Warum die AfD bei jungen Wählern punkten kann
Vor der Europawahl deuten Umfragen darauf hin, dass viele Erstwähler die AfD favorisieren – obwohl sie die EU- und Klimaschutzkritik der Partei nicht teilen.
Am 9. Juni sind 4,8 Millionen junge Menschen in Deutschland dazu aufgerufen, ihre Stimme bei der Europawahl abzugeben. Dank einer Gesetzesänderung dürfen zum ersten Mal auch die 16- und 17-Jährigen wählen. Viele Vorzüge der EU sind für sie selbstverständlich: Reisen ohne Grenzkontrollen, in 19 Mitgliedsstaaten mit dem Euro bezahlen oder Nachbarländer mit Erasmus-Austauschprogrammen kennenlernen. Dennoch tendieren immer mