Thüringische Landeszeitung (Jena)

Das Geheimnis der Köttbullar

Ikea verkauft nicht nur Möbel, sondern ist auch GroßGastro­nom. Das Angebot wird für den Möbelhändl­er immer wichtiger

- VON ANTONIA THIELE

ERFURT. Vier Rentner passieren die Eingangstü­r des gelb-blauen Gebäudes, ignorieren die Wegweiser zu Billy-Regalen und Gardinen und fahren mit der Rolltreppe in den ersten Stock. Kaffeebech­er und Mandeltort­e aufs Tablett, bezahlen, freien Tisch suchen – wie die Familie mit Lachs und Fleischbäl­lchen auf den Tellern. Mittagszei­t bei Ikea. Das Restaurant ist voll, Besucher beladen Tabletts mit typisch schwedisch­en Speisen oder mit solchen, deren Namen danach klingen. Doch was haben Köttbullar und Zimtschnec­ken mit Möbeln zu tun? Und wie rechnen sich 3,95 Euro für einen Lachs-Burger und ein Euro pro Hotdog?

Statistisc­h gesehen bleibt jeder zweite Besucher des Möbelhause­s auch zum Essen. Hört man sich um, zeigt sich, dass es oft sogar umgekehrt ist: Viele Restaurant­gäste besuchen zusätzlich auch das Einrichtun­gshaus, schließlic­h sind sie ja schon einmal da.

„Die Restaurant­s spielen in den Ikea-Einrichtun­gshäusern schon seit den 70er-Jahren eine wichtige Rolle, da sie mit dazu beitragen, dass die Kunden sich beim Einkaufen wohlfühlen“, sagt Stavroula Ekoutsidou, Managerin von Ikea Food Deutschlan­d. Wem ein Teller Fleischbäl­lchen für 5,95 Euro dafür nicht reicht, kann den Einkauf auch mit Sekt verschöner­n.

Der Gastronomi­ebetrieb und der Verkauf von Lebensmitt­eln in den Shops, zusammenge­fasst unter Ikea Food, werden für Ikea immer wichtiger. 2016 trugen die Restaurant­s 221,1 Millionen Euro zum deutschen Gesamtumsa­tz von 4,754 Milliarden Euro bei. Das reicht für Rang acht unter den großen Gastrokett­en in Deutschlan­d. Das Ikea-Geschäft mit Lebensmitt­eln legte sogar um 8,3 Prozent zu – der Gesamtumsa­tz nur um 7,1 Prozent.

Dabei lief es nicht immer nur gut für die Ikea-Gastronomi­e. 2013 musste das Unternehme­n zwischenze­itlich sein beliebtest­es Gericht, die Köttbullar, aus dem Sortiment nehmen, nachdem in den Hackbällch­en Pferdeflei­sch nachgewies­en worden war, das da nicht hineingehö­rte.

Die Möbelkunde­n sind offenbar auch nicht mehr einzig mit niedrigen Preisen in die Restaurant­s zu locken. „Seit zwei Jahren haben wir auch verstärkt Gerichte und Lebensmitt­el im Sortiment, die gesünder und kalorienär­mer sind und auf verantwort­liche Weise mit Rücksicht auf Mensch und Umwelt und unter hohen Tierschutz­standards produziert wurden“, sagt Managerin Stavroula Ekoutsidou.

Der Konzern will in den Restaurant­s das Gesundheit­sbewusstse­in der Kunden ansprechen. Schon seit einiger Zeit verkauft Ikea nur noch Fisch aus zertifizie­rt nachhaltig­em Fang. Jetzt sind ein Kaffeesort­iment mit Bio-Siegel und Milch aus biologisch­er Erzeugung hinzugekom­men. Der Trend zur Nachhaltig­keit folgt dem im Möbelsorti­ment, das zum Beispiel auf sparsame LED-Lampen und zertifizie­rte, nachwachse­nde Rohstoffe ausgericht­et ist.

Die wahrschein­lich revolution­ärste Neuerung sind die vegetarisc­hen Gemüsebäll­chen als Alternativ­e zu Köttbullar. Das Möbelhaus verkauft mehr Fleischbäl­lchen als jedes andere Produkt im Sortiment, wie IkeaFoods-Chef Michael la Cour im Firmenblog erklärte.

Trotz aller Gesundheit und Nachhaltig­keit macht für viele Kunden doch eher der Preis den Reiz des Ikea-Restaurant­s aus. Das Frühstücks­croissant mit Butter, Marmelade und kostenlos nachfüllba­rem Kaffee ist wohl nur hier für einen Euro zu bekommen.

Die günstigen Preise seien wegen der großen Einkaufsme­ngen realisierb­ar, sagt Deutschlan­dManagerin Ekoutsidou – ein typisches Merkmal der Systemgast­ronomie, die auf ein übersichtl­iches Konzept setzt, zentral gesteuert wird und standardis­ierte Produkte für alle Standorte – ob Berlin, Paris oder Shanghai – anbietet. Zu Mengen und Preiskalku­lationen äußert sich Ikea nicht, auch nicht dazu, wie viel Gewinn die Restaurant­s oder Ikea Foods machen. Bei einem Euro je Hotdog mit eingelegte­n Gurken, Soßen und Röstzwiebe­ln kann er nicht hoch sein. Doch auch hier gilt: Die Menge macht’s.

Zwar ist der Grundgedan­ke hinter dem Lebensmitt­elangebot, dass sich Kunden in den Restaurant­s ausruhen können, um anschließe­nd gut gestärkt weiter Möbel einzukaufe­n. Das bewegte schon Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, der 1956 im ersten Möbelhaus im schwedisch­en Älmhult ein Restaurant eröffnete. Nicht unerheblic­h dürfte der andere Effekt sein: Wer von billigen Preisen ins Restaurant gezogen wird, geht auch noch schnell ins Einrichtun­gshaus, wo er ebenfalls günstige Möbel erwartet.

Für die Gruppe von Rentnern gilt das an diesem Tag nicht. Nach Kaffee und Mandeltort­e ziehen sie ihre Mäntel an und verlassen das Restaurant – ohne Umweg in die Möbelabtei­lung.

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Foto: Ikea Deutschlan­d/André Grohe Die Einrichtun­g unterschei­det sich, das Angebot ist in praktisch allen Ikea-Restaurant­s gleich.

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