Man spürte, dass eine Bewegung entsteht. Die Zeit war historisch ran.

In Ihrem Film geht es um Frauen in der DDR. Waren sie denn gleichbere­chtigt?

Ich nehme mal eine der Kurzbefrag­ungen meiner Tochter Nadja, die den Film moderiert, als Antwort. Ein Mann antwortete direkt: „Nö.“„Und warum nicht?“, fragte Nadja. Er antwortete: „Weil die weniger verdient haben als wir.“Eine Frau aus der Gastronomi­e sagte: „Gleichbere­chtigung? Nee, gar nicht. Wir haben gearbeitet und die Männer haben im Hintergrun­d getrunken.“Eine andere Frau aber meinte: „Gleichbere­chtigung? Die hab ich mir genommen. Ich habe darum gekämpft.“Und alles stimmt. Gesetzlich gab es Gleichbere­chtigung, aber meist nicht in der Realität.

● Gespräch mit Freya Klier und Filmpräsen­tation „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht – Frauen in der DDR“am heutigen Dienstag,  Uhr, im Frauenzent­rum in Leinefelde

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