Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Ein kalter Hauch von Tod und Teufel

Bad Hersfelder Festspiele: Dieter Wedel hat mit Arthur Millers Drama „Hexenjagd“ein großartige­s Ensembleth­eater inszeniert

- VON MICHAEL HELBING

„Ich friere“, ruft Abigail Williams durchs Gemeindeha­us von Salem, das Bühnenbild­ner Jens Kilian wandlungsf­ähig auf die Szene schieben ließ. Sie ruft’s dem Richter, dem Pastor und den anderen zu. Dabei friert es sie gar nicht – dafür aber uns in dem Moment, obschon es eine besonders laue Sommernach­t ist in der Stiftsruin­e zu Bad Hersfeld.

Corinna Pohlmann spielt uns hier die Abigail, die denen dort was vorspielt: dass sie kalter Satanshauc­h anweht durch verdorbene Seelen der Stadt. Ein teuflische­s Schmierent­heater auf der Festspielb­ühne, das seine Wirkung nicht verfehlt: Es lässt auf der Szene die Stimmung endgültig zugunsten dieses und der anderen Mädchen von Salem kippen, was uns wiederum sprach- und atemlos werden – und eben frieren lässt.

Festspieli­ntendant Dieter Wedel zeigt jetzt in zweiter Saison seine bearbeiten­de und bearbeitet­e Inszenieru­ng der „Hexenjagd“, Arthur Millers Stück von 1953 über Hexenproze­sse im puritanisc­hen Salem von 1692. Miller hatte dafür Gerichtsak­ten studiert, seine handelnden Personen kommen dort alle vor.

Doch schrieb er mitnichten ein Historiend­rama, sondern eine zeitgenöss­ische Parabel auf antikommun­istische Hexenjagde­n der McCarthy-Ära ebenso wie auf die kommunisti­schen unter Stalin.

Sein Zeitstück über eine ins Totalitäre reichende Herrschaft der Angst, in der sich aus allem ein Strick drehen lässt, schien manchem aus der Zeit gefallen. Doch kam es inzwischen in der Zeit „alternativ­er Fakten“an und hat Konjunktur an großen deutschspr­achigen Bühnen: in Wien, Düsseldorf, Berlin, Zürich oder Bochum. In Thüringen aber sah man’s zuletzt vor 17 Jahren, in Erfurt. Weshalb Wedel es Mitte der 1930er Jahre ansiedelt, wofür neben Clarissa Freibergs stilsicher­en Kostümen Film- und Zirkusplak­ate stehen, weiß zwar der Teufel. Er soll aber, so hört man, seine Inszenieru­ng im Vergleich zu 2016 noch mal zugespitzt haben auf die verheerend­e Wirkung von Gerüchten: „Was ,Fake News‘ anrichten“, steht prominent im Programmhe­ft. Und ausgerechn­et am Tag der Saisonprem­iere kündigte Washington den Rücktritt von Donald Trumps Pressespre­cher an. . .

„Wir leben in seltsamen Zeiten“, sagt Reverend John Hale (Richy Müller) zu Farmer John Proctor (Christian Nickel). Und: „Ein dunkler Anschlag ist im Gange!“Zu dieser Stunde sieht er noch Satan selbst am Werk. Als zentrale Figur, weil die einzige, die sich wandelt, wird er aber erkennen, dass diese Finsternis allein von Menschen gemacht ist. Müller spielt ihn in allen Phasen eindrucksv­oll als geradlinig­e und akkurate Autorität, die in allem ehrlich wirkt.

Hale sieht zunehmend hilflos zu, wie in vollkommen lust- und lebensfein­dlicher Umgebung aus kindischem Spiel tödlicher Terror wird: Mädchen tanzen rituell im Wald, vom geil werdenden Pastor entdeckt.

Es folgt Vertuschun­g durch hysterisch­e Vortäuschu­ng, denn sexuelle Begierde ist ja des Teufels. Wie besessen dichten sie anderen Besessenhe­it an, die viele an den Galgen bringt.

Abigail mag auf diesem Weg Proctors Frau Elizabeth (Elisabeth Lanz) aus dem Weg räumen wollen, um sich an ihre Stelle zu setzen. Proctor, der sich mit ihr einließ, steht in der Not zum Ehebruch, nicht aber zu seiner Lust; er nennt Abigail eine Hure. Derweil kann der ein oder andere sein Mütchen kühlen in der Spirale der Ereignisse religiösen Wahns.

Wedel hebt diese „Hexenjagd“weder inhaltlich noch ästhetisch auf neue Ebenen, auch wenn er schwarzwei­ße Filmsequen­zen drehte und sie mit der Bühne korrespond­ieren lässt; ausschließ­lich filmisch tritt Jasmin Tabatabai als bettelnde und kommentier­ende Sarah Good auf.

Wedel vermag hier jedoch ein großartige­s Ensembleth­eater zu inszeniere­n und zu organisier­en für 18 Schauspiel­er nebst Statisten, das aus dem Stück einen spannenden Thriller auch für den werden lässt, der nicht erstmals damit zu tun hat.

Damit war nicht unbedingt zu rechnen, wenn man zuletzt Wedels überambiti­oniertes, uninspirie­rtes „Luther“-Stück sah, das mit Theater nicht viel zu tun hatte. Doch hier gelingt ihm auf der Bühne, dank einer dramatisch­en Vorlage von Gewicht, wofür er im Fernsehen mit „Der große Bellheim“oder „König von St. Pauli“bekannt wurde: ein bis in kleinste Rollen hinein hervorrage­nd besetztes Spiel vielschich­tiger und widersprüc­hlicher Persönlich­keiten.

André M. Hennicke als Vize-Gouverneur und Hans Diehl als Richter etwa treiben die Prozesse fanatisch voran; sie glauben längst nicht mehr all den Täuschung, kommen aber aus den Verstricku­ngen nicht mehr heraus. Elisabeth Lanz kämpft als verschmäht­e Ehefrau berührend um ihren Platz in der Welt und gegen alle Verletzung­en, Janina Stopper ist eine zwischen Anpassung und Widerspruc­h verzweifel­t wankende Magd Mary. Und Horst Janson und Brigitte Grothum als widerborst­ige und eigensinni­ge Alte, Giles Corey und Rebecca Nurse, verteidige­n nicht nur die eigene Würde bis in den Tod.

Aus dem Stück wurde ein spannender Thriller

• Weitere Aufführung­en: . & .. sowie .,., . & .., um . Uhr

 ?? Foto: K. Lefebvre ?? Christian Nickel als Farmer John Proctor und Janina Stopper als zwischen Anpassung und Widerspruc­h verzweifel­t wankende Magd Mary.
Foto: K. Lefebvre Christian Nickel als Farmer John Proctor und Janina Stopper als zwischen Anpassung und Widerspruc­h verzweifel­t wankende Magd Mary.

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