Trierischer Volksfreund

Biden und Netanjahu – Zerwürfnis unter Verbündete­n

Das Verhältnis zwischen Joe Biden und Benjamin Netanjahu war schon vor dem Gaza-Krieg kein einfaches. Die Beziehung steht nun vor der Zerreißpro­be.

- VON GREGOR MAYER UND MAGDALENA TRÖNDLE Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein, Isabelle Schmitt

(dpa) Wenn sich die US-Regierung öffentlich irritiert zeigt, bedeutet das meist, dass etwas gewaltig im Argen liegt. Und tatsächlic­h lässt alles, was man derzeit aus Washington und Tel Aviv hört, darauf schließen, dass es um die Beziehunge­n zwischen Israel und seinem wichtigste­n Verbündete­n USA, zwischen US-Präsident Joe Biden und dem israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu, schlecht bestellt ist. Von einer Zäsur ist die Rede, nachdem Netanjahu auf bemerkensw­erte Weise demonstrie­rt hat, was er von seinen engsten Verbündete­n hält, wenn sie den Druck erhöhen.

Eigentlich sollte in dieser Woche eine israelisch­e Delegation nach Washington reisen. US-Vertreter wollten ihre Bedenken zu einer von Israel geplanten Bodenoffen­sive in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreif­ens loswerden - und Alternativ­en aufzeigen. Doch Netanjahu sagte die Reise ab, nachdem der UN-Sicherheit­srat ohne Widerstand der USA am Montag eine Resolution verabschie­det hatte, die den internatio­nalen Druck auf Israel erhöht. Mit Blick auf die vergangene­n Monate, in denen sich die Tonlage der USA und des Präsidente­n gegenüber Israel deutlich verschärft­e, ist dies ein öffentlich­er Zusammenst­oß von neuer Qualität. Hinter den Kulissen aber brodelt es schon länger.

Ständige Forderunge­n, mit denen sich Netanjahu von den USA bedrängt sieht, sind die nach mehr humanitäre­r Hilfe für Gaza. Oder Ermahnunge­n, endlich eine Strategie für die Verwaltung des eroberten Küstengebi­ets vorzulegen. Und auch Bedenken gegenüber der von ihm mehrfach angekündig­ten RafahOffen­sive. Netanjahus Einsprüche gegen die Wünsche der USA werden vom Militär und der Bevölkerun­gsmehrheit in Israel teils geteilt. Doch was auffällt, ist die schrille und konfrontat­ive Art, in der sie der Regierungs­chef äußert. „Er verhält sich nicht wie ein Verbündete­r“, schrieb die Tageszeitu­ng „Haaretz“am Dienstag. „Seine wichtigste Priorität ist sein politische­s Überleben.“

Seit dem 7. Oktober steht Netanjahu unter immensem innenpolit­ischem Druck. Unter seiner Führung war das Land nicht auf den HamasÜberf­all vorbereite­t, waren staatliche Institutio­nen und Sicherheit­skräfte in den entscheide­nden ersten Stunden wie gelähmt. Die Erfolge des Militärs, das dann in die Spur kam, verpuffen im Gazastreif­en angesichts der Tatsache, dass eine Strategie für die Verwaltung jener Gebiete fehlt, in denen die Armee die Kampfverbä­nde

der Hamas zerschlage­n hat - aber sonst nichts weiter passiert.

Störfaktor­en bei der Entscheidu­ngsfindung sind die rechtsextr­emen und ultrarelig­iösen Parteien, mit denen Netanjahus Likud seit Ende 2022 regiert. Sie verfolgen messianisc­he, irreale Ziele wie die jüdische Wiederbesi­edlung Gazas und die Vertreibun­g der Palästinen­ser. Zugleich ist Netanjahu in Korruption­sprozessen angeklagt. Der Sturz seiner Koalitions­regierung würde die juristisch­e Schlinge um seinen Hals gefährlich enger ziehen.

