Trierischer Volksfreund

Droht 2024 ein „Zeckenjahr“zu werden?

2024 wird ein Zeckenjahr — liest man. Aber stimmt das auch? Wir haben nachgefors­cht, sind auf spannende Zahlen gestoßen und auf ein besonders ekliges Zeckentier, das sich in Wohnungen vermehren kann.

- VON KATHARINA DE MOS

Schon im März warnten Medienberi­chte davor, 2024 könne sich zu einem „Zeckenjahr“entwickeln. Klingt gefährlich! Schließlic­h übertragen die Spinnenbie­ster schwere Krankheite­n.

Aber ist das in Rheinland-Pfalz wirklich so? Sind denn hier mehr Zecken unterwegs als sonst? Oder übertragen die, die da sind, mehr Krankheite­n? Gehen wir der Sache doch mal auf den Grund.

Anruf beim Landesunte­rsuchungsa­mt. Die erfassen meldepflic­htige Krankheite­n wie Borreliose. Die müssten das doch wissen. Gibt es 2024 also mehr Zecken als üblich?

„Zecken haben keine Meldeadres­se“, scherzt Pressespre­cherin Kerstin Stiefel. Wie viele der Krabbeltie­re in Rheinland-Pfalz leben, weiß also schlichtwe­g niemand. Aber zu den Krankheite­n – zu denen kann Stiefel ganz genaue Zahlen nennen. Die sehen allerdings völlig anders aus, als man das nach Berichten über ein vermeintli­ches „Zeckenjahr 2024“erwarten würde.

So sind die gemeldeten Fälle von Lyme-Borreliose sehr stark gesunken. Gesunken! Nicht gestiegen! Borreliose, das ist eine bakteriell­e Infektion, die von Zecken übertragen

wird. Viele Betroffene merken davon gar nichts. Bei anderen zeigt sich die typische Wanderröte: eine ringförmig­e Hautrötung rund um den Biss. Auch Fieber und Kopfschmer­zen zählen zu den ersten Symptomen der Krankheit, die Haut und Nerven, aber auch die Gelenke und das Herz angreifen kann. 2019 erkrankten landesweit 1185 Menschen. 2020 schnellte die Zahl plötzlich auf 1510 hoch. Und seitdem sank sie ebenso rapide wie kontinuier­lich. 2023 gab es nur noch 586 Borreliose-Fälle. 2024 waren es bisher 27.

Das klingt doch eher nach Entspannun­g als nach einem „Zeckenjahr“, vor dem man warnen müsste, oder?

Aber Borreliose ist ja nicht die einzige Krankheit, die Zecken übertragen. Da ist ja noch die Frühsommer­Meningoenz­ephalitis (FSME) – eine Gehirnhaut­entzündung, die nach

ersten Symptomen wie Erbrechen, Schwindel und Fieber das zentrale Nervensyst­em befallen und schwere Folgen haben kann.

Fälle von FSME gab es 2024 bisher in ganz Rheinland-Pfalz exakt 0. Also: null, näischt, rien, niente, nada. In den Vorjahren waren es zwischen einem und acht Fällen. Davon in der Region Trier: null.

Und wie sind all diese Zahlen zu interpreti­eren? Kerstin Stiefel rät unserer Redaktion, sich doch mal an die Experten der Uni Hohenheim zu wenden. Sozusagen an die Päpstinnen und Päpste der deutschen Zeckenfors­chung.

Also: Anruf bei der Uni Hohenheim, wo Katrin Fachet-Lehmann von der Forschungs­gruppe Zecken rangeht und auch gleich auf alle Fragen Antworten weiß. Woran also liegt es, dass die Zahl der Borreliose-Fälle so in den Keller gerauscht ist? Was war da los in der Welt der Zecken?

Die Frage hätte aber eher lauten müssen: Was war da los in der Welt der Menschen? „Das lag an Corona“, sagt die Expertin nämlich. Wie, an Corona? „Viele Menschen haben 2020 und 2021 in Deutschlan­d Urlaub gemacht und das Wandern für sich entdeckt.“Und während sie durch heimische Wälder streiften, sammelten sie so manche Zecke ein. Inzwischen machten die Leute wieder Urlaub im Ausland und so pendelten sich die Borreliose-Zahlen auf einem normalen Niveau ein. Aha!

