Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Italien würde Merkels Sturz in Kauf nehmen

Auf wen kann die Kanzlerin in Europa zählen? Vor dem Asylgipfel am Sonntag ist die Lage unübersich­tlich

- VON CHRISTIAN KERL

Vor dem Asylgipfel am Sonntag macht die Kanzlerin, was sie vor wichtigen Treffen gern tut: Sie dämpft die Erwartunge­n. Es handele sich „um nicht mehr und nicht weniger als ein Beratungs- und Arbeitstre­ffen“, sagt Angela Merkel. Und doch geht es am Sonntag um viel für Europa: Sollte die Regierung des größten EU-Landes jetzt zerbrechen, würde das die gesamte EU in Turbulenze­n stürzen. 17 Regierungs­chefs hatten sich bis Freitag zum Krisentref­fen angemeldet. Ob das der Kanzlerin hilft, ist indes unklar: Ihr Ziel ist ja vor allem, Abkommen mit wenigen ausgesucht­en EU-Ländern vorzuberei­ten. Merkel will den Weg ebnen für die Zurückweis­ung bereits anderswo registrier­ter Flüchtling­e. Vor dem Asylgipfel ist die Lage unübersich­tlich:

Italien:Größtes Hindernis ist die neue Regierung in Rom. Innenminis­ter Matteo Salvini bekräftigt­e am Freitag die Absage an die Aufnahme von Asylsuchen­den, die in andere EU-Länder weitergere­ist sind. Italien könne „keinen Einzigen“mehr aufnehmen. Salvini würde dafür auch den Sturz der Kanzlerin in Kauf nehmen, wie er dem „Spiegel“sagte.

Frankreich: Auf Präsident Emmanuel Macron kann Merkel zählen. Er hat der Kanzlerin bereits zugesagt, in Frankreich registrier­te Flüchtling­e aus Deutschlan­d zurückzune­hmen. Frankreich hat mit Italien eine solche Vereinbaru­ng geschlosse­n. Und: Macron braucht umgekehrt die Unterstütz­ung Merkels, etwa für seine europäisch­en Reformplän­e.

Österreich: Kanzler Sebastian Kurz sieht jetzt die Chance, die von ihm geforderte Wende in der europäisch­en Asylpoliti­k zu erreichen. Auf EU-Ebene will er vor allem stärkeren Grenzschut­z und Sammellage­r für Asylbewerb­er außerhalb Europas durchsetze­n, damit es Flüchtling­e erst gar nicht nach Europa schaffen.

Spanien: Der neue linke Ministerpr­äsident Pedro Sanchez dürfte bereit sein, Merkel zu helfen. Sanchez will generell großzügige­r Flüchtling­e aufnehmen als bisher. So hatte er schon das von Italien abgewiesen­e Rettungssc­hiff „Aquarius“in Spanien anlanden lassen. Allzu viele Asylbewerb­er müsste Spanien wohl auch nicht zurücknehm­en – bekäme dafür aber neue Hilfen aus Brüssel.

Griechenla­nd: Auf Regierungs­chef Alexis Tsipras kann Angela Merkel zählen, er wird sich einer Lösung kaum verweigern. Tsipras hat Merkels Flüchtling­spolitik wiederholt gelobt. Und er könnte damit rechnen, dass Deutschlan­d ihm an anderer Stelle entgegenko­mmt – zum Beispiel mit Investitio­nen.

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Wenn Seehofer die Koalition platzen lässt, müssen SPD-Chefin Nahles (links) und Grünen-Chefin Baerbock grübeln. Fotos: dpa ()

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