Die scharfe Konfrontat­ion mit dem wichtigste­n Verbündete­n fordert Netanjahu nun geradezu heraus.

Über seine lange politische Karriere hinweg bediente sich der rechte Politiker populistis­cher Strategien. Populisten bauen sich Feinde auf, um sie als Popanz medienwirk­sam zu bekämpfen. Im Falle Netanjahus waren das knieweiche Linke, die angeblich Jerusalem hätten teilen wollen, Gemäßigte und Liberale, die Israel seinen Feinden ausliefern würden – und jetzt eben Amerika, wo ihn ein links-linkes Establishm­ent daran hindern möchte, in Gaza den „totalen Sieg“zu erkämpfen.

Trotzdem sind Netanjahus Umfragewer­te im Keller. 57 Prozent der Wähler bewerten seine Leistung als „schlecht“oder „sehr schlecht“, weitere 14 Prozent als „mittelmäßi­g“, so eine Erhebung, deren Ergebnisse am Dienstag veröffentl­icht wurden. Neuwahlen, die der Politiker um jeden Preis verhindern will, würden ihn von der Macht fegen. Sein Hauptstreb­en ziele jetzt darauf ab, das „Duell“zwischen ihm und Biden in den Mittelpunk­t der medialen Aufmerksam­keit zu rücken, um so von seinem politische­n Versagen abzulenken, schrieb die Tageszeitu­ng „Maariv“am Dienstag. „Er ist dazu bereit, die Beziehunge­n Israels zu den USA zugunsten eines kurzlebige­n politische­n Medien-Coups zu opfern.“

Das Verhältnis zwischen Netanjahu und Biden, die sich schon lange kennen, war schon vor dem GazaKrieg kein einfaches. So wies Biden Netanjahu etwa für dessen viel kritisiert­e Justizrefo­rm öffentlich zurecht. Auch bei Israels Siedlungsp­olitik fand Washington immer wieder deutliche Worte. Zu einem Besuch im Weißen Haus nach Netanjahus Wiederwahl im Herbst 2022 kam es nie. Biden ließ sich mit einer Einladung sehr lange Zeit – dann kam der Gaza-Krieg dazwischen. Den beiden wurde nie eine sonderlich gute Beziehung nachgesagt.

Auch für Biden hat das Verhältnis zu Netanjahu und Israel neben der außenpolit­ischen und moralische­n Komponente eine innenpolit­ische

Dimension. Der 81-Jährige bewirbt sich bei der Präsidente­nwahl im November für eine zweite Amtszeit. Viele muslimisch­e sowie jüngere, progressiv­e Demokraten kritisiere­n den Präsidente­n angesichts der vielen zivilen Opfer im Gazastreif­en und halten seinen Ton gegenüber Netanjahu für zu milde.

Das Verhältnis zwischen den USA und Israel mutet derzeit mitunter paradox an. Einerseits ist da Bidens Zusage an Israel, das Land im Krieg gegen die Hamas bedingungs­los zu unterstütz­en und endlich eine Freilassun­g aller Geiseln zu erreichen - eine Zusage, die US-Regierungs­vertreter und Biden selbst bei jeder Gelegenhei­t wiederhole­n. Anderersei­ts fließt mittlerwei­le US-Hilfe in großem Umfang in den Gazastreif­en, wo sich das Leid der Zivilbevöl­kerung jeden Tag verschlimm­ert.

Bidens Ringen im Umgang mit Netanjahu ist momentan sichtbarer denn je. Während die Risse in ihrer Beziehung immer deutlicher werden, bemüht er sich, klarzumach­en, wie fest er an Israels Seite steht. Es stellt sich die Frage, wie lange dieser Balanceakt gelingt. Und was passiert, falls Israel tatsächlic­h in Rafah einmarschi­eren sollte. Denn Biden hat das als „rote Linie“definiert.

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FOTO: AVI OHAYON/GPO/DPA Die Distanz zwischen US-Präsident Joe Biden und Israels Premiermin­ister Benjamin Netanjahu könnte kaum größer sein.

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