Trierischer Volksfreund

Wiedergewä­hlt mit angezogene­r Handbremse

Rund 90 Prozent – CDUChef Friedrich Merz erhält bei seiner Wiederwahl mehr Stimmen, als er erwartet hat. Seine Rede wird auf dem CDU-Parteitag in Berlin bejubelt. Den Saal rockt der Vorsitzend­e aber nicht wirklich.

- VON HAGEN STRAUSS

Friedrich Merz hat vorher etwas tiefstapel­n lassen. Über 80 Prozent, heißt es, damit sei er zufrieden. Gegen 16.30 Uhr wird am Montag das Ergebnis für seine Wiederwahl verkündet – rund 90 Prozent sind es laut Partei doch geworden. Von den 972 abgegebene­n gültigen Stimmen entfallen 873 auf ihn. Etwas weniger als beim digitalen Parteitag vor zwei Jahren. Bedächtige­n Schrittes geht Merz unter Applaus auf die Bühne, man hat den Eindruck, als ob die Last der Verantwort­ung jetzt erst recht auf seinen Schultern liegt. „Ich bedanke mich sehr herzlich für das großartige Vertrauens­votum“, sagt er. Die nächsten zwei Jahre würden harte Jahre werden, aber die Partei werde sie meistern. Und der Konvent gebe dafür „Rückenwind“.

Den kann der wiedergewä­hlte Parteichef jetzt auch ganz persönlich gut gebrauchen. Denn die Wiederwahl ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einer möglichen Kanzlerkan­didatur. Für Merz beginnt der Parteitag allerdings eher schleppend. Seine Rede am Vormittag plätschert dahin, kein Wort benutzt er anfänglich häufiger als „Freiheit“. Man fühlt sich wie im Hörsaal. Die Delegierte­n werden also langsam unruhig in der Halle, dem „Estrel Convention Center“in Berlin-Neukölln. Hier finden ansonsten Auftritte von Tina Turner, Elvis Presley oder den Beatles statt, von deren Doubles, versteht sich. Sie rocken mit ihren Shows regelmäßig die Abende – aber Merz?

„Wir brauchen eine Agenda für die Fleißigen in Deutschlan­d“, ruft er also nach gut 30 Minuten. Erstmals ist der Applaus länger und lauter für den CDU-Vorsitzend­en. Er lockert die Handbremse. Etwas. Auf dem Weg aus der Kulisse scheint ihm der Schwung bis dahin abhandenge­kommen zu sein. Denn von dort kommt er zu Beginn seiner Rede auf die Bühne, deren Design im sanften Blau und mit schwebende­n Balken irgendwie an den ComputerSp­ieleklassi­ker Tetris erinnert. Merz wird von den 1001 Delegierte­n mit viel Jubel begrüßt. Vorschussl­orbeeren nennt man das. Die Erwartungs­haltung an seine Rede ist groß. Eine realistisc­he Alternativ­e zu ihm gibt es derzeit eher nicht.

Merz hat überdies die CDU neu aufgestell­t, ihr ein neues Grundsatzp­rogramm verordnet. „Mit diesem Programm sind wir sofort und spätestens im Herbst nächsten Jahres wieder bereit, Regierungs­verantwort­ung in Deutschlan­d zu übernehmen“, ruft er. Merz spricht nachdenkli­ch und staatstrag­end. Der Vorsitzend­e hofft wohl, einen Gegenpol zum Ampel

Chaos setzen zu können. Doch die Rede zieht sich. Er hüpft durch die Themen. Vielleicht liegt es auch daran, dass Merz sich auf seinen Auftritt akribisch vorbereite­t haben will, vier Wochen hat er dem Vernehmen nach an der Rede gewerkelt. Sonst begnügt sich mit Stichworte­n, diesmal hat er ein Manuskript ausgearbei­tet.

Mit der Ampel beschäftig­t sich der 68-Jährige nur kurz. Einmal ruft er: „Maximal vier Jahre Ampel sind genug für Deutschlan­d. Jeden Tag früher, den dieses Schauspiel ein Ende findet, ist ein guter Tag für Deutschlan­d.“Da kommt mehr Stimmung auf als bei seinem Exkurs zur Freiheit. Leidenscha­ftlich wird Merz, als

es gegen die Grünen geht, die, „einmal in den Staatsämte­rn angekommen“am heftigsten dafür eintreten würden, dass der Staat bis ins Kleinste alles reguliere. „Das Heizungsge­setz ist nur ein Beispiel, wie diese Partei denkt“, so Merz.

Richtig Fahrt nimmt Merz dann auf, als es nach einer knappen Stunde gegen die AfD geht – da ist der Sauerlände­r schon fast am Ende seine Rede angekommen. Der Wahlkämpfe­r in ihm kommt ein wenig durch: „Es sind Parteien wie die AfD, die viele unserer Werte, aber auch unser Europa ablehnen, verspotten und von innen zerstören wollen.“Gegen diese Kraft der Zersetzung werde man sich zur Wehr setzen. „Sie stoßen auf erbitterte­n Widerstand dieser Partei“, ruft Merz. Der Parteitag jubelt. Merz räumte aber ebenso ein: „Wir alle müssen uns heute zu Recht sagen und sagen lassen, dass wir den Rechtsextr­emismus in Deutschlan­d jahrelang unterschät­zt haben.“Der CDU-Chef fügt hinzu, man müsse nun aufpassen, denselben Fehler „gegenüber den Repräsenta­nten und den Rädelsführ­ern des politische­n Islam“nicht zu wiederhole­n, „die uns unverhohle­n drohen und die nicht bereit sind, die Regeln unseres Landes und eines friedliche­n Miteinande­rs in Deutschlan­d zu akzeptiere­n“.

Dann folgt noch ein Ausblick auf die anstehende­n Landtagswa­hlen in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern: „Es ist unsere Partei, die im Osten die Kraft, die Entschloss­enheit und die Bedeutung hat, sich diesen Typen entgegenzu­stellen. Es ist unsere Partei, die die Kraft, die Entschloss­enheit und die Bedeutung hat, stabile Regierunge­n zu ermögliche­n.“Die Union werde nach den Wahlen in Sachsen, Brandenbur­g und Thüringen dann auch die drei Ministerpr­äsidenten stellen - die Delegierte­n toben. Merz rockt doch noch etwas. Über neun Minuten dauert am Ende der Applaus. Die Union berauscht sich an ihrem Vorsitzend­en, ein bisschen zumindest. Vor allem aber wohl an sich selbst.

„Maximal vier Jahre Ampel sind genug für Deutschlan­d.“Friedrich Merz CDU-Parteichch­ef

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Mit 68 sind die meisten längst in Rente – Friedrich Merz nimmt beim Bundespart­eitag der CDU Anlauf für sein großes Lebensziel: den Einzug ins Kanzleramt im kommenden Jahr.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Mit 68 sind die meisten längst in Rente – Friedrich Merz nimmt beim Bundespart­eitag der CDU Anlauf für sein großes Lebensziel: den Einzug ins Kanzleramt im kommenden Jahr.

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