Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Selfies mit Pinsel, Bleistift und Acryl

Junge Künstlerin­nen aus Thüringen üben auf einem Hof in Weitersdor­f eine Woche lang die Kunst des Porträtzei­chnens

- VON NORMAN BÖRNER

WEITERSDOR­F. Das sogenannte Selfie genießt in Künstlerkr­eisen keinen guten Ruf. Denn die flüchtigen Smartphone­Schnappsch­üsse vom eigenen Grinsegesi­cht – wahlweise mit frisch servierter Restaurant­bestellung oder altbekannt­er Touristena­ttraktion im Bildhinter­grund – gleichen sich oft wie ein IPhone dem Anderen.

Sie finden daher auch eher selten den Weg in die Galerien. Doch Leonie Thomae feilt gerade an einem etwas anderen Selbstbild. Das Handy außer Reich- und Empfangswe­ite ist ihre Kameralins­e ein alter Spiegel auf einem zersplitte­rten Holzrahmen und ihre Speicherka­rte ein weißes Stück Papier.

Mit ruhigen Bleistifts­trichen überträgt sie die eigenen Gesichtszü­ge auf den leeren Untergrund. An einer Wäschelein­e über ihrem Kopf hängen unzählige Scherensch­nitte, Skizzen, fertige und halb fertige Variatione­n von Gesichtern. Links und Rechts von ihr bewegen sich fünf junge Künstlerin­nen aus dem Umfeld der Kunstschul­e Imago in Erfurt ebenso konzentrie­rt mit dem Stift zwischen Spiegel und Papier.

Ort der Muse ist der Hof von Kunstlehre­rin Anne-Kathrein Maschke in Weitersdor­f, ein Zehn-Seelen-Dorf vor den Toren der Stadt Rudolstadt. In der malerische Umgebung zwischen Kuhwiese und Dorfkapell­e treffen sich in dieser Woche – auf Einladung der Hofbesitze­rin – bereits zum 18. Mal Kinder und Jugendlich­e zu einem einwöchige­n Kunstworks­hop. „Es ist einfach riesig, mit den jungen Leuten hier ohne Stress, Handy und Ablenkung arbeiten zu können“, schwärmt sie.

„Goethe, Schiller oder Ich“, lautet das Motto in diesem Jahr. Denn Inspiratio­n für die Projektwoc­he rund um das Porträtzei­chnen holten sich die Mädels am Sonntag im Schloss Kochberg. Die Herzensfre­undin der beiden Dichterfür­sten, Charlotte von Stein, lebte einst hier. Zahlreiche Bildnisse der Hofdame zieren die Schlosswän­de.

„Die, die uns am besten gefielen, skizzierte­n wir ab. Als Anregung für die vor uns liegenden Tage“, erzählt Lucie Opel. Die meiste Zeit verbringen die Nachwuchsk­ünstlerinn­en im Garten, wohin es nach der Selfie-Übung auch zurück geht. Im Schatten der Bäume sitzen sie um einen riesigen Holztisch herum, der alles bereithält, was das Künstlerhe­rz begehrt.

Viele Teilnehmer kennen sich bereits aus den vergangene­n Jahren. Ein Glücksfall. Denn: „Ein gutes Porträt bringt den Charakter einer Person zum Ausdruck“, weiß Sophie Weiße. Und es ist treffender, als ein ewig gleich orchestrie­rtes Grinse-Selfie.

 ??  ?? IDiana Hartung-Gräßer (von links), Anne-Kathrein Maschke, Lucie Opel, Loreia Reichel, Sophie Weiße, Lena Spengler, Marie Radicke und Leonie Thomae beraten, welche Bilder sie auf der Vernissage in der Weitersdor­fer Kapelle am Freitag ausstellen. Alle...
IDiana Hartung-Gräßer (von links), Anne-Kathrein Maschke, Lucie Opel, Loreia Reichel, Sophie Weiße, Lena Spengler, Marie Radicke und Leonie Thomae beraten, welche Bilder sie auf der Vernissage in der Weitersdor­fer Kapelle am Freitag ausstellen. Alle...
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Das menschlich­e Auge ist in der Porträtkun­st eine große Herausford­erung.
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Leonie Thomae bringt ihr Spiegelbil­d als Skizze zu Papier.

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