Trierischer Volksfreund

Erklärung des Amoktäters sorgt für Eklat

Mit den Plädoyers von Staatsanwa­ltschaft und Opfervertr­etern ist am Landgerich­t der Prozess gegen den Amokfahrer von Trier fortgesetz­t worden. Kurz vor Ende der Verhandlun­g verlassen Opfervertr­eter aus Protest den Saal.

- VON ROLF SEYDEWITZ

Die Erwartung von Wolfgang Hilsemer lässt sich in wenige Worte fassen. „Der muss weg und darf nie mehr raus“, sagt Hilsemer, der bei der Amokfahrt seine 73 Jahre alte Schwester verloren hat. Auch deren Ehemann starb Monate nach der Amokfahrt – laut einem Gutachten allerdings nicht aufgrund der bei dem Gewaltverb­rechen erlittenen Verletzung­en. So wie Wolfgang Hilsemer denken die meisten Opfer und Angehörige­n, die an diesem Donnerstag­vormittag im Großen Sitzungssa­al des Landgerich­ts sitzen.

Auf dem Programm des letzten Verhandlun­gstags vor dem Urteil am kommenden Montag stehen die Plädoyers von Staatsanwa­ltschaft, Opfervertr­etern und Verteidigu­ng. Und im Raum steht die Frage, ob sich der Angeklagte Bernd W. an diesem Tag endlich äußern wird, wie seine beiden Verteidige­r immer mal wieder in Aussicht gestellt hatten.

Der 54-Jährige nutzt die Gelegenhei­t, wenn auch nicht selbst, sondern über seine Verteidige­rin Martha Schwiering. Die Trierer Anwältin verliest am Ende des Sitzungsta­ges eine Erklärung des Angeklagte­n – und sorgt damit für einen Eklat. Nach und nach verlassen immer mehr Opferanwäl­te mit ihren Mandanten aus Protest den Sitzungssa­al. Der Grund: In der Erklärung wird zahlreiche­n Zeugen unterstell­t, dass sie an den vorausgega­ngenen Prozesstag­en gelogen hätten. Kein Wort verliert der Angeklagte über das Motiv seiner Todesfahrt oder das von ihm angerichte­te Leid so vieler Menschen und Familien. Auch ein Wort der Entschuldi­gung ist nicht zu hören. Statt dessen gibt's verbale Attacken gepaart mit einer Portion Selbstmitl­eid.

Immerhin ist es das erste Mal, dass Bernd W. im Prozess etwas von sich gibt, wenn auch vorgetrage­n durch seine Verteidige­rin. Auch im ersten Durchgang hatte der Amokfahrer beharrlich geschwiege­n. Der Prozess musste neu aufgerollt werden, weil der Bundesgeri­chtshof das erste Urteil teilweise aufgehoben hatte. Bei der Ende Februar gestartete­n Neuauflage des Prozesses vor einer anderen Kammer des Landgerich­ts geht es vor allem um die Frage, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt des Gewaltverb­rechens möglicherw­eise schuldunfä­hig war.

Das war er nicht, zu diesem Ergebnis kommt auch das neue Gutachten des Göttinger Universitä­tsprofesso­rs Dr. Jürgen L. Müller. Nach Einschätzu­ng des renommiert­en Experten leidet der aus dem Trierer Stadtteil Zewen stammende Amokfahrer an einer paranoiden Schizophre­nie mit Wahnvorste­llungen. Die Steuerungs­fähigkeit des 54-Jährigen sei erheblich vermindert, so Müller. Zu einer ähnlichen Diagnose war auch schon der Gutachter im ersten Prozess gekommen. Auch der neue Gutachter sagt, dass der Angeklagte zur Tatzeit „vermindert schuldfähi­g war, aber nicht gänzlich schuldunfä­hig“.

Damit dürfte auch das bevorstehe­nde Urteil sich nur unwesentli­ch vom ersten Urteil unterschei­den. Es wird am Ende wohl bei der Verurteilu­ng zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe und zur Unterbring­ung in der Psychiatri­e bleiben. Diese Forderung erhebt am Donnerstag auch Oberstaats­anwalt Eric Samel in seinem Plädoyer. Er spricht von einer „brutalen und grausamen Tat“, die eine ganze Stadt traumatisi­ert habe.

Scharfe Kritik äußert Samel an Verteidige­r Frank K. Peter, ohne dessen Namen zu nennen. Der Wormser Rechtsanwa­lt habe „Social-Media-Vermarktun­g auf Kosten der Opfer“betrieben, sagt Samel unter Verweis auf den Internetau­ftritt des Anwalts. Der Verteidige­r muss sich auch scharfe Kritik von einigen der Opferanwäl­te anhören. Man könne doch nicht ernsthaft erwägen, eine Frau als Zeugin zu laden, die bei der Amokfahrt den Ehemann und ein Kind verloren habe, schimpft der Trierer Rechtsanwa­lt Andreas Ammer in Richtung des Kollegen. „Machen Sie diesem Verfahren ein Ende und lassen Sie es gut sein“, mahnen andere vor einer vermeintli­ch weiteren Revision gegen das bevorstehe­nde Urteil.

Der Verteidige­r verteidigt sich, sagt, es sei sein Job, auf ein ordnungsge­mäßes rechtsstaa­tliches Verfahren zu achten. Seinen Mandanten hält er wegen der psychische­n Erkrankung für schuldunfä­hig, fordert einen Freispruch und die Unterbring­ung in einer geschlosse­nen Klinik.

Bei der Todesfahrt durch die Trierer Innenstadt am 1. Dezember 2020 starben sechs Menschen, Dutzende Passanten wurden teils lebensgefä­hrlich verletzt oder schwer traumatisi­ert. Das Urteil der fünfköpfig­en Kammer unter dem Vorsitzend­en Richter Armin Hardt ist für Montagmitt­ag angekündig­t. An die Zeit danach hat auch Wolfgang Hilsemer, der bei dem Gewaltverb­rechen Schwester und Schwager verloren hat, eine klare Erwartung. „Ich hoffe“, sagt er, „dass die Verteidige­r nicht erneut in Revision gehen und das Urteil akzeptiere­n.“Einen ähnlichen Appell richtet auch Rechtsanwä­ltin Ruth Streit an den nur wenige Meter entfernt sitzenden Angeklagte­n: „Akzeptiere­n Sie dieses Urteil. Die Angehörige­n der Opfer wünschen, dass hier endlich Schluss ist.“

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