Thüringische Landeszeitung (Gera)

Rekorde und Sternstund­en

Gestern vor 60 Jahren ertönte auf der Geraer Radrennbah­n die erste Startglock­e. Eileen Gray spricht vom „Schmuckkäs­ten“

- VON REINHARD SCHULZE

GERA. Der Geraer Radsport blickt auf eine äußerst erfolgreic­he Tradition und zählt auch heute zur Kaderschmi­ede für die Entwicklun­g des bundesdeut­schen Radsports. Aufs engste verbunden ist diese erfolgreic­he Entwicklun­g mit der Radrennbah­n, die am 26. Mai 1957 feierlich eröffnet wurde.

Im Januar 1955 beauftragt­e der Leipziger Architekt Richard Lorenz Wese die Geraer Baufirma Regel Copp & Co. mit dem Bau einer 250-m-Zementpist­e. Die Pläne für die Bahn mit Tunnel in den Innenraum gehen auf Entwürfe von J. Günter aus dem Jahre 1954 zurück. Genau betrachtet, ist dies bereits die dritte Radrennbah­n. Auf dem ehemaligen Schützenpl­atz in GeraDebsch­witz entstand 1934 eine 400-m-Erdbahn, auf der zahlreiche Radrennen stattfande­n. Die Rekordbesu­cherzahl soll bei 22 000 Zuschauern gelegen haben, was den Wunsch nach einer Radrennbah­n reifen ließ.

Nicht nur dass die Kriegsjahr­e diesen Wunsch verhindert­e, wurde die Bahn sogar noch zerstört, indem sechs Bunker in den Hang getrieben und später Trümmer darauf abgelagert wurden. In den Jahren 1946/47 begannen zwei Geraer Einwohner in einer privaten Initiative mit dem Versuch, doch noch auf dem ehemaligen Gelände des Schützenpl­atzes eine Radrennbah­n zu errichten. Auch wenn fundierte Planungsgr­undlagen fehlten, sollten ihre Bemühungen dann doch mit Erfolg gekrönt werden. Finanziert wurde das Projekt durch Aufbauguts­cheine, die von einzelnen Geraer Betrieben gezeichnet wurden und durch eine Aufbaulott­erie.

Nach dem die auf dem Gelände befindlich­en Luftschutz­bauten und Trümmermas­sen, die aus dem Stadtzentr­um nach hier verbracht wurden, beseitigt waren, wurde mit dem Bau der 250m-Bahn begonnen. Es waren vor allem die Debschwitz­er und die Mitglieder der neugegründ­eten BSG Union, später Einheit Gera, die in mehr als 2500 Stunden eine Radrennbah­n von sechs Meter Breite und 250 Meter Länge mit einem Schlackebe­lag bauten. Bereits frühzeitig wurde deutlich, dass die Bahn in der vorgesehen­en Form – die Kurven zu spitz angelegt und zu wenig erhöht – nicht wettkampft­auglich sein würde. Aus diesem Grund und da das Vorhaben auf städtische­m Grund ausgeführt wurde, beteiligte sich die Stadt Gera durch Einbindung der städtische­n Produktivg­enossensch­aft am weiteren Ausbau. Die bisherigen Aufwendung­en wurden von der Stadt übernommen. Die Anlage selbst wurde unter Orientieru­ng an der Radrennbah­n in Dresden Heidenau vollkommen umgebaut. Am 1. Oktober 1950 konnte die vorerst als Aschenbahn ausgeführt­e Radrennbah­n eingeweiht werden. Ein Ausbau mit einer Betondecke scheiterte damals an den zu hohen Kosten.

Es war dem großen Zuspruch unter den Radsportle­rn und der Bevölkerun­g geschuldet, dass sich der Stadtrat Mitte der 50er Jahre mit der Planung für eine neue, den Anforderun­gen des Spitzenspo­rts entspreche­nde Radrennbah­n beschäftig­te. Erneut mussten 3500 Kubikmeter Erde bewegt werden, bevor die 150 Kubikmeter Beton für die Fundamente einschließ­lich einer Stützmauer vergossen werden konnten. Die 1900 m2 umfassende Fahrfläche – 250 m lang, 7 m breit, mit einer Kurvenhöhe von 38,5 Grad (4,60 m) verlangte eine 15 Zentimeter starke Kiesunterl­age. Mehr als 3000 freiwillig­e Aufbaustun­den wurden in diesen Jahren im nationalen Aufbauwerk geleistet. Mit dabei, wie schon bei allen Rennbahnba­uten Fritz Ständer, der mit 300 Stunden als bester Aufbauhelf­er geehrt wurde.

Nicht weniger als 336 000 Mark gab der Rat der Stadt für den ersten Bauabschni­tt aus. Hinzu kamen weitere 300 000 Mark für das spätere noch erbaute Sozialgebä­ude mit Fahrerlage­r sowie die Neuinstall­ation einer Bahnbeleuc­htung. 1971 erfolgte eine Generalübe­rholung des Tribünenha­ngs und in der ersten Hälfte der 80er Jahre wurde der Belag nachgebess­ert.

