„Das ist kein Wohlfühlknast“
Der Trierer Amokfahrer wird in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Was ist darunter zu verstehen?
TRIER/ANDERNACH Der Trierer Amokfahrer leidet unter Wahnvorstellungen, ist deshalb vermindert schuldfähig. Was erwartet den 54-Jährigen im Andernacher Klinikum Nette-Gut, sollte er dort hinkommen. Darüber hat VolksfreundRedakteur Rolf Seydewitz mit dem Ärztlichen Direktor der Klinik, Dr. Frank Goldbeck, gesprochen.
Wie sind die Menschen bei Ihnen in der forensischen Klinik untergebracht?
FRANK GOLDBECK Wir haben ein differenziertes Angebot. In unserem Aufnahme- und hochgesicherten Bereich gibt es Einzelzimmer mit Gittern vor den Türen und Fenstern. Das hat wirklich sehr viel Ähnlichkeit mit einem Gefängnis. Bei Therapiefortschritten von Patienten unter nachlassender Gefährlichkeit gibt es natürlich auch weitere Unterbringungsmöglichkeiten, wie etwa Behandlungsstationen. Dort ist auch ein Ausgang möglich. Dann gibt es noch die offene Unterbringung in Außenwohngruppen, die als letzter Schritt vor einer Entlassung angeboten wird.
Eines der Vorurteile ist ja, dass eine psychiatrische Klinik eine Art Wohlfühlknast ist. Ist da etwas dran?
GOLDBECK Ein Wohlfühlknast hat keine Gitter vor den Türen, das kann ich mir nicht vorstellen. Der Schutz der Bevölkerung ist eine der beiden Hauptaufgaben des Maßregelvollzugs. Die andere Aufgabe ist es zu therapieren: Unsere Patientinnen und Patienten müssen sich unter therapeutischer Anleitung sehr umfangreich mit ihrem Leben und mit der von ihnen begangenen Tat auseinandersetzen. Das ist mitunter – je nach Krankheitsbild – ein sehr langer und schwieriger Prozess für den Straftäter oder die Straftäterin und einer der Hauptunterschiede zum üblichen Strafvollzug. Hinzu kommt: Auch in den Justizvollzugsanstalten sitzen die Leute keine 24 Stunden am Tag hinter Gittern.
Wie sieht denn der Alltag der Patienten aus?
GOLDBECK Wir versuchen, mit den Patienten die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erreichen. Das bedeutet, dass wir ihnen natürlich auch ein Therapieangebot unterbreiten. Es fängt meistens so an, dass die Patienten zu einer Morgenrunde auf den Stationen geladen werden. Dort werden wichtige Themen oder der Tagesablauf besprochen. Die Patienten haben dann die Möglichkeit, an Therapiemaßnahmen außerhalb der Station teilzunehmen, wie zum Beispiel Ergotherapie oder Arbeitstherapie, aber auch Sportangebote. Darüber hinaus gibt es psychologische oder psychiatrische Gesprächsangebote, weil wir als psychiatrische Einrichtung auch Psychotherapie machen, aber auch medikamentöse Behandlung durchführen. Letztendlich versuchen wir immer, auf der einen Seite die Grunderkrankung zu behandeln, auf der anderen Seite
aber auch das Delikt zu bearbeiten – und das geht Hand in Hand.
Kann man sagen, welche Zeit die Patienten für gewöhnlich bei Ihnen in der Klinik verbringen? Nehmen wir mal das Beispiel des Trierer Amokfahrers. Kann man da überhaupt eine Prognose geben oder ist das völlig offen?
GOLDBECK Ich werde zum Trierer Amokfahrer nichts sagen, weil ich über diesen konkreten Fall zu wenig weiß. Ich kann aber sagen, dass die durchschnittliche Behandlungszeit hier in der Klinik NetteGut knapp zehn Jahre beträgt. Die Zeit ist abhängig davon, wie gut der Patient Therapiefortschritte macht und wir so gemeinsam die Gefährlichkeit reduzieren.
Wenn ich Sie dann richtig verstehe gibt es durchaus auch Patienten, die länger als zehn Jahre da sind.
GOLDBECK Wir haben auch Patienten die sehr viel länger als zehn Jahre da sind. Ein Patient lebt schon
seit über 40 Jahren im Nette-Gut. Die Dauer der Unterbringung ist immer abhängig vom Therapiefortschritt und der Reduzierung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit.
Kann man generell etwas zum Thema Heilungschancen bei Patienten mit Wahnvorstellungen sagen
GOLDBECK Es hängt viel davon ab, wie chronisch diese Wahnvorstellungen sind, wie gut die Patienten mitarbeiten und wie gut Medikamente anschlagen. Wenn man sich Patienten mit Wahnvorstellungen anschaut, dann kann man sagen: Ein Drittel kann man wirklich sehr gut behandeln. Ein weiteres Drittel kann man so weit behandeln, dass die Patienten mit Unterstützung ein weitgehend unauffälliges Leben führen können. Aber bei einem Drittel bleiben die Wahnvorstellungen bestehen, egal, was man da therapeutisch auch macht.
Wie sind die Sicherheitsvorkehrungen
bei Ihnen in der Klinik? GOLDBECK Wir haben erhebliche Sicherungsmaßnahmen in der Klinik. Ich habe eben darauf hingewiesen, dass wir auch Gitter vor den Türen und Fenstern haben. Wir haben Notfallpläne für bestimmte Krisensituationen, und es gibt eine hohe Außensicherung.
Wie hoch ist die Rückfallquote bei Ihren Patienten?
GOLDBECK Es gibt eine Untersuchung aus Nordrhein-Westfalen. Danach ist etwa ein Drittel der Patienten, die aus forensischen Klinken entlassen worden ist, erneut mit Straftaten aufgefallen. Schwerwiegende Delikte, dazu gehören Gewalt- oder auch Sexualdelikte, werden von rund 13 Prozent der Entlassenen begangen. Damit ist die Rückfallquote deutlich niedriger als bei Entlassungen aus dem regulären Strafvollzug.