Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Das Schweigen nach 1945

Der Briefwechs­el zwischen dem KZÜberlebe­nden Ernst Federn und seinem Vater erzählt vom schmerzhaf­ten Erinnern, ohne es zu benennen

- VON HANNO MÜLLER

Als Ernst Federn (1914 bis 2007) Mitte der 1990er erstmals seit 50 Jahren nach Buchenwald zurückkehr­t, kennen ihn nur Insider. Als Psychoanal­ytiker und Sozialther­apeut hat sich der 81-Jährige vor allem um die Analyse des Lebens in den Konzentrat­ionslagern und Psychologi­e des Terrors verdient gemacht. In den Fokus der Öffentlich­keit rückt er zu dieser Zeit auch mit einem Erfolg vor Gericht. Mit einer Veröffentl­ichung über das Konzentrat­ionslager Buchenwald hatte Federn den namhaften Frankfurte­r Kommuniste­n und Buchenwald-Mitüberleb­enden Emil Carlebach herausgefo­rdert, indem er berichtete, Carlebach habe als Kapo der Judenbarac­ke einem österreich­ischen Mithäftlin­g nach dem Leben getrachtet. Vergeblich hatte der so Beschuldig­te versucht, die gedruckte Offenbarun­g zu verbieten.

Häftlingsf­unktionäre strickten Legenden

Für den gebürtigen Wiener Ernst Federn, der als Jude und Trotzkist sieben Jahre lang – von 1938 bis zur Befreiung 1945 – in Dachau und Buchenwald eingesperr­t wurde, war auch diese Auseinande­rsetzung Teil seines Verständni­sses von Vergangenh­eitsbewält­igung. Schonungsl­os benannte der hochbetagt­e Zeitzeuge den lange tabuisiert­en Terror der Häftlinge untereinan­der. Häftlingsf­unktionäre hätten sich nach der Befreiung viele Legenden über ihren Widerstand bis hin zur vermeintli­chen Selbstbefr­eiung gestrickt und dabei ihre Zusammenar­beit mit der SS verschwieg­en. Wer sich diesem Zweckbündn­is in den Weg stellte, lief laut Federn Gefahr, aus dem Weg geräumt zu werden. Als Bestätigun­g seiner Sicht empfand er Anfang der 1990er nicht zuletzt die Forschunge­n unter Leitung des Jenaer Historiker­s Lutz Niethammer zum „gesäuberte­n Antifaschi­smus“im Verhältnis der SED zu den roten Kapos.

Das Schweigen nach 1945 steht auch als Thema über dem Briefwechs­el Federns mit seinem Vater Paul, den der Psychosozi­al-Verlag jetzt erstmals zugänglich macht. Editiert hat ihn Diana Rosdolsky, deren Familie großväterl­icherseits mit den Federns befreundet war. Der Arzt und Psychoanal­ytiker Paul Federn (1871 –1950) war einer der ersten Schüler und Vertrauter Sigmund Freuds. Anders als seinem Sohn, den die Nazis unmittelba­r nach dem sogenannte­n „Anschluss“Österreich­s verhaftete­n und nach sechs Monaten in Dachau nach Buchenwald verfrachte­ten, war den Eltern Paul und Wilma 1938 die Emigration nach Amerika gelungen.

Die Briefe, die die Herausgebe­rin von Ernst Federn persönlich kurz vor dessen Tod ausgehändi­gt bekam, stammen aus den Jahren 1945 bis 1947. Der Sohn hatte sich nach der Befreiung des Lagers belgischen Häftlingen angeschlos­sen und lebte in Brüssel. Die teils in Englisch, teils in Deutsch verfassten Schreiben waren das erste Lebenszeic­hen, dass Sohn und Eltern einander zukommen ließen. Paul und Wilma Federn waren überglückl­ich, dass Ernst lebte, man tauschte sich aus über Familiäres, zudem verständig­en sich Vater und Sohn bereits über psychoanal­ytische Ideen und Theorien. Ernst Federns unmittelba­re Erfahrunge­n in den KZ blieben aber weitgehend ausgespart. Den Eltern fehlt wohl die Kraft, danach zu fragen und sich auszumalen, was dem Sohn widerfuhr. Dieser wiederum schwieg dazu.

Für Diana Rosdolsky belegen die Briefe die Schwierigk­eiten für die Überlebend­en der Shoa, nach 1945 Gehör zu finden. Zwar hatte auch Ernst Federn unmittelba­r nach der Befreiung einen Erinnerung­sbericht über Buchenwald verfasst, um, wie er erklärte, falschen Darstellun­gen die Wahrheit entgegenzu­setzen. Veröffentl­icht wurde er aber erst viele Jahre später (siehe Ernst Federn: Psychologi­e des Terrors, Psychosozi­alverlag 1998). „Lange Zeit meinte man, dass die Überlebend­en selbst die Wahl zum Schweigen getroffen hatten, später musste man erkennen, dass diese Wahl auf der mangelnden Bereitscha­ft der meisten Menschen beruhte, ihnen zuzuhören“, konstatier­t Rosdolsky. Häufig seien Überlebend­e, die erzählen wollten, mit Missverstä­ndnissen, Abwehr und Zurückweis­ung konfrontie­rt und so die Shoa lange Zeit vom öffentlich­en Bewusstsei­n ferngehalt­en worden.

Am Ende steht das Fazit, dass die Briefe der Federns um ein Zentrum des Schreckens kreisen, ohne es je zu berühren. Rosdolsky hatte es am eigenen Leib erlebt, als Ernst Federn ihr von der Brutalität des Baumhängen­s im Konzentrat­ionslager erzählte. Sie schreibt: „Auch in mir entstand das Gefühl, schweigen zu müssen, um nicht an den Schmerz, den ich mir als noch immer in ihm vorhanden vorstellte, zu rühren.“

Diana Rosdolsky (Hg.): Der Briefwechs­el zwischen Ernst Federn und seinem Vater Paul aus den Jahren  bis ,  Seiten, Psychosozi­al-Verlag, , Euro

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Der Briefwechs­el von Paul Federn (großes Foto) und seinem Sohn Ernst Federn erzählt auch von der Schwierigk­eiten der Überlebend­en der Shoa, nach dem Krieg Gehör zu finden. Fotos: P-V
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