Keiner will im Haushaltspoker der Erste sein
Die Ampel-Koalition muss in den kommenden acht Wochen die Quadratur des Kreises schaffen: Sie muss im Bundeshaushalt 2025 ein Loch von bis zu 30 Milliarden Euro stopfen und will zugleich die Schuldenbremse einhalten. Doch an die Sparvorgaben des Finanzmin
Wer am Donnerstag in den Bundesministerien anrief, um Informationen über ihr geplantes Budget im Bundeshaushalt 2025 zu erfragen, erhielt fast überall dieselbe Antwort: Es sei noch nicht Dienstschluss. Erst kurz vor Feierabend werde man auf den Sendeknopf drücken. Denn schließlich habe der Finanzminister den Ressorts bis zum Abend des 2. Mai Zeit gegeben, ihre Ausgabenwünsche und Sparvorschläge für 2025 ans Finanzressort zu übermitteln. Für eine so wichtige Sache wie die Etatanmeldung für das Wahljahr 2025 ließen sich die meisten Häuser bis zur allerletzten Minute Zeit.
Welche Ausgabensummen sie konkret für 2025 bei Christian Lindner (FDP) erbeten haben, wird sich also erst in den kommenden Tagen herausstellen. Doch klar war am Donnerstag: Kaum ein Ministerium wollte sich an das Ausgabenlimit halten, das Lindner vorgegeben hatte. „Kein Ministerium, das schlau ist, richtet sich zu Beginn der Haushaltsverhandlungen nach solcher Vorgabe“, war aus einem der großen Ministerien zu hören. Denn wer zu bescheiden oder konstruktiv auftritt, hat auf dem großen Ausgabenbasar schon verloren. In Summe dürften die Ausgabenwünsche aller Häuser also deutlich über dem liegen, was Lindner für finanzierbar hält. Im Frühjahr 2023 lagen die Ausgabenwünsche für 2024 um 70Milliarden Euro über Lindners Vorgabe, in diesem Jahr dürfte das für 2025 ähnlich ausgehen.
Dabei muss die Ampel-Koalition im Bundeshaushalt 2025, Stand heute, ein geschätztes Loch von 20 bis 30 Milliarden Euro stopfen. Die Gesamtausgaben sollen im kommenden Jahr laut dem Finanzplan von Mitte 2023 gegenüber 2024 um 25 auf 452 Milliarden Euro sinken. Lindner verweist auf einen entsprechenden Kabinettsbeschluss im Sommer letzten Jahres und auf eine Verabredung mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne): Demnach sollte die Finanzplanung Grundlage des Etats 2025 werden und der Finanzminister den Ressorts anders als üblich von Vornherein klare „Ausgabenplafonds“vorgeben. Doch seit Mitte 2023 ist etwa mit Blick auf die internationale Sicherheitslage viel passiert, der finanzielle Spielraum erweist sich für die meisten Ministerien als viel zu eng, die Unzufriedenheit in Regierung und Fraktionen ist deshalb groß. SPD und Grüne rütteln an der Schuldenbremse, wollen – über welchen Weg auch immer – den
Verschuldungsspielraum für die Regierung unbedingt vergrößern. Doch Lindner und die FDP halten dagegen – und verengen die Ausgabenspielräume sogar zusätzlich, weil sie für Anfang 2025 auch noch Steuererleichterungen durchsetzen wollen: Lindner will bei der Einkommensteuer die kalte Progression abbauen und den Grundfreibetrag stark erhöhen, das wird Milliarden kosten.
Nur noch acht Wochen bleiben der Koalition bis zum 3. Juli, an dem das Kabinett den Haushaltsplan 2025 beschließen soll. Die nächste Steuerschätzung am 16. Mai muss die Ampel abwarten, doch viel Erleichterung wird sie davon angesichts
der Konjunkturschwäche nicht erwarten können. Es wird wieder Gespräche Lindners mit einzelnen Ministern geben, doch absehbar ist jetzt schon, dass sich im Juni wieder Scholz, Habeck und Lindner an einen Tisch setzen müssen, um Prioritäten zu setzen und Kompromisse zu finden. Noch komplexer wird die Aufgabe, weil das Trio vereinbart hat, den Haushalt mit einer „Wirtschaftswende“zu verknüpfen, einem Plan zur Wachstumsverbesserung. Da SPD und Grüne Einsparungen beim Bürgergeld oder bei der Rente ausschließen, könnte die „Wirtschaftswende“unterm Strich sogar mehr Geld kosten als weniger.
Einer soll dem Vernehmen nach erneut von Einsparungen verschont bleiben: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat schon klargemacht, dass er gegenüber dem Finanzplan 6,5Milliarden Euro mehr braucht, andernfalls würde Deutschland die Zwei-Prozent-NatoQuote im kommenden Jahr nicht erreichen. Auch wo besonders stark gekürzt werden sollte, lässt sich aus der Finanzplanung herauslesen: Das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium sollten demnach erheblich weniger bekommen als bisher. Allein der Etat von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sollte um mehr als 20 Prozent sinken.
Anmelden wollte ihr Haus bei Lindner aber mehr als 2024, wie es hieß. Klar, der Milliardenpoker funktioniert so.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), dessen Etat allein fast 40 Prozent des gesamten Bundeshaushalts ausmacht, verweist dabei auf gesetzliche Leistungsansprüche, die nicht einfach gestrichen werden könnten. Vor allem deshalb fordern Ökonomen, den Ausgabenanstieg des Sozialstaats durch mutige Reformen zu bremsen – für SPD und Grüne sind solche Forderungen aber rote Tücher. „Der Anstieg der Ausgaben sollte strukturell abgebremst werden – insbesondere im Rentensystem – und die Produktivität muss steigen, sodass die Steuereinnahmen nach oben gehen“, sagt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm.
Eine weitere Sonderrolle kommt dieses Mal Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) zu, der sich etwas Luft durch die jüngste Eigenkapitalerhöhung bei der Bahn verschafft hat. Denn der Staatskonzern kann sich nun selbst mehr Geld leihen. Darüber hinaus wünscht sich der Chef des Bundestags-Verkehrsausschusses, Udo Schiefner (SPD), einen auch von Wissing ins Spiel gebrachten Infrastrukturfonds, um mehr Investitionen in Schienen, Straßen und Brücken zu finanzieren – und den Haushalt zu entlasten. „Solch ein Fonds sollte schnell kommen, möglichst bereits im nächsten Jahr“, sagt Schiefner. „Geldgeber könnten große Pensionsfonds sein, aber auch Kleinanleger, sodass jeder Bürger in die deutsche Infrastruktur investieren kann. Die Rendite muss entsprechend sicher und attraktiv sein.“Solange nur privates Kapital mobilisiert werden soll, wäre die FDP beim Infrastrukturfonds wohl mit im Boot – immerhin dieser Kompromiss wäre möglich.
Das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium sollen erheblich weniger bekommen als bisher.