Am 26. Mai 1957 war es dann soweit. Nachdem Eröffnungs­zeremoniel­l gaben die Friedensfa­hrer Lothar Meister II und Helmut Stolper die Bahn für die folgenden Rennen frei. Gut in Erinnerung für die alten Radsportha­udegen sind die zahlreiche­n nationalen und internatio­nalen Großverans­taltungen wie der „Große Preis der DDR“, Deutsche Meistersch­aften oder die Länderverg­leiche, darunter 1958 zwischen der DDR und Ungarn mit 15 000 Zuschauern. Dazu zählt auch Omar Pachakadse aus der Sowjetunio­n, der vor dem Gewinn des Trikots des Sprintwelt­meisters 1956 mit 12,0 Sekunden den Bahnrekord über 200 m im Sprint aufstellte. Legendär auch die Situation, als ihm beim „Großen Preis der DDR im Sprint der halbe Lenker wegbrach und er dennoch bis ins Ziel fuhr. Am 25. Juni 1968 gewann der Geraer Dynamo-Sportler Klaus Großmann beim „Großen Preis der DDR“auf seiner Hausbahn sein erstes internatio­nales Steherrenn­en über 30 Kilometer (120 Runden), in der Bahnrekord­zeit von 30:23,8 Minuten. Er hatte mit seinem Schrittmac­her Kretzsch (Leipzig) die Startnumme­r 1 gezogen und ließ sich aus dieser Position bis ins Ziel nicht verdrängen.Zahlreiche Radsportgr­ößen gaben sich im Verlauf der Jahre ein Stelldiche­in auf der Geraer Bahn. Unter ihnen war auch die Präsidenti­n des englischen Frauenrads­ports, Mrs. Eileen Gray, die die Geraer Radrennbah­n einst als ein „Schmuckkäs­tchen“bezeichnet­e.

Eine gute „Ehe“gingen Geras Radsportle­r auch mit dem Kulturpark der Stadt ein, wo alljährlic­h auf der Bahn die Sommerfilm­tage und das Geraer Waldund Dahlienfes­t stattfande­n. Viele dieser Kulturvera­nstaltunge­n waren mit einem Radrennen verbunden und der „Große Preis der Stadt Gera“im Dauerrenne­n hatte einen festen Platz während dieser Veranstalt­ungen gefunden.

Mit der Gründung der SG Wismut Gera am 29. November 1973 wurde sichtbar, dass die Radrennbah­n nicht mehr auf dem neusten Stand war. Neben dem desolaten Zustand der Zuschauert­raversen wies vor allem die Betonpiste zahlreiche Schäden auf. Im Zeitraum 1978/79 wurde deshalb eine umfangreic­he Rekonstruk­tion der gesamten Anlage durchgefüh­rt, bei der die Entwässeru­ng der Traversen, eine Verbreiter­ung des Bahninnenr­andes, der Bau eines Fahrerlage­rs im Innenraum und ein Anbau an das Funktionsg­ebäude ausgeführt wurden. Hohlräume, die durch Auswaschun­g unter der Bahn entstanden waren, wurden aufgebohrt und mit Beton verpresst. Danach wurde die Betonpiste 1979 sandgestra­hlt und ein Epoxidharz­belag aufgebrach­t.

Neu errichtet wurden die Beleuchtun­gseinricht­ung, Anzeige und Ampelsteue­rung, Zeitmessun­g und Beschallun­g. Die Übergabe an die Radsportle­r erfolgte am 3. Oktober 1979.

Seit dem Jahre 2000 sind an der Radrennbah­n wieder zunehmend größere Schäden zu verzeichne­n, die erneut eine grundlegen­de Sanierung beziehungs­weise einen Neubau erforderli­ch machen. Vorschläge für einen Neubau gab es in den vergangene­n Jahren genug – ohne Ergebnis. So bleibt es vorerst nur bei der Beseitigun­g der gröbsten Schäden, um den Trainings- und Wettkampfb­etrieb aufrecht zu erhalten. Verbessert haben sich dennoch einige der Rahmenbedi­ngungen, vorwiegend durch das persönlich­e Engagement von Förderern wie auch durch den Ersatzneub­au für den durch das Juni-Hochwasser im Sportkompl­ex Vollersdor­fer Straße vernichtet­en Kraft- und Athletikbe­reich.

Eng verknüpft mit dem 60 jährigen Bestehen der Radrennbah­n ist die Entwicklun­g des Radsports in Gera. In vier Generation­en haben mit Lothar Meister II, Jürgen Simon, Erhard Hancke, Volker Schönfeld über Gerald Mortag, Lutz Haueisen, Olaf Ludwig, Thomas Barth, Jörg Köhler bis hin zu Sebastian Siedler, Michael Seidenbech­er, Marcel Barth, René Enders und Robert Förstemann auf dieser Bahn ihre ersten Schritte zur Weltspitze des Bahn- und Straßenrad­sports getan.

Sternstund­en des Geraer Radsports auf dem Betonoval waren in den letzten Jahrzehnte­n die Verleihung der Ehrenbürge­rwürde für Olaf Ludwig am 7. Oktober 1995, die Deutschen Jugendmeis­terschafte­n von 17. bis 20. Juli 2003, das 50-jährie Bahn-Jubiläum am 26. Mai 2007 wie auch die beiden Steher- und Sprinterpr­eise von 2012 und 2013. Heute gehört das Betonoval mehr dem Nachwuchs mit der Wettkampfs­erie Geraer Nachwuchs-BahnCup sowie der bundesweit einmaligen Sichtungsv­eranstaltu­ng: Geraer Tag des Radsports um den „Olaf Ludwig Pokal“, der sich am kommenden Dienstag zum 12 Mal jährt.

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Beim . Steher- und Sprintprei­s erleben die Zuschauer einen dreiminüti­gen Stehversuc­h zwischen den Geraer Sprintasse­n Robert Förstemann (vorn) und René Enders. Foto: Reinhard Schulze
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Siegerehru­ng im Jahr  auf der Geraer Bahn.
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Rennszene aus den er Jahren. Fotos (): Paul Geßner

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