Thüringische Landeszeitung (Jena)
Philatelisten haben Nachwuchssorgen
Die Mitglieder des Jenaer Vereins sind im Durchschnitt 75,1 Jahre alt – Zur Briefmarkenbörse wurde ins Stadtteilzentrum Lisa eingeladen
JENA. Die Frage nach den Nachwuchssorgen ist fast schon euphemistisch, denn die Mitglieder des Vereins der Jenaer Philatelisten sind im Durchschnitt 75,1 Jahre alt. Was in der verschlossenen DDR noch ein zackiges Tor in die weite Welt war, ist heute ein anachronistisches Hobby: das Sammeln von Briefmarken. Zur Börse im Stadtteilzentrum Lisa in Lobeda-West traf man sich.
„Wir haben leider keine Jugendgruppe“, sagt der Vorsitzende Winfried Koksch. Immerhin sei das jüngste Mitglied auch schon fast 60 Jahre alt. Früher sei es anders gewesen: Dass vor allem Jungen mit Pinzette und Lupe Briefmarken sammelten, war Alltag. Und wer diesem Steckenpferd als Erwachsener treu blieb, meinte Koksch, der stillte auch sein Fernweh. Zumindest die Sammler in der DDR. „Ich habe Ansichtskarten an eine erdachte Person postlagernd, also ,poste restante‘ in die Welt geschickt. Und da diese nie abgeholt wurden, sandte man die Karten zurück an den Absender. Und schon hatte ich den besonderen Stempel.“Plötzlich war die große, weite Welt ganz nah.
Koksch packte es als Kind: Er sammelt Motivmarken, später interessierten ihn Akt-Darstellungen. Den Fokus auf Luftpost zu richten, sei für ihn tatsächlich ein Fenster zur Welt gewesen. „Post aus fremden Ländern, die man nie bereisen konnte. Das war faszinierend, fast magisch“, erzählt der 67-Jährige, der in Stadtroda lebt.
Heute sind es Ansichtskarten, die sein Interesse wecken. Und wenn es um das Werk Hans Starckes geht (1875-1943), ist aus Koksch ein veritabler Kenner geworden. Starcke schrieb unter dem Pseudonym Hans Huckebein Gedichte für die Jenaische Zeitung und schuf Ansichtskartenserien mit satirischen und amourösen Themen. Koksch erklärte, dass die Hochzeit der Ansichtskarten zwischen 1890 und 1914 lag. Auch der Maler Emil Nolde hielt sich zum Beispiel damit über Wasser. Er schuf unter seinem Taufnamen Emil Hansen unter anderem eine groteske Serie, in der er Berggipfel als Sagengestalt zeichnete. Der finanzielle Erfolg dieser Bergpostkarten ermöglichte es ihm, als freier Maler zu arbeiten.
In der Lisa ging es am Sonnabend nicht allein um Briefmarken: Etwa 20 Händler und Sammler vorwiegend aus der Region boten auch philatelistische Belege, Ansichtskarten und Münzen an, tauschten, pflegten das philatelistische Fachgespräch und taxierten Sammlungen auf ihren Wert. So sei am Vormittag eine Frau mit drei kleineren Koffern voller Briefmarken vorbeigekommen. Sollte sie die Hoffnung gehabt haben, eine Blaue Mauritius hätte darunter sein können, so erfüllte sich diese nicht. Massenware, sagte Koksch über die Sammlung. So wie viele Briefmarken aus der Bundesrepublik und der DDR heute Massenware sind, während im Moment Marken aus China besonders gefragt seien. „Vor Jahren war es Russland.“
Wer es verpasste, sich zum Carl-Zeiss-Tag 2016 eine Sonderkarte mit Sonderstempel anlässlich des 200. Geburtstages von Carl Zeiss zu beschaffen, konnte sie zur Börse erwerben. Der Sonderumschlag, frankiert mit einer Briefmarke „Kieselalge“der Deutschen Post aus der Serie Mikrowelten und dem passenden Sonderstempel, zählt schon zu den gesuchten Erinnerungsbelegen: Er war binnen eines Tages ausverkauft.
Das Sammeln scheint eine Leidenschaft von Männern zu sein, auch wenn Winfried Kokschs Frau an diesem Tag hilft. „Sie unterstützt mich, ich unterstütze sie.“
Zwei erwachsene Kinder hat das Paar. Die Leidenschaft des Vaters teilen beide nicht. Dabei schule das Sammeln Sorgfalt, Systematik und Ordnungssinn, sagt Winfried Koksch.
Briefmarken: Wie ein Fenster in die Welt