Thüringische Landeszeitung (Gotha)
g zerstr tten in die Sommerpause
Das Klima zwischen Regierungsfraktionen und der CDU ist so schlecht wie selten zuvor
In einer Demokratie ist die Aufgabe der Opposition, das, was die Regierung und die sie tragende Koalition tut oder lässt, kritisch zu hinterfragen. Damit die Mächtigen auf Zeit in ihrer machtvollen Zeit nicht nach Belieben schalten und walten können. Deshalb ist es im Sinne des Systems, dass sich Opposition und Regierung in vielen Dingen nicht einig sind, sondern aus verschiedenen Perspektiven auf die gleichen Sachen blicken. Aber Demokratie funktioniert trotzdem nicht richtig, wenn sich das Regierungs- und das Oppositionslager fast nur noch gegenseitig beschimpfen und sich Arbeitsverweigerung vorwerfen – statt die Argumente der Gegenseite wenigstens zu prüfen. So wie das gerade in Thüringen der Fall ist, wo sich Linke, SPD und Grüne auf der einen und vor allem die CDU auf der anderen Seite fast nur noch mit nicht nett-gemeinten Pauschalurteilen überziehen. In die Sommerpause geht die Landespolitik deshalb tief, ja völlig zerstritten.
Selten ließ sich das zuletzt so gut beobachten wie während jener Aktuellen Stunde, die auf Antrag der CDU in diesem letzten Landtagsplenum vor der Sommerpause diskutiert worden war. Titel: „Vermurkste Reformen und Zweifel an der eigenen Handlungsfähigkeit im Kabinett des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow“. Die Debatte dazu war schließlich noch schärfer, noch härter, noch unfreundlicher als diese Überschrift es erwarten ließ – eben weil es derzeit keine Grundlage für ernsthafte Gespräche zwischen Rot-Rot-Grün und der CDU gibt. Nicht bei der Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform. Nicht bei der Inneren Sicherheit. Nicht bei der Haushaltspolitik. Nicht bei der Bildung. Obwohl all diese Politikfelder für die Zukunft des Freistaats von höchster Bedeutung sind.
Da war zum Beispiel der CDU-Fraktionsvorsitzende Mike Mohring, der auch in dieser Debatte der Koalition vorwarf, nur politisch gescheiterte Menschen in die Regierung berufen zu haben oder sich an der Zukunft der Thüringer Kinder zu versündigen, weil das Dreierbündnis die Probleme mit dem Unterrichtsausfall nicht in den Griff bekomme. Mehrfach hatte sich Mohring dabei auch auf die vor wenigen Tagen öffentlich gewordene E-Mail des Chefs der Thüringer Staatskanzlei, Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), bezogen, in der dieser davor gewarnt hatte, dass der Landesregierung die Handlungsunfähigkeit drohe, wenn sich die rot-rotgrünen Ministerien weiterhin gegenseitig im Regierungskabinett blockierten. Was Mohring dann final dazu trieb zu behaupten: „Niemand in dieser Regierung kann es, diese Regierung kann es nicht.“
In ihrer Erwiderung auf diese Grundsatzkritik standen die Rot-Rot-Grünen Mohring in nichts nach – und warfen ihrerseits der CDU vor, als Oppositionspartei völlig zu versagen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey zum Beispiel sagte, die CDU komme ihm vor wie jemand, der sich im Liegestuhl mit einem Cocktail in der Hand amüsiere, während die Koalition in der Hitze für das Land arbeite und schwitze. Hoff wurde sogar noch giftiger: „Sie machen zurzeit nichts weiter als zu sagen: Die machen’s falsch!“, sagte er. Die CDU mache seit Langem keinen einzigen konstruktiven Vorschlag zur Landespolitik, so der Vorwurf von Hey. Und weiter: „Sie haben jede Verpflichtung bisher verfehlt, zu sagen, was Sie eigentlich tun wollen und an welcher Stelle Sie etwas besser machen würden.“
Was an dieser verbalen Konfrontation besonders bitter ist: Die CDU-Vorwürfe an die Regierung und die Koalition sind in ihrer Pauschalität ebenso ungenau und falsch, ja populistisch wie es die rot-rot-grünen Vorwürfe in Richtung CDU sind. Denn selbstverständlich hat Rot-Rot-Grün zuletzt eigene politische Akzente gesetzt – zum Beispiel bei der Einführung des für Eltern beitragsfreien KitaJahrs. Und ebenso selbstverständlich hat die CDU eigene Vorstellungen für eine Verbesserung des Thüringer Schulsystems vorgelegt.
Nicht mal die etablierten Parteien im Freistaat allerdings scheinen derzeit in der Lage zu sein, ihre gegenseitige Arbeit zu den großen Themen des Landes anzuerkennen und zu merken, dass Arbeit auch das ist, was den eigenen politischen Vorstellungen nicht entspricht. Das ist kurz vor der Sommerpause nicht weniger gefährlich als kurz danach.