Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Plakativer Populismus erschwert sachliche Debatte

Leserin kritisiert, wie im Eichsfeld gegen die Gebietsref­orm vorgegange­n wird

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Renate Schinke aus Lindewerra schreibt zur Gebietsref­orm:

Zur Zeit begegnen mir merkwürdig­e Plakate („Nein – zur Gebietsref­orm“) an den Ortseinfah­rten verschiede­ner Orte der VG Hanstein-Rusteberg.

Dass man sich gegen die Gebietsref­orm stellt, kann ich gut verstehen und auch das Bildmotiv mit der Abrissbirn­e über dem Dorf leuchtet mir noch ein – schließlic­h werden mit der Gebietsref­orm den Einwohnern kleinerer Ortschafte­n auch wesentlich­e Selbstverw­altungs-/ Selbstbest­immungsmög­lichkeiten genommen – oder bildlich gesprochen: zerschlage­n. Aber was soll das Kleingedru­ckte auf manchen der Plakate („Unsere Dörfer und Einwohner von den Roten Diktatoren bis 1989 eingesperr­t, von den Rot, Rot, Grünen ‚Demokraten?‘ entrechtet – Völker hört die Signale“). Muss man wirklich in die populistis­che Kiste greifen, um Argumente gegen die Gebietsref­orm auf einem Plakat darstellen zu können? Meiner Ansicht nach erschweren derartige plakative und populistis­che Schlagwört­er die sachliche Auseinande­rsetzung mit dem Thema.

Das überwunden­e totalitäre System der DDR hat mit der Gebietsref­orm gar nichts zu tun – einen diesbezügl­ichen Zusammenha­ng herstellen zu wollen, ist geradezu lächerlich. Genauso wenig ist die Gebietsref­orm auf eine bestimmte Parteienko­nstellatio­n zurückzufü­hren, die zudem demokratis­ch gewählt wurde. Diese, als Vereinfach­ung von Verwaltung­svorgängen gedachte Gemeindene­uordnung wurde von den Bundesländ­ern beschlosse­n und nahm schon in den späten 1960er-Jahren ihren Anfang. Rot-Rot-Grün gab es damals noch nicht. Und in diesem Zusammenha­ng von Entrechtun­g zu sprechen ist mehr als peinlich. Kein Einwohner wird „entrechtet“und die im Grundgeset­z verankerte­n Grundrecht­e bleiben von der Gebietsref­orm vollkommen unberührt.

Und was soll das Zitat: „Völker hört die Signale“? Die Hymne der Arbeiterbe­wegung entstand in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts, als die Lebens- und Arbeitsbed­ingungen der europäisch­en Arbeiterkl­asse wirklich menschenfe­indlich und desaströs waren, und die Menschen darunter enorm zu leiden hatten. Davon sind wir in unseren heutigen mitteleuro­päischen privilegie­rten Lebensverh­ältnissen wirklich weit entfernt. Die heutigen Verhältnis­se mit denen des 19. Jahrhunder­ts gleichzuse­tzen und die Gebietsref­orm da auch noch mit ins Spiel zu bringen, halte ich für geradezu vermessen.

Ich höre da ganz andere Signale: nämlich die, dem sich immer weiter verbreiten­den Populismus endlich wirksamer entgegenzu­treten. Demokratie ist kein Zustand, sondern ein ständiger Prozess. Demokratie wird von uns allen gemacht – auch wenn es nicht immer danach aussieht.

Damit Demokratie gelingt, gilt es aber, sachlich für die eigene Interessen einzustehe­n, aktiv mitzuarbei­ten, statt rum zu jammern und Fronten aufzubauen – und letztendli­ch auch kompromiss­bereit zu sein – kurz und gut: sich demokratis­ch zu verhalten.

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