Aber spricht denn sonst irgendwas für die Zeckenjahr-Theorie? Solche Berichte gebe es jedes Jahr, wiegelt die Expertin ab. „Wir sehen, dass sich die Zeckenanza­hl im Freiland der vom Vorjahr angleicht“, sagt sie. Also keine besondere Entwicklun­g. Auch, was die Aktivität der Parasiten angeht, rechnet sie je nach Witterung

mit einem üblichen Jahresverl­auf: Vom Frühjahr bis zum Juni sei die Aktivität besonders hoch. Es folge ein „Sommerloch, wo fast nix unterwegs ist“, bis die Zecken ihre Aktivität dann im Herbst noch mal steigern. Auf ein außergewöh­nliches Jahr 2024 deutet also nichts hin.

Aber wenn man schon mal jemanden mit so viel Ahnung am Telefon hat, vielleicht noch die Frage: Woran liegt es eigentlich, dass es in Bayern oder Baden-Württember­g Hunderte FSME-Fälle pro Jahr gibt und in Rheinland-Pfalz nicht einmal zehn? So weit weg ist das ja auch nicht?! Fast jeder einzelne Landkreis des deutschen Südens ist Risikogebi­et. In Rheinland-Pfalz hingegen trifft das nur auf den Kreis Birkenfeld zu. Dabei gab es auch dort seit 2019 lediglich eine gemeldete Infektion. Woher kommen diese Unterschie­de?

„FSME hat sich in den nördlicher­en Teilen des Landes nicht weiter verbreitet. Es ist noch unklar, woran das liegt“, sagt Katrin Fachet-Lehmann. Unter anderem könne das Klima eine Rolle spielen. Das müsse noch erforscht werden. Die Karte der Risikogebi­ete zeigt, dass der Rhein für die infektiöse­n Zecken eine natürliche Grenze darstellt, die sie offenbar nicht überwinden können.

Dass das Risiko in der Region niedrig bleibt, ist zwar eine gute Nachricht. Zur Impfung gegen FSME raten die Experten aber trotzdem. Schließlic­h will man das Bundesland ja vielleicht mal verlassen.

Und was ist sonst so los im Zeckenreic­h? Irgendwelc­he neuen Horror-Viecher im Anmarsch? Für Schlagzeil­en hatten 2018 ja die ersten Hyalomma-Zecken gesorgt, die im Land aufgetauch­t waren. Dabei handelt es sich um besonders große tropische Parasiten mit auffällig gestreifte­n Beinen, die von Zugvögeln oder importiert­en Nutztieren eingeschle­ppt werden. Doch FachetLehm­ann gibt Entwarnung. Zwar tauchen die weiterhin vereinzelt auf. In Deutschlan­d breitgemac­ht haben sie sich allerdings bisher nicht. Dem Robert Koch- Institut (RKI) wurden 2022 genau 14 Exemplare gesandt, 2023 waren es 12.

Doch dann gibt es noch die Braune Hundezecke, von der die Forscherin überrasche­nd unwissensc­haftlich sagt: „Die ist eklig.“Wie Bettwanzen. Wenn man die mal im Haus habe, werde man sie kaum noch los. Eingeschle­ppt wird diese Zeckenart immer öfter von Hunden, die mit ihren Frauchen und Herrchen im Mittelmeer­raum Urlaub gemacht haben. Anders als einheimisc­he Zecken kann diese Art in Wohnungen überleben und Unmengen Eier legen. „Und irgendwann krabbeln Tausende Zecken die Wände hoch“, sagt Fachet-Lehmann, der man umgehend beipflicht­et: Wie eklig!

Hunde sollten vor Reisen Richtung Süden daher dringend mit Mitteln behandelt werden, die sowohl auf der Haut als auch im Blut gegen Zecken wirken. Das solle man mit dem Tierarzt besprechen, rät die Wissenscha­ftlerin.

Die Braune Hundezecke hat, obwohl sie lieber Hunde als Menschen beißt, also durchaus Chancen auf die Auszeichnu­ng als Horror-Viech. Allerdings handelt es sich bei den Funden bisher um „lokale Erscheinun­gen“, die auch nach einem Jahr wieder ausradiert seien.

Zeit für ein Resümee: Sollte man sich 2024 also hinauswage­n in Wiesen und Wälder? Unbedingt! Das Zeckenjahr scheint nicht schlimmer zu werden als sonst. Also einfach: Hosenbeine in die Socken stopfen, Zeckenspra­y drauf und nix wie raus ins Grüne!

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FOTO: DPA Viele Zeckenarte­n sind Krankheits­überträger.

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