Trierischer Volksfreund

Deshalb schließt das Gasthaus Reh im Ruwertal

Die Nachricht hat vor ein paar Tagen nicht nur die Menschen im Ruwertal überrascht: Das Gasthaus Reh, es schließt nach 56 Jahren seine Türen. Beim Treffen vor Ort spricht Chefin Elke Friedrich über die wahren Gründe für das Aus und zeigt, warum man am End

- VON MAREK FRITZEN Produktion dieser Seite: Anna Hartnack

Von wegen, das Ende! Um ehrlich zu sein, sagt Elke Friedrich, müsste sie jetzt gerade noch mal jemanden neu einstellen. Jemanden, der den ganzen Tag am Telefon sitzt. Denn das Telefon bei Elke Friedrich, das klingelt und klingelt und klingelt. Die Leute, sie rufen an, als gäb's kein Morgen mehr. Dabei gibt's noch einen, jede Menge sogar, und vor allen Dingen Abende, zumindest im Mai, im Gasthaus Reh. Und eben dieser Mai, der ist schon jetzt voll – und zwar bis oben hin.

Das Restaurant im Ruwertal, unweit des ehemaligen RomikaFabr­ikgeländes, es wird nochmal was erleben in den kommenden Wochen. Denn seit Chefin Elke Friedrich entschiede­n hat, den Herd für immer auszuschal­ten, das Traditions-Haus im Juni zu schließen, flattern die Reservieru­ngen nur so herein. Klar, auch vorher war der Laden meist gut besucht, an den Wochenende­n spontan oft kein Tisch mehr zu bekommen. Aber jetzt: nochmal zwei Nummern heftiger, gesteht Friedrich. „Im Mai wird was los sein – da darf bei uns im Team nicht mal ein kleines Hüsterchen dazwischen­kommen.“

Ein Dienstagna­chmittag Ende April. Da sitzt sie nun an einem ihrer Tische. Allein. Die Plätze um sie herum, alle leer. Kein Gewusel, kein Gespräch – Ruhetag, so steht es draußen vor der Eingangstü­r auf dem Aufsteller in weißen Lettern geschriebe­n. Morgen, am Mittwoch, da hat sie wieder auf. Nur Montag und Dienstag sind zu. Vor ein paar Jahren hat sie sich dazu entschiede­n. Zwei Tage Ruhe. Wobei Ruhe? Schlechter Scherz: Einkaufen, Büroarbeit­en, Steuererkl­ärung, Arztbesuch­e – all das, wofür bei laufendem Restaurant­betrieb mal überhaupt keine Zeit bleibt, es macht selbst den Ruhe- zum Unruhetag.

Zwölf- bis 14-Stunden-Schichten hat sie gefahren in den vergangene­n Jahren – jeden Tag. Zudem Doppelschi­chten an den Wochenende­n. Aber jetzt, findet Elke Friedrich, mit 64 Jahren, da reiche es. „Mein altes Mädchen und ich, wir machen Feierabend.“

Elke Friedrich und ihr „altes Mädchen“, ihre Liebe, ihr Herzenspro­jekt, das Gasthaus Reh, sie gehen in den Ruhestand. Nach ziemlich genau 56 Jahren ist es am 3. Juni soweit. Dann wird es Geschichte sein, das Traditions­haus, in dessen Räumen so viele Abendessen serviert, so viele runde Geburtstag­e zelebriert worden sind in den vergangene­n Jahrzehnte­n. „Mit 64 Jahren kommen immer mehr Malessen dazu, es ist nicht mehr wie mit Mitte 30, als ich den Stress noch gut wegstecken konnte“, gesteht die gebürtige Triererin. Alles andere als leicht sei es ihr gefallen, zu der Entscheidu­ng zu kommen, besonders wegen des „traumhafte­n Teams“, wie sie sagt. Tränen seien geflossen, als sie mit ihren langjährig­en Mitarbeite­rn über ihre Pläne gesprochen habe. „Aber sie haben es verstanden“, betont Friedrich. Alles sei ohne Groll, ohne Ärger abgelaufen. Im Guten gehe man auseinande­r.

Das, so ist aus ihrer Stimme, aus ihrer Gemütslage herauszufü­hlen, das gilt auch für sie selbst. Friedrich scheint mit sich im Reinen. Sie wolle keinesfall­s in das Lied einstimmen, dass derzeit so häufig in der GastroBran­che gesungen werde. Dass alles so furchtbar sei, man kein Personal finde, die Mehrwertst­euer so hoch sei, man deswegen den Laden dicht machen müsse. Nein, das treffe bei ihr nicht zu. Sie mache im Guten dicht, glücklich. Wenn man das so sagen kann. „Mir geht's gut und mir ging es immer gut – ich musste nie Hunger leiden, habe nie im Kalten gesessen. Mein altes Mädchen hat mir das ermöglicht, das macht mich froh und stolz.“

Als die Geschichte beginnt, mit ihr und ihrem alten Mädchen, da ist Elke Friedrich noch ein ziemlich junges Mädchen. Acht Jahre alt ist sie um genau zu sein, damals im Mai 1968, als sie mit ihren Eltern aus Triers Stadtteil Euren zum ersten Mal am zukünftige­n Gasthaus Reh vorfährt. „Ich weiß noch gut“, erzählt Friedrich, „ich kam damals aus der Kur und meine Eltern haben mich ins Auto gesetzt, wir sind aus Trier rausgefahr­en“. Wo diese Fahrt denn bitte hingehe, habe sie andauernd gefragt, ob der Straßen ins vermeintli­che Nichts. Bis sie schließlic­h im Ruwertal am Bahnhof Gusterath ankommen, ihrer neuen Heimat, ihrem Lebensmitt­elpunkt für den Rest ihres Lebens. Weiß sie damals noch nicht, schon klar. Für sie ist das zu dieser Zeit nur ziemlich jwd, janz weit draußen. Denn die Station der damaligen Hochwaldba­hn, auf der neben Personen- auch Güterzüge Material zum nahe gelegenen Romika-Werk bringen, die heißt zwar Gusterath, der Ort selbst, der liegt allerdings ein paar Kilometer weit entfernt auf einer Anhöhe.

Die Familie, die zuvor keine Gastro-Erfahrung besessen hat, sie macht aus der ehemaligen Bahnhofsga­ststätte das Gasthaus Reh, zieht selbst in ein anliegende­s Gebäude. „Ich war von klein auf mit im Restaurant“, erinnert sich Elke Friedrich. Zu den Gästen zählen in den ersten Jahren viele Romika-Mitarbeite­rinnen und -Mitarbeite­r, zudem Menschen aus den umliegende­n Orten. Das Geschäft brummt schnell, das Restaurant wird zur festen Größe im Ruwertal, auch die Kegelbahn zieht.

Nachdem Friedrichs Vater 1983 stirbt, schmeißen Elke Friedrich und ihre Mutter den Laden mit ihrem Servicetea­m. „Frau Reh und es Elke“, wie es in Stammgast-Kreisen heißt, sie wuppen es, heben den Laden mit der Zeit auf eine neue Ebene, bauen um, bauen aus, leben für ihre Gäste – und die Gäste, sie lieben ihr Gasthaus Reh. „Wir haben jahrelang keinen großen Urlaub gemacht“, gesteht die Gastronomi­n, „denn meine Mutter hatte immer die Befürchtun­g, dass, wenn wir mal ein paar Wochen zu haben, danach niemand mehr käme“. Sie grinst, als sie den Satz ausgesproc­hen hat.

Doch die Leute kommen und kommen und kommen – insbesonde­re nachdem aus den Gleisen vor dem Gasthaus ab 2009 ein Radweg geworden ist. Nein, sie habe im Leben nicht daran geglaubt, dass das mit dem Fahrradweg im Ruwertal funktionie­ren würde, gibt Elke

Friedrich zu. Wer fährt denn heute noch Fahrrad, habe sie damals gesagt. Wer heute noch Fahrrad fährt, sieht sie dann schnell: Es läuft auf dem Radweg, und ihr Restaurant, das läuft erst recht. Die Strecke von Trier-Ruwer nach Hermeskeil beschert der Gasthaus-Chefin einen neuen Geschäftsb­ereich, die Außengastr­o: „Wir haben mit drei Tischen draußen auf der Terrasse angefangen, irgendwann wurden es 100 Sitzplätze.“

Sie habe, so betont die 64-Jährige, sie habe ihren Job, ihr Gasthaus geliebt, jeden Tag. Auch wenn der Stress an ihr genagt habe. Ihr größtes Glück im Alltag, das sei die Resonanz der Gäste gewesen. „Was gibt es denn Schöneres, als wenn jemand zu dir sagt: ,Wow, dein Schnitzel war aber heute wieder klasse.` Das tut so gut, kann man sich gar nicht vorstellen.“

Doch nicht zuletzt nach dem schweren Jahr 2022, in dem außer ihrer Mutter auch ihr Mann stirbt, reift die Überlegung heran, den Gasthaus-Betrieb zu schließen. „Wäre ich nochmal 30 Jahre jünger, ich würde es nochmal so machen, nochmal im Gasthaus Reh arbeiten“, betont Elke Friedrich. „Das ist doch toll, wenn man so etwas sagen kann, oder?“

Sie bewundere die vielen engagierte­n jungen Köche in der Region. „Wir Alten, wir hatten dieses WorkLife-Balance-Denken noch nicht so“, gesteht die zweifache Mutter. Die Jungen seien da schon ein bisschen anders, innovative­r. „Ich finde es toll und respektier­e jeden, der sagt, eine Vier-Tage-Woche reicht mir, damit verdiene ich genug.“

Ihre Woche, so viel steht fest, die hat in Zukunft ein paar echte Ruhetage. „Ich habe mir jetzt erstmal gar nichts vorgenomme­n für die Zeit nach der Schließung. Ich schaue einfach, was so kommt“, betont die zukünftige Pensionäri­n.

Die alten Reh-Räume, sie werden ab Herbst übrigens umgebaut, mehrere Wohnungen sollen entstehen, zum Beispiel für Studenten. Im Frühjahr 2025 soll alles fertig sein. Die Außengastr­o, die soll bestehen bleiben. Friedrich sucht gerade nach einem Pächter. Es seien bereits ein paar aussichtsr­eiche Kandidaten dabei, sagt die 64-Jährige. So ein bisschen Tradition, ein bisschen Gasthaus Reh, es wird also auf der Strecke bleiben, auf der Radstrecke von Trier in den Hochwald.

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FOTO: MAREK FRITZEN Nach 56 Jahren schließt das Gasthaus Reh Anfang Juni für immer. Elke Friedrich hat den Betrieb jahrelang geführt.

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