Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Goethes zorniger Ruf gegen den Sexismus am Theater

- VON PROF. DR. DETLEF JENA

Es ist ein wahres Glück, dass dieses heikle Thema am Vorabend des diesjährig­en Todestags von Goethe enthüllt werden darf. Angesichts einer bizarren aktuellen Debatte führt kein Weg daran vorbei: Goethe hat sich in Weimar mit der ganzen Autorität seiner Persönlich­keit in die Theaterkul­issen geworfen, um das weibliche Bühnenpers­onal vor jeglicher Art von damals offenbar grassieren­den Formen der Unmoral zu bewahren.

Das Thema hat „Die Zeit“bereits im Jahre 1949 unter dem treffenden Goethezita­t „Man lache nicht“zum ersten Mal aufgeworfe­n. Das Blatt ist seiner moralische­n Tradition im Kampf gegen pseudoerot­ische Entgleisun­gen bedeutende­r Mimen wahrhaft treu geblieben.

Goethe war der Meinung, „das Theater ist bloß für Männer und Frauen, die mit menschlich­en Dingen bekannt sind.“Junge Mädchen haben dort nichts zu suchen! Der Job ist derart mit „menschlich­en Dingen“belastet, dass man auf ihre erwachende­n zarten Seelen und Körper keine Rücksicht nehmen kann. Eigentlich mochte er, wie man allerorten lesen kann, junge Mädchen recht gerne, aber die bedingungs­lose Hingabe an die Kunst verlangte entsagende Opfer. Lockere Unsitten, die bei den Wandertrup­pen des „fahrenden Volks“normal gewesen sein mochten, hatten an einem Hoftheater nichts zu suchen und waren durch strenge Grundsatzr­egeln für die Schauspiel­er, als auch durch deren tagtäglich­e strenge Erziehung auszuschli­eßen. Dabei kam es schon einmal vor, dass die Grenzen zwischen höfi scher feinsinnig­er Etikette, respektvol­lem Umgang mit der Persönlich­keit der Artisten und Bauernrock groben Pöbeleien überschrit­ten wurden. Die bekannten einundneun­zig „Regeln für Schauspiel­er“und die tagtäglich­e Theaterpra­xis gingen Hand in Hand.

Es ist erfreulich: kein Dokument und keine exakte Spätaussag­e ist überliefer­t, aus denen mit schamvolle­n Worten von persönlich­en körperlich­en Gewalttate­n gegenüber um Bühnenroll­en buhlenden Frauensper­sonen berichtet wird und gegen die Goethe mutig einschreit­en musste.

Wir wollen nicht relativier­end ins Feld führen, dass er gemeinsam mit seinem Herzog während der „Geniezeit“von 1775/76 das frisch vermählte Ehepaar Bertuch in dessen bescheiden­er Wohnung heimgesuch­t und dabei die Einrichtun­g zertrümmer­te, was einen psychische­n Schock bei der jungen Frau Bertuch ausgelöst hat.

Nein, der individuel­le gewalttäti­ge Übergriff ist schon schlimm, die geistige Urhebersch­aft aber noch weit bedrückend­er. Wenn Goethe überhaupt nur Frauen am Theater erlaubte, „die mit menschlich­en Dingen bekannt sind“, dann schloss das mutmaßlich auch die komplizier­ten Wechselver­hältnisse zwischen Mann und Frau ein. Nicht umsonst verlangte Paragraph 45 seiner Regeln: „Die neumodisch­e Art, bei langen Unterkleid­ern die Hand in den Latz zu stecken, unterlasse­n sie gänzlich.“Doch es ging um mehr, als um die zügellose Befriedigu­ng ausschweif­ender Triebe.

Es kam sogar vor, dass ein sündiger Mime oder eine sündige Mimin mit Hausarrest bestraft werden musste. Und damit der Schauspiel­er zu Hause keinen betriebsfr­emden Unfug trieb, verordnete der Intendant: „Wenn ein Mann seiner Frau die Augen blau schlägt, so kann das sehr theatralis­ch werden, wenn sie gerade an dem Abend eine Liebhaberi­n zu spielen hat. Es sollte deshalb bei dieser Gelegenhei­t sehr deutlich ausgesproc­hen werden, daß ein Akteur, der seine Frau prügelt, von Kommission­s wegen sogleich auf die Hauptwache geführt wird.“Richtig – nicht erst jahrelange­r verbissene­r Frust! Schließlic­h wurde jeder Landstreic­her aufgegriff­en und selbst beim Mundraub zur Beseitigun­g städtische­r Fäkalien aufgeboten.

Ebenso entschiede­n ging Goethe gegen einschlägi­ge Verfehlung­en des Publikums vor, damit die Schauspiel­er ungestört ihre reine Kunst darbieten konnten und jeder Zuschauer wusste: in diesem Ensemble ging es auch in moralische­r Hinsicht ohne Fehl und Tadel zu! Daher auch der berühmte zornige Ausruf: „Man lache nicht!“Und im Lichte der reinen Theatersee­len dürfte es auch nicht verkehrt sein, den Wutausbruc­h des Herzogs Carl August neu zu bewerten, der Weimar erschütter­te, als ein Zuschauer es wagte, im Theater zu pfeifen: „Wer ist der freche Mensch, der sich untersteht, in Gegenwart meiner Gemahlin zu pfeifen! Husaren, nehmt den Kerl fest!“Wie man weiß, war Herzogin Louise eine fromme Dame, der die Moral über Tanz und Ball ging. Goethe war ihr da sehr vertraut.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany