Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Geschlagen, weil er Kippa trug

Ein Angriff auf jungen Israeli in Berlin schockiert das Land. Für Juden in Deutschlan­d ist Antisemiti­smus längst Alltag

- VON JULIUS BETSCHKA, ANNE DIEKHOFF UND THERESA MARTUS

BERLIN. Erst vergangene Woche hat der 21-Jährige Adam A. seine Kippa geschenkt bekommen. Von einem jüdischen Freund in Israel. Mit dem Hinweis: Geh‘ in Berlin nicht mit der Kippa auf die Straße, es könnte gefährlich sein. „Ich sagte ihm, dass das nicht stimmt, dass es hier sicher ist“, erzählt der junge Israeli der „Berliner Morgenpost“. Schon gar nicht in Prenzlauer Berg, wo er lebt. Doch Adam hat sich geirrt. Ein Video, das sich rasend schnell im Internet verbreitet, zeigt, was am Dienstagab­end in diesem Berliner Stadtteil passierte. Es zeigt, wie ein dunkelhaar­iger junger Mann ihn immer wieder als „Jehudi“, arabisch für Jude, beschimpft und mit seinem Gürtel auf ihn eindrischt.

Am Tag danach erzählt Adam A. die Geschichte so: Er sei gegen 20 Uhr mit einem deutschen Freund spazieren gewesen. Beide trugen die Kippa. „Es war ein Experiment, ich wollte sie tragen“, sagt er. Der Student der Tiermedizi­n lebt seit drei Jahren in Deutschlan­d. Er stammt aus einer arabischen Familie, ist aber im israelisch­en Haifa mit Juden groß geworden. „Plötzlich kamen uns drei junge Männer entgegen und beschimpft­en uns als Juden, als Hurensöhne, als Schlampe“, erinnert er sich. Als einer der drei Angreifer seinen Gürtel hervorzog, holte Adam sein Handy heraus. „Ich dachte, wenn er sieht, dass ich ihn filme, hört er auf.“Doch der Angreifer macht weiter, erst einer seiner Begleiter zog ihn davon. Einschücht­ern lassen will Adam sich nicht. Und wegrennen, wie sein Kumpel vorschlug, hätte er nicht richtig gefunden. „Ich habe ja schließlic­h nichts falsch gemacht.“

Es ist das zweite Mal innerhalb weniger Monate, dass Hass gegen Juden so deutlich sichtbar wird. Zuletzt hatte im Dezember ein Passant im Berliner Stadtteil Schöneberg den israelisch­en Restaurant-besitzer Yorai Feinberg minutenlan­g antisemiti­sch beschimpft. Auch davon gibt es ein Video. Schon damals war die Empörung groß – für ein paar Tage. Dann verschwand das Thema wieder von der Tagesordnu­ng. Doch für Juden und Jüdinnen in Deutschlan­d sind Anfeindung­en nicht Ausnahme, sondern Alltag. Im Schnitt vier antisemiti­sche Straftaten gab es nach Angaben der Bundesregi­erung pro Tag im vergangene­n Jahr, 1453 insgesamt.

Der weitaus größte Teil – 1377 Straftaten im vergangene­n Jahr – wird dabei als rechtsextr­em eingestuft. Doch Experten warnen, dass diese Einordnung verzerrend wirken könnte. Fremdenfei­ndliche und antisemiti­sche Straftaten würden, „wenn keine weiteren Spezifika erkennbar sind“, in dem Teil der Statistik gezählt, der politisch motivierte Straftaten von rechts erfasst, heißt es im neuesten Bericht des Unabhängig­en Expertenkr­eises Antisemiti­smus, den der Bundestag eingesetzt hat. Steht an einer Hauswand der Schriftzug „Juden raus“, werde dieser in der Statistik also als rechtsextr­em eingeordne­t, auch wenn der Täter möglicherw­eise aus dem Nahen Osten kommt und nicht in das Raster klassische­r Neonazis passt.

Benjamin Steinitz leitet das Recherche- und Informatio­nszentrum Antisemiti­smus (Rias) in Berlin. Das Rias dokumentie­rt den alltäglich­en Hass auf Juden – körperlich­e Attacken, aber auch Hass-e-mails, Zerstörung von Holocaust-gedenkorte­n und antisemiti­sche Bedrohunge­n und Beschimpfu­ngen, die unterhalb der Grenze zur Strafbarke­it liegen. Grundsätzl­ich steige die Bereitscha­ft, antisemiti­sche Anfeindung­en zu melden, sagt Steinitz. Die Mehrheitsg­esellschaf­t müsse verstehen, dass Anfeindung­en keine Einzelfäll­e seien, sondern „ein konstantes Grundrausc­hen“.

Das bestätigen Nachfragen bei jüdischen Gemeinden. „Es wird einfach nur immer schlimmer“, sagt Leonid Goldberg, Vorsitzend­er der Jüdischen Kultusgeme­inde Wuppertal. „Kaum jemand traut sich in unserer Gegend überhaupt noch, eine Kippa zu tragen.“Ob es helfen werde, dass es jetzt einen Antisemiti­smus-beauftragt­en der Bundesregi­erung geben soll, bezweifelt Goldberg: „Den hätte man schon vor Jahren installier­en müssen.“Er glaubt, „die Politik hat alles verpennt, was möglich war in diesem Land“. Goldberg spricht von Parallelge­sellschaft­en, die es seit Längerem gibt. „Und kaum jemand hat sich irgendwie gerührt.“Jetzt seien plötzlich alle wach geworden, aber der Gemeindevo­rsitzende bezweifle, dass es rechtzeiti­g sei. Wenn auf deutschen Straßen „Juden ins Gas“geschrien werde, dann wisse er nicht, wie lange Juden noch in diesem Land bleiben würden.

Die Politik zeigt sich alarmiert. Kanzlerin Angela Merkel mahnte Härte im Kampf gegen Antisemiti­smus an. „Dieser Kampf gegen solche antisemiti­schen Ausschreit­ungen muss gewonnen werden“, sagte sie. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) sagte dieser Redaktion: „Wenn junge Männer bei uns attackiert werden, nur weil sie eine Kippa tragen, ist das unerträgli­ch. Wir tragen Verantwort­ung dafür, uns schützend vor jüdisches Leben zu stellen.“

 ??  ?? Der junge Israeli Adam A. am Tag nach dem Angriff. In der Hand hält er die Kippa, wegen der er verprügelt wurde. Foto: Jörg Krauthöfer
Der junge Israeli Adam A. am Tag nach dem Angriff. In der Hand hält er die Kippa, wegen der er verprügelt wurde. Foto: Jörg Krauthöfer
 ?? Aus dem Video des Opfers: Der Angreifer mit dem Gürtel. Foto: Screenshot JDFA ??
Aus dem Video des Opfers: Der Angreifer mit dem Gürtel. Foto: Screenshot JDFA

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