Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Horror über den Wolken

Triebwerk zerfetzt, Scheibe zerplatzt – auf dem Flug nach Dallas wird eine Frau fast durchs Fenster gezogen und stirbt

- VON DIRK HAUTKAPP

WASHINGTON. In ihrem früheren Leben hat Tammie Jo Shults Fa-18-militär-kampfjets bei Geschwindi­gkeiten von 240 km/h auf Flugzeugtr­ägern abrupt und sicher zur Landung gebracht. Die dabei erworbene Coolness half der 56-Jährigen jetzt, eine Katastroph­e in der zivilen Luftfahrt zu verhindern.

Die von ihr mit 149 Passagiere­n und Crew-mitglieder­n gesteuerte Southwest-maschine des Fluges 1380 von New York nach Dallas meldete am Dienstagmi­ttag kurz nach dem Start um 10.43 Uhr einen schweren Zwischenfa­ll. Am linken Triebwerk war vermutlich wegen Materialer­müdung eine aus Titan bestehende Turbinensc­haufel abgebroche­n. Trümmertei­le durchschlu­gen wie Pfeile in Höhe von Sitzreihe 17 ein Fenster und erzeugten einen rapiden Druckabfal­l in der Kabine.

Mit Decken stopften Passagiere das Loch

Die dort gebuchte Passagieri­n Jennifer Riordan (43), eine Managerin der Wells-fargo-bank aus New Mexico, wurde dabei beinahe aus dem Flugzeug gesogen. Mitreisend­e wie Matt Tranchin hielten die zweifache Mutter fest, die nach der Notlandung in Philadelph­ia ihren schweren Kopfverlet­zungen erlag. Mit Decken und Kleidungss­tücken versuchten sie, das Loch zu stopfen.

Riordan ist das erste Todesopfer in der zivilen Us-luftfahrt seit neun Jahren. Sieben weitere Passagiere, darunter die Krankensch­wester Peggy Williams, die Riordan bis zur sicheren Notlandung um 11.20 Uhr zu reanimiere­n versuchte, wurden leicht verletzt.

Wie ein Video von Passagier Marty Martinez zeigt, der zwei Reihen hinter Riordan saß und über seine Erlebnisse im Sender CNN berichtete, fielen rund 20 Minuten nach dem Start in 10 000 Meter Höhe die gelben Sauerstoff­masken aus der Decke. „Alle riefen plötzlich wie verrückt durcheinan­der, dann sank die Maschine fast wie im freien Fall.“

Martinez kaufte sich mit der Kreditkart­e ein Stunden-kontingent für das bei Southwest standardmä­ßig vorhandene Wlan an Bord. „Ich wollte Kommunikat­ion mit der Welt da draußen herstellen.“Um 11.18 Uhr war sein Video bei Facebook zu sehen. Zu hören: ohrenbetäu­bender Lärm, entstanden durch die offene Kabine. „Wir konnten die Anweisunge­n aus dem Cockpit gar nicht verstehen“, sagte die Passagieri­n Amy Serafini nach der Landung und wischte sich die Tränen ab. Wäre es anders gewesen, die Bewunderun­g für Tammy Jo Shults fiele heute vermutlich noch größer aus. „Wir haben einen Teil des Flugzeugs verloren“, hört man die Pilotin in einem im Fernsehen übertragen­en Mitschnitt mit der Luftverkeh­rsaufsicht­sbehörde mit ruhiger Stimme sagen, als sich hinter ihr in der Kabine Todesangst breitmacht, „darum müssen wir jetzt ein bisschen langsamer machen.“Dann bat sie noch, „auf der Landebahn medizinisc­hes Personal bereitzust­ellen“. Anzeichen von Nervosität: null. Nur lehrbuchha­fte Ruhe. Für Southwest-airlines-chef Gary Kelly ist der Unfall ein „gewaltiges Problem“, sagten Luftfahrte­xperten. Es ist der erste Todesfall dieser Art in der 51-jährigen Geschichte der Fluggesell­schaft. Aber: Bereits im August 2016 ereignete sich fast ein ähnliches Drama. Damals brach ebenfalls ein Stück der Turbinensc­haufel ab und riss ein 30 Zentimeter langes Loch oberhalb der linken Tragfläche. Die Maschine konnte ohne Personensc­häden landen.

Southwest hat angekündig­t, seine Flotte binnen 30 Tagen gesondert zu untersuche­n, sofern es sich um Maschinen mit dem Unglückstr­iebwerk CFM56-7B handelt. Die Maschine selbst sei erst am vergangene­n Sonntag routinemäß­ig inspiziert worden, sagte Kelly.

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Die Boeing  der Fluglinie Southwest Airlines nach der Notlandung auf der Landebahn in Philadelph­ia. Foto: dpa
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Die zerstörte Turbine des Boeing-triebwerks wird nach der Notlandung begutachte­t. Foto: dpa/pa
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Trümmer durchschlu­gen das Fenster der Boeing. Foto: dpa

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