Thüringische Landeszeitung (Jena)
Wie hast du‘s mit Uni?
Diplomatische Etikette in der Kommune
Der nahende 1. Mai gemahnt, vorsichtig zu sein mit Betrachtungen über das Für und Wider der Teilnahme an Demonstrationen. – Vor allem gegenüber DDRGeborenen. Sie kennen noch den gesinnungspolizeilichen Druck, wenn sie am „Kampf und Feiertag der Arbeiterklasse“nicht an der Tribüne mit der lokalen SEDObrigkeit machtvoll vorbeidemonstrieren mochten. Typisch Diktatur – dieses zwangsneurotische Argument des eifrigen Gesinnungsgeheimpolizisten: Wenn du dich nicht zu uns bekennst, bist du gegen uns!
Und so stieg am Sonnabend beim „March for Science“ein Selbstvorwurf in mir auf: Bist du jetzt ein Gesinnungshilfspolizist? – Zwar waren über 1000 Menschen gekommen, um Jena würdevoll als eine der weltweit 500 „March for Science“Städte darzustellen, in denen gegen den „Alternative Fakten“Wahn des Donald Trump aufbegehrt wurde. Nur war die kommunale Politik nicht so üppig vertreten. Okay, okay, einige Stadträte gaben sich die Ehre. Und SPDFinanzdezernent Frank Jauch als oberster Vertreter der Verwaltung ließ sich in den vorderen Reihen sehen. Aber auf der achtköpfigen Rednerliste der Abschlusskundgebung: kein Kommunalpolitiker, nirgends. Der Gesinnungshilfspolizist flüsterte tief in mir zu mir selbst: Das ist doch eine Schieflage in einer Stadt, deren Markenkern „Wissenschaft“heißt! Gut, gut, auf der Liste stand Christoph Matschie, der SPDFahrensmann. Der ist zwar Jenaer, aber kein Stadtrats, sondern Landtagsmitglied. – Nehmen es die Jenaer Stadtpolitiker mit der diplomatischen Etikette nicht so genau? Das wäre eine ärgerliche Gemeinsamkeit mit Donald Trump.