Qualität ist nicht verhandelbar
Das Mosel Musikfestival sucht einen neuen Intendanten. Woher kommen Musikfestivals und welchen Herausforderungen haben sie sich an der Mosel und anderswo zu stellen?
Spüren Sie das auch jedes Mal? Sobald die Tage wärmer werden und sich nach Sommer anfühlen, kommt Festivallust auf. Keine Sorge: Das ging schon berühmteren Leuten so. „Je näher der Sommer heranrückt, desto stärker breitet sich das magische Wort ‚Festspiel` aus“, schwärmte vor 20 Jahren der Komponist Pierre Boulez. Sommerzeit ist nun mal Festivalzeit. Nur noch acht Wochen, bis auch hierzulande das Mosel Musikfestival das Moselland vielfältig zum Klingen bringt.
Deutschland ist Festivalland. Allein über 500 Musikfestivals mit mehr als 30 Millionen Besuchern weist die Statistik aus. Das Programm reicht von Klassik bis Techno. Schuld ist wieder mal Richard Wagner. „Hier, wo ich nun gerade bin, und wo manches gar nicht so übel ist, würde ich auf einer schönen Wiese bei der Stadt ein rohes Theater nach meinem Plane herstellen“, schrieb der Komponist 1876 an seinen Kollegen Theodor Uhlig über sein Projekt eines Festspielhauses in Bayreuth. Drei Vorstellungen pro Woche sollten in dem „Haus aus Brettern“stattfinden. Danach sollte es abgerissen und „die Partitur verbrannt“werden. „Den Leuten, denen es gefallen hat, sag ich dann: Nun macht's auch so“, schloss der Schöpfer des „Grünen Hügels“.
Viele haben es dem „Vater der Musikfestspiele“inzwischen „nachgemacht“, wenn auch nicht unbedingt mit eigenem Haus. Die Abrissidee hatte sich bekanntlich schon für Wagner erledigt. Unverändert gültig bleibt seine Erkenntnis, dass Festspiele oder Festivals – wie die nach dem Krieg aus Amerika importierte, gleichberechtigte, angelsächsische Variante lautet – temporäre Highlights sind, vorübergehende Leuchtfeuer sozusagen, im bisweilen grauen Strom des Alltags. So ein Highlight mit Strahlkraft nach außen ist auch das Mosel Musikfestival für die Region.
Seit Richard Wagners Bayreuther Traum hat die Festspiel- und Festival-Idee einen gewaltigen Boom erfahren. Wer die vom deutschen Musikinformationszentrum vorgelegte Liste der Musikfestivalgründungen (einschließlich Musikwochen und -tage) seit Beginn des 19. Jahrhunderts bis 2018 durchgeht, wird fast jedes Jahr Neugründungen finden. Von Flensburg bis Regensburg, von Dresden bis Trier: Man wundert sich, dass überhaupt noch eine Stadt oder Region ohne Musikevent ist.
Zu diesen Gründungen gehört auch das 1985 als Mosel Festwochen von Hermann Lewen initiierte und als Klassik-Musikfestival gegründete Mosel Musikfestival. Seit 2007 ist das Festival in der Rechtsform einer gemeinnützigen Gesellschaft organisiert, der etwa ein halbes Dutzend Kommunen entlang der Mosel vom Kreis Trier-Saarburg und der Stadt Trier bis Mayen-Koblenz als Gesellschafterinnen angehören. Seit 2012 firmiert das jährlich organisierte Festival als gemeinnützige Veranstaltungsgesellschaft, die vom Land Rheinland-Pfalz gefördert wird. Bis zu seinem Ruhestand Ende 2017
leitete Gründungsintendant Lewen verdienstvoll das Festival. Sein Programm versammelte gleichermaßen weltbekannte Solisten und Ensembles wie Nachwuchskünstlerinnen und -künstler, die zum Teil inzwischen Weltkarriere machten.
Als Lewens Nachfolger sorgte Tobias Scharfenberger mit neuen spannenden Formaten, darunter zahlreiche Querformate, für die notwendige Frischluft. Der neue Intendant gab dem Festival ein neues Gesicht, das wertgeschätzte Züge des alten bewahrte. Weiterhin setzte Scharfenberger auf Qualität und ein bereits in der Ära Lewen begonnenes inklusives Programm, das gleichermaßen unterschiedliche Alters- wie Interessengruppen berücksichtigt. Die Zusammenarbeit mit einigen Luxemburger Moselgemeinden wurde durch eine eigene kooperierende Gesellschaft festgeschrieben. Jetzt steht wieder ein Intendantenwechsel an. Ende der Saison 2025 verlässt Scharfenberger (der TV berichtete) das Festival.
Fest steht auch hinfort: Das Mosel Musikfestival ist als ältestes und größtes rheinland-pfälzisches Musikfestival mit seinem Potenzial und seiner Strahlkraft eine wichtige, unverzichtbare Säule der regionalen Musikszene, wie der des Landes. Zum Zweck der kulturtouristischen Belebung der Moselregion wurde es gründet. Etwa 25 Prozent der Gäste kommen inzwischen nach Angaben der Veranstalter von außerhalb der Region. Wie der gesamte Kulturbetrieb hat natürlich auch das Mosel Musikfestival die Folgen der CoronaPandemie gespürt. Vielerorts kamen die Gäste nur zögerlich zurück. Hinzu kommt, dass als Folge von Inflation und Teuerungen, das Geld auch bei Kulturinteressierten inzwischen knapper ist.
Wie alles auf der Welt sind auch die Musikfestspiele und -festivals im Wandel. Wer sich heute hier und anderswo mit den Veranstaltern von Klassikfestivals unterhält, hört immer wieder dieselben Klagen: Das Klassik-Publikum sei überaltert, die verlässliche Spezies der ansonsten meist gescholtenen „Bildungsbürger“sterbe aus. Ohnehin interessierten sich junge Leute nicht für klassische Musik. Zudem sei diesbezüglich die schulische Bildung schlecht. Tatsächlich bestätigt eine Statistik, dass über 70-Jährige vermehrt ein Interesse an klassischer Musik haben.
Eine andere Studie besagt allerdings, dass sich gerade Menschen mit abgeschlossenem Studium für klassische Musik interessieren. Angesichts
der wachsenden Anzahl von Hochschulabsolventen müsste das hoffnungsfroh stimmen. Und auch die einzigartige deutsche Musikschullandschaft müsste eigentlich die Wertschätzung klassischer Musik fördern. Dass Klassik weiterhin bei Musikfestivals gefragt ist, belegen die phänomenalen 70.000 Besucher des Leipziger Bachfests, die 24.000 Gäste des Bonner Beethovenfests oder die 6000 Musikliebhaber und -liebhaberinnen, die beim verlängerten Wochenende der traditionsreichen „Tage Alter Musik“in Regensburg zusammenkamen (alle 2023). Allerdings – und darin besteht ihr jedermann zu empfehlendes Erfolgsrezept – verstehen deren Macher ihr Programm nicht als museale Erinnerungsarbeit. Stattdessen setzen sie, wie es im Konzept des Beethovenfestivals heißt „auf den unerschöpflichen Kraftstrom“ihres klassischen Repertoires zur „lebendigen Auseinandersetzung“.
Rund 12.000 Gäste besuchten das Mosel Musikfestival 2018 vor Corona. 2023 waren es etwa 10.000. Da ist mit Sicherheit noch Luft nach oben. Erst recht, wenn man sich vergleichbare Festivals anschaut, wie den Kissinger Musiksommer, der 2023 über den gleichen Zeitraum 26.000 Besucher begrüßte oder das Mozartfest Würzburg, das (allerdings mit einem Drittel mehr Veranstaltungen) 37.000 Gäste zählte. Mehr als 20.000 Besucher kamen 2023 zu den Ludwigsburger Schlossfestspielen bei 54 Veranstaltungen.
Zurück zur kulturtouristischen Belebung: Zu der soll das Festival laut Stellenausschreibung auch weiterhin beitragen. Kultur hat die Moselregion fraglos jede Menge zu bieten: von den kleinen zahlreichen historischen Bauten bis zum Unesco-Welterbe, dazu Weinlagen von Weltrang. Mit seiner Philosophie „Große Künstler an kleinen Orten“zu präsentieren, einer Festivalidee, die Swjatoslaw Richter bereits in den 60-er Jahren in seiner Scheune in Meslay praktizierte, und die inzwischen auch bei den Musikfestivals im Rheingau, in Schleswig-Holstein und anderswo angekommen ist, reagiert das Festival reizvoll auf die Gegebenheiten der Region. Allerdings wird man sich fragen müssen, ob man ausreichend in der Lage ist, Kulturtouristen die angemessene Infrastruktur an Gastronomie und an „Beherbergungsbetrieben“(wie das verwaltungstechnisch ungelenk heißt) zu bieten.
„Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles“, wusste schon Goethe. Bei Festivals hängt zwar nicht alles am Geld, aber vieles. Um es gleich vorab klarzustellen: Musikfestivals kosten nicht nur. Über ihre Umwegrendite bringen Klassikfestivals für jeden ausgegebenen Euro vier Euro zurück, wie jüngst eine Studie zum „Heidelberger Frühling“bestätigte. Das kann allerdings nicht über enorm gestiegene Kosten hinwegtäuschen. Gegenüber den letzten zehn Jahren sind die Künstlergagen enorm gestiegen, nicht zuletzt als Folge des eingebrochenen CDVerkaufs und der Einkommensverluste durch die Corona-Pandemie, wie einschlägige Studien nahelegen.
Auch Betriebskosten und Gehälter haben zugelegt. Mit seinem 1,1-Millionen-Euro-Etat ist das Mosel Musikfestival geradezu anachronistisch niedrig ausgestattet. Zum Vergleich: In Würzburg stehen drei Millionen Euro zur Verfügung, bei den sparsamen Unterfranken in Bad Kissingen 2,4 Millionen. Bei etwa vier Millionen liegt der Etat der Ludwigsburger Schlossfestspiele, deren Träger wie beim Mosel Musikfestival ein kommunaler Zusammenschluss ist. Anders als beim Rheingau-Festival, das fast ganz ohne Fördermittel auskommt, stehen in der Moselregion keine Großsponsoren zur Verfügung. Überhaupt ist für kleinere Formate die Sponsorengewinnung schwierig. Folgen diese doch vielerorts der Bestseller-Logik. Soll heißen: Da Sponsoring auf eine Win-Win-Situation zielt, die den Festivals Geld bringt und den Sponsoren zur Werbung und Image-Pflege dient, bewirbt man oft lieber die allgegenwärtigen, prominenten Namen, als die „no-names“, die allerdings bisweilen mehr Frische und Spannung bieten, als manch prominenter Routinier. Mit Außergewöhnlichem zu punkten, wird zudem immer mühsamer, wo eine riesige Künstlerschar zu den Festivals durchs Land tourt und überall die gleichen Künstler auftreten, von Max Mutzke bis Lang Lang. Weithin ist ihr Auftritt lediglich eine Frage des Geldes.
Fazit: Mit seinem spartenübergreifenden Programm und seiner kulturellen Bildungsarbeit ist das Mosel Musikfestival auf einem guten Weg. Um weiterhin auf der Höhe der Zeit zu agieren, braucht das Festival fraglos mehr Geld. Bei einem Projekt zur Tourismusbelebung wäre durchaus auch das Wirtschaftsministerium als Förderer gefragt. Was eine künftige Festivalleitung auf jeden Fall garantieren muss, ist künstlerische wie betriebswirtschaftliche Kompetenz. Die Frage, ob jemand, wie im Anforderungsprofil des künftigen Intendanten zu lesen, unbedingt mit der Region vertraut sein muss, sei dahingestellt. Frischer Wind von außen tut in der Regel gut, und gerade im künstlerischen Bereich sind ein effizientes Netzwerk, Ideenreichtum, Innovationsgeist und Weltoffenheit gefragt, wenn es um Zukunftsfähigkeit geht.
Im Übrigen könnte man über modifizierte Spielzeiten nachdenken, das Profil schärfen und noch prägnantere Schwerpunkte herausarbeiten. Literatur und Musik etwa, mit und ohne Wein, bilden von alters her eine reizvolle Allianz. Und auch Kammermusik ist angesichts der kleinen Spielstätten ein ideales Format. Wir leben im Event-Zeitalter. Auch die Festival-Touristen des Mosel Musikfestivals sind vielfach unterwegs zu Events. Das kann genauso ein Open-Air sein, wie das Live-Erlebnis eines Stars, eine JazzSession oder ein bislang unbekanntes Format. Hüten sollte man sich allerdings vor Formaten, die sich in ihrer bemühten Originalität selbst genügen. Einmal mehr wird man überdies prüfen müssen, welche Zielgruppen man ansprechen will.
Wer weiterentwickeln will, braucht neben guten Ideen auch Zeit. Selbstverständlich muss sein, was Christoph Müller, der Intendant des Menuhin Festivals in Gstaad, so formuliert: „Qualität ist nicht verhandelbar“. Das gilt an der Mosel wie im schweizerischen Nobelferienort.