Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Erfurter Bäume kennen keine Hindernisse
Gartenbauamtsleiter Jens Kratzig erklärt, wie es zu dem Kuriosum kommen konnte. Leser hatte ähnlichen Fund gemacht
ERFURT. Als unser Fotograf Marco Schmidt kürzlich von einem Außentermin zurück in die Redaktion kam, hatte er ein wundersames Foto im Gepäck. Was er mit seiner Kamera festgehalten hatte, wollte er direkt allen präsentieren. Ungläubig versammelten sich die Kollegen um seinen Monitor.
Ob der Baum, den Schmidt am Flutgraben hinter dem Haus der sozialen Dienste am Johannesufer fand, nur präpariert wurde und das Geländer durch ein gebortes Loch geschoben wurde, sollte Jens Kratzig, der Leiter des Gartenamtes aus Erfurt erklären: „Anders als Menschen oder Tiere ist es Bäumen nicht möglich starren Hindernissen auszuweichen oder sich von in Wurzeln, Stamm oder Ästen eingedrungenen Fremdkörpern zu entledigen“, sagte der Experte.
Um das Geländer herum gewachsen
Um mit diesem Problem zurecht zu kommen, versuche der Baum zunächst am Hindernis vorbei zu wachsen, sei das nicht möglich, löse er das Problem damit, indem er um das Hindernis herumwachse, wie im Bild mit der Geländerstange zu sehen sei. Ein durch Menschen vor Jahren eingeschraubter und dann vergessener Isolator werde umwachsen, wie das zweite Bild zeige.
Die Entdeckung hatte unser Erfurter Leser Bernd Dittmann eingeschickt. „Wir haben diese Rarität beim Sägen von Brennholz entdeckt. Es gab Funken und mein Bruder wollte der Ursache auf den Grund gehen“, sagte Dittmann.
„Die Umwachsung des Fremdkörpers geht von der ständigen Zellteilung des Kambiums aus. Dadurch wachsen neu gebildete Holzzellen ständig nach außen und innen,der Durchmesser des Stammes vergrößert sich. Der Fremdkörper wird so Jahr für Jahr millimeterweise umschlossen bis er völlig im Holz verschwindet“, erklärte Dittmann das Phänomen. Das Stück eingewachsenes Holz am Johannesufer wurde allerdings nicht bewusst am Geländer belassen. „Vermutlich wurde nach der Fällung des Baumes einfach vergessen nachzuarbeiten.
Es ist inzwischen auch nicht mehr nachvollziehbar, wann genau sich dies zugetragen hat“, sagte Kratzig. Auf jeden Fall werde das Amt das Geländer in den nächsten Wochen von dem Stammstück befreien. Zudem sollen die Mitarbeiter aufgefordert werden, künftig bei ähnlichen Fällen gleich nach der Pflegemaßnahme die Reste zu beseitigen. Wer dieses Wunder der Natur noch live sehen möchte, sollte sich also beeilen und zum Johannesufer aufbrechen.