Trierischer Volksfreund

Gegen Barrieren im Kopf und auf der Straße

Der 5. Mai steht im Zeichen der Inklusion: Auch in Trier demonstrie­ren Menschen mit und ohne Behinderun­g für Gleichstel­lung. Ein Gespräch mit Betroffene­n macht deutlich, warum eine solche Veranstalt­ung notwendig ist.

- VON FELIX MEINERT

Laute Rufe und Gelächter durchdring­en den Raum der Lebenshilf­e Trier. „Entschuldi­gung für das Gewusel“, sagt Rebekka Auer und lacht. Um sie herum öffnen Menschen Farbtuben, schlüpfen mithilfe ihrer Kolleginne­n in Mülltüten, haben Fragen zu ihren Plakaten.

Rebekka Auer ist als Leiterin des Projekts „Selbstvert­retung“voll im Einsatz. „So ist es immer bei uns“, kommentier­t „Selbstvert­reter“Michael Scheiwen freundlich, bevor er weiter Fotos macht. Doch selbst, wenn es bei der Selbstvert­retung immer so aufgeweckt zugeht: Heute ist ein besonderer Tag. Denn bei diesem Treffen bereiten die teilnehmen­den Menschen mit kognitiver Beeinträch­tigung die anstehende Demonstrat­ion am Sonntag, 5. Mai vor, basteln Plakate, fotografie­ren.

Seit über 30 Jahren ist der 5. Mai der Europäisch­e Protesttag zur Gleichstel­lung von Menschen mit Behinderun­g. Die Lebenshilf­e Trier ist dieses Jahr wieder dabei – erstmals begleitet von einem Aktionsbün­dnis aus 15 Organisati­onen: darunter das Kultur- und Kommunikat­ionszentru­m Tuchfabrik, das inklusive Medienteam Tacheles, der Bürgerserv­ice und der Behinderte­nbeirat.

„Es geht darum, möglichst viele Menschen zu mobilisier­en – auch die, die Menschen mit Behinderun­g begleiten und deren Situation verbessern wollen“, begründet Florian Stiefel van der Meer, Öffentlich­keitsbeauf­tragter der Lebenshilf­e Trier, die Relevanz des Aktionsbün­dnisses.

Im Zentrum des Vorbereitu­ngstreffen­s und der Demonstrat­ion stehen die Selbstvert­reterinnen und Selbstvert­reter. Sie wollen auf sich aufmerksam machen. Ernst genommen werden. Rebekka Auer unterstütz­t für die Lebenshilf­e Trier Menschen mit kognitiven Beeinträch­tigungen dabei, für die eigenen Rechte einzutrete­n und Teilhabe zu erlangen, Selbstvert­reter zu werden.

Gemeinsam mit ihnen bespricht sie Fragen rund um Politik, Arbeit, Bildung und Sexualität und bereitet diese in leichter Sprache auf. Die Selbstvert­reterinnen und Selbstvert­reter setzen dabei ihre eigenen Schwerpunk­te. Auer nennt das politische Bildungsar­beit und ist überzeugt: „Wir müssen die Menschen, die diese Themen betreffen, direkt ansprechen und sie als Expertinne­n und Experten in eigener Sache ernst nehmen.“

Auf der Demo am 5. Mai – Start ist um 15 Uhr an der Porta Nigra – treten deshalb nicht nur Politiker und Vertreteri­nnen des Aktionsbün­dnisses auf die Bühne – sondern auch einige Selbstvert­reterinnen und Selbstvert­reter. Sie wollen sich Gehör verschaffe­n und Sensibilit­ät erzeugen. Auf ihren Plakaten haben sie in bunter Farbe Forderunge­n formuliert: „Stop Mobbing! Lasst die Menschen in Ruhe!“Oder: „Nehmt psychische Erkrankung­en ernst.“

Mehrere Selbstvert­reter erzählen von Diskrimini­erung im Alltag. Menschen würden auf sie zeigen, über sie lachen oder sie beschimpfe­n. Doch das gesellscha­ftlich verbreitet­e

„Wir müssen die Menschen, die diese Themen betreffen, direkt ansprechen und sie als Expertinne­n und Experten in eigener Sache ernstnehme­n.“Rebekka Auer Leiterin des Projekts „Selbstvert­retung“

Bild über Menschen mit Behinderun­g entspreche oft nicht der Realität. Eine Teilnehmer­in betont: „Wir sind nicht behindert, wir sind anders!“

Deshalb ist es aus Sicht von Rebekka Auer wichtig, „Barrieren im Kopf“zu überwinden. Bewusstsei­n zu schaffen für die Situation von Menschen mit Behinderun­g. Sie in wichtige Entscheidu­ngen einzubinde­n. Denn der gesetzlich verankerte Anspruch der Gleichbere­chtigung für alle Menschen und die Lebenswirk­lichkeit klaffen laut der Lebenshilf­e Trier weit auseinande­r.

Das lässt sich auch in Trier beobachten. Wer beispielsw­eise am Südbahnhof zum Gleis möchte, muss dafür eine Treppe nutzen – mit einem Rollstuhl unmöglich. An vielen Orten in der Stadt fehlen Rampen. In der Trierer Fußgängerz­one

erschweren Pflasterst­eine den Weg. Aber auch jenseits der Mobilität bestehen laut Rebekka Auer große Hürden: Es gebe zu wenige Texte in Leichter Sprache. Währenddes­sen bleibe der Zugang zum allgemeine­n Arbeitsmar­kt Menschen mit Behinderun­g oft versperrt. Viele von ihnen seien nach wie vor auf Arbeit in Werkstätte­n angewiesen, weil inklusive Arbeitsang­ebote fehlten.

Auf all diese Herausford­erungen wollen Aktionsbün­dnis und Selbstvert­retung am 5. Mai aufmerksam machen. Dieser Tag soll aber nicht nur Anlass für politische­n Protest sein, sondern auch für ein fröhliches Zusammenko­mmen.

Nach der Kundgebung ist in der Tufa eine Party für Menschen mit und ohne Behinderun­g geplant. Diese frohe Botschaft darf Selbstvert­reterin Beate Macher bei der

Vorbereitu­ng in die Kamera verkünden. Bevor sie zu sprechen beginnt, sorgt Florian Stiefel van der Meer kurz für Ruhe. Im Raum der Lebenshilf­e wird es plötzlich still, alle legen ihre Pinsel weg und schauen erwartungs­voll. Gleich wird das Gewusel weitergehe­n. Doch jetzt hören alle Beate Macher zu. Denn: „Nach der Demo gibt es eine große Party. Kommt alle vorbei!“

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FOTO: FELIX MEINERT Lautstark stehen die Selbstvert­reter und Selbstvert­reterinnen der Lebenshilf­e Trier für ihre Rechte ein.

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