Auch Misstrauen gefährdet die Medien
Zum Tag der Pressefreiheit betonen viele die Bedeutung freier Medien. Doch während die tätlichen Übergriffe gegen Journalisten zuletzt abnahmen, stellen Forscher weiter Gefahren für die Medien fest – und weisen ihnen auch Verantwortung zu.
(SZ) Zunächst mal eine recht gute Nachricht: In Deutschland gab es im vergangen Jahr deutlich weniger Übergriffe auf Journalisten. Weniger Tritte, Faustschläge und Hiebe für schreibende Journalisten, Hörfunk-Reporter, Fotografen und Kameraleute. Aber zum heutigen Tag der Pressefreiheit machen viele Stimmen auch klar: Die freie Arbeit von Medien wird durch viele Faktoren bedroht – nicht nur durch physische Angriffe. Wobei selbst diese – trotz des Rückgangs – im längerfristigen Vergleich im letzten Jahr häufig waren und die Reporter ohne Grenzen (RSF) keinen Grund zur Entwarnung sehen. Journalisten werden in unserem Land weiterhin Opfer von Aggressionen. Der Rückgang hat wohl etwas mit dem Ende der Pandemie zu tun. „Während der Pandemie schnellte die Zahl der Übergriffe auf Berichterstattende in die Höhe. Auch unser Rückblick auf das vergangene Jahr zeigt: Diese Tendenz ist noch nicht vollständig zurückgegangen“, steht im RSF-Bericht „Nahaufnahme Deutschland“.
„In Deutschland hat sich in den letzten Jahren eine immer pressefeindlichere Stimmung ausgebreitet“, ist das Fazit der Menschenrechtsorganisation. „Im vergangenen Jahr wurden Reporter wieder verprügelt, ihre Ausrüstung wurde zerstört und ihnen wurde im Internet massiv gedroht.“Auch das neue Jahr habe nicht gut begonnen: Am Rande einer Demonstration in Leipzig sei ein Journalist Opfer einer brutalen Körperverletzung geworden.
Zudem habe man zuletzt eine gefährliche neue Art der Aggression beobachtet: Landwirte hätten mit Trecker-Blockaden und Misthaufen die Auslieferung von Zeitungen in mehreren Bundesländern verhindert, erläutert RSF-Vorstandsmitglied Michael Rediske. „Das zeigt, dass die Freiheit, unabhängig zu berichten, hierzulande nicht nur durch Übergriffe gegen einzelne Medienschaffende bedroht ist. Unzufriedenheit mit einer angeblich zu geringen Berichterstattung über Bauernproteste reicht offenbar aus, um bei Angriffen gegen die Pressefreiheit die Hemmschwelle weiter zu senken.“
Der gefährlichste Ort für Medienschaffende waren demnach auch 2023 politische Versammlungen wie Partei-Veranstaltungen, Demonstrationen oder Protestaktionen, besonders erneut bei der Berichterstattung im Umfeld von verschwörungsideologischen oder rechtsextremen Versammlungen.
Doch die physische Bedrohung der Medienschaffenden ist nur eine Facette. Experten mahnen zum Tag der Pressefreiheit vor Entwicklungen, die die unabhängige Berichterstattung in der Demokratie gefährden. „Es ist ein großes Problem, dass autoritär-populistische Kräfte wie die AfD Presse und Medien zu ihrer Zielscheibe machen“, sagt Maximilian Steinbeis. Der Jurist und Journalist gründete 2009 mit dem Verfassungsblog eine internationale Online-Plattform zu verfassungsrechtlichen Fragen und forscht darüber, wie verwundbar die demokratischen Institutionen sind. Die autoritär-populistischen Kräfte versuchten, den öffentlichen Diskurs zu kontrollieren und für sich einzunehmen. Dazu gehöre auch der Vorwurf der „Lügenpresse“. Im Rahmen eines Projektes in Thüringen habe man Handlungsmöglichkeiten der AfD je nach Wahlausgang analysiert. „Sollte Björn Höcke Ministerpräsident werden, könnte er etwa den MDR-Staatsvertrag aufkündigen, ohne den Landtag oder die übrigen Regierungsmitglieder einzubinden“, stellt er klar. Politisch wäre diese Entscheidung nicht unwahrscheinlich. Werde aber eine Beteiligung des Landtages für die Aufkündigung in die Verfassung geschrieben, könnte man dies für die Zukunft erschweren. „So kann das Recht dabei helfen, die Presse- und Medienfreiheit zu schützen.“Es sei „wichtig, sich schon jetzt Gedanken darüber zu machen, welche Einflussmöglichkeiten autoritäre Populisten nach der nächsten Wahl haben könnten“.
„Unsere Demokratie ist darauf ausgelegt, eine große Vielzahl verschiedener Meinungen, Weltansichten
und auch Parteien auszuhalten“, sagt Steinbeis. „Die freie Presse ist überlebenswichtig für die Demokratie“, stellt er klar.
Was aber, wenn die freie Presse die Menschen gar nicht erreicht? Dieses Problem untersucht der Tiefenpsychologe Jens Lönneker mit der Studie „Medien zwischen Achtung und Ächtung“. Ein Viertel der Bevölkerung sage, dass Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen kritische Positionen etwa zum Umgang mit der CoronaPandemie, mit Migranten, mit der EU oder zum Ukraine-Krieg nicht abbildeten. „Viele von diesen stark medienkritischen Menschen glauben, dass die Politik den Medien vorgibt, wie und worüber diese berichten, sagte Lönneker. Auch die eigene freie Meinungsäußerung sehe man nicht mehr gewährleistet. Und: „Immer mehr Mensch glauben, dass sie besser vorsichtig sein sollten, wenn sie ihre politische Meinung äußern.“
Rund zwei Drittel der stark medienkritischen Menschen fühlen sich von System und Politik allein gelassen, sagt der Forscher. Daher bestehe bei ihnen eine hohe Bereitschaft, systemkritische Parteien zu wählen. „Die Glaubwürdigkeitskrise der Medien schwächt somit die bestehende Demokratie.“Die Medien hätten aber auch selbst zum Glaubwürdigkeitsproblem beigetragen. Impfskeptiker seien in CoronaZeiten in vielen Medien schnell zu „Covidioten“gemacht worden. „Das hat viele Betroffene doch nachhaltig irritiert und an der Unabhängigkeit der Presse zweifeln lassen.“
Nicht zu unterschätzen sei aber auch, dass vielen Menschen das ständige Buhlen von immer mehr Medien um Aufmerksamkeit zu viel werde. „Alle senden und wollen Reichweite, Follower und Likes – aber keiner hört mehr richtig zu.“Immer mehr Menschen vermeiden es laut einer Reuters-Studie, sich mit Nachrichten zu beschäftigen, weil sie ihnen nicht trauen und weil es sie zu sehr aufregt.
In der Rangliste zur Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steigt also Deutschland von Platz 21 auf Platz zehn. Aber im Wesentlichen nur, weil sich weltweit die Situation von Medienschaffenden deutlich verschlechtert hat. Gewalt ist in Deutschland vergleichsweise selten, Einschüchterung durch Justiz und Sicherheitskräfte bringen den Journalismus nicht in Gefahr. Aber was, wenn den seriösen Medien keiner mehr zuhört?