Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Italien würde Merkels Sturz in Kauf nehmen
Auf wen kann die Kanzlerin in Europa zählen? Vor dem Asylgipfel am Sonntag ist die Lage unübersichtlich
Vor dem Asylgipfel am Sonntag macht die Kanzlerin, was sie vor wichtigen Treffen gern tut: Sie dämpft die Erwartungen. Es handele sich „um nicht mehr und nicht weniger als ein Beratungs- und Arbeitstreffen“, sagt Angela Merkel. Und doch geht es am Sonntag um viel für Europa: Sollte die Regierung des größten EU-Landes jetzt zerbrechen, würde das die gesamte EU in Turbulenzen stürzen. 17 Regierungschefs hatten sich bis Freitag zum Krisentreffen angemeldet. Ob das der Kanzlerin hilft, ist indes unklar: Ihr Ziel ist ja vor allem, Abkommen mit wenigen ausgesuchten EU-Ländern vorzubereiten. Merkel will den Weg ebnen für die Zurückweisung bereits anderswo registrierter Flüchtlinge. Vor dem Asylgipfel ist die Lage unübersichtlich:
Italien:Größtes Hindernis ist die neue Regierung in Rom. Innenminister Matteo Salvini bekräftigte am Freitag die Absage an die Aufnahme von Asylsuchenden, die in andere EU-Länder weitergereist sind. Italien könne „keinen Einzigen“mehr aufnehmen. Salvini würde dafür auch den Sturz der Kanzlerin in Kauf nehmen, wie er dem „Spiegel“sagte.
Frankreich: Auf Präsident Emmanuel Macron kann Merkel zählen. Er hat der Kanzlerin bereits zugesagt, in Frankreich registrierte Flüchtlinge aus Deutschland zurückzunehmen. Frankreich hat mit Italien eine solche Vereinbarung geschlossen. Und: Macron braucht umgekehrt die Unterstützung Merkels, etwa für seine europäischen Reformpläne.
Österreich: Kanzler Sebastian Kurz sieht jetzt die Chance, die von ihm geforderte Wende in der europäischen Asylpolitik zu erreichen. Auf EU-Ebene will er vor allem stärkeren Grenzschutz und Sammellager für Asylbewerber außerhalb Europas durchsetzen, damit es Flüchtlinge erst gar nicht nach Europa schaffen.
Spanien: Der neue linke Ministerpräsident Pedro Sanchez dürfte bereit sein, Merkel zu helfen. Sanchez will generell großzügiger Flüchtlinge aufnehmen als bisher. So hatte er schon das von Italien abgewiesene Rettungsschiff „Aquarius“in Spanien anlanden lassen. Allzu viele Asylbewerber müsste Spanien wohl auch nicht zurücknehmen – bekäme dafür aber neue Hilfen aus Brüssel.
Griechenland: Auf Regierungschef Alexis Tsipras kann Angela Merkel zählen, er wird sich einer Lösung kaum verweigern. Tsipras hat Merkels Flüchtlingspolitik wiederholt gelobt. Und er könnte damit rechnen, dass Deutschland ihm an anderer Stelle entgegenkommt – zum Beispiel mit Investitionen.