Thüringische Landeszeitung (Gera)
Mehr Anzeichen für Misshandlungen
Zahl der Inobhutnahmen stieg 2017 um ein Drittel – viele Jugendliche bitten selbst um Schutz
ERFURT. Im vergangen Jahr nahmen die Thüringer Jugendämter in 160 Fällen Kinder nach Anzeichen für Misshandlungen in ihre Obhut. Dem Statistischen Landesamtes (TLS) zufolge ist das die mit Abstand höchste Zahl an Schutzmaßnahmen seit über 20 Jahren. In 24 Fällen wurden die Ämter nach Anzeichen von sexueller Missbrauch aktiv.
„Insgesamt wurden 2017 in Thüringen fast 1800 vorläufige Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche in Form von vorläufigen und regulären Inobhutnahmen durchgeführt“, sagt Marie Krumbholz, Leiterin des Referates Bildung und Sozialwesen beim TLS. Einer der Hauptgründe sei die Überforderung der Eltern. Auch die Zahl der Vernachlässigungen bleibt auf Nachwende-Höchststand. In zwei Drittel der Fälle wurden Ämtern oder sozialen Diensten von sich aus aktiv. Doch Kinder und Jugendlichen bitten auch selbst um Hilfe. In einem Drittel der Fälle konnten Kinder zu Sorgeberechtigten zurückkehren.
Gegenüber den Jahren 2015 und 2016 mit jeweils mehr als 2000 Inobhutnahmen wurden damit zwar weniger Schutzmaßnahmen registriert. Mitgezählt wurden da aber noch unbegeleitete minderjährige Flüchtlinge, die in die Zuständigkeit der Jugendämter fallen. Seit 2017 werde diese Gruppe gesondert erfasst. Das schränke zwar die Vergleichbarkeit der Zahlen ein, sagt Krumbholz. Allerdings ge- langten die Jugendämter nach Anzeigen häufiger zu der Einschätzung, dass das Kindeswohl tatsächliche in Gefahr war. Ob es sich um eine Zunahme der Gefährdungen oder der Sensibilität bei dem Thema handelt, lässt die Statistik offen.
Wie eine Umfrage unserer Zeitung unter Jugendämtern ergab, setzt sich der Negativtrend fort. So wurden im Landkreis Eichsfeld 2017 durch den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD)
160 Anzeigen geprüft. Bis Mai
2018 hätten den Mitarbeiter bereits 49 Meldungen zur Prüfung vorgelegen, von denen jede fünfte als kindeswohlgefährdend eingestuft wurde. Im Kreis Saalfeld-Rudolstadt wurden 2017 insgesamt 125 Meldungen geprüft, 2018 lagen bis Ende April schon merh als 40 Meldungen vor. „Im vergangenen Jahr mussten 35 Minderjährige ohne Migrationshintergrund und 30 unbegleitete minderjährige Ausländer vom Jugendamt in Obhut genommen werden, in diesem Jahr erfolgten bis Ende April die Inobhutnahme von 29 Minderjährigen ohne und drei Minderjährigen mit Migrationshintergrund“, so Sprecher Peter Lahann. In Jena klärt der ASB der Sprecherin Roswitha Putz zufolge jährlich 300 bis 350 Hinweise zu Gefahren für Heranwachsende. „Zwischen Juni 2014 und Mai 2018 wurde in 1100 Fällen Anzeichen für Misshandlungen und Vernachlässigungen nachgegangen“, so Putz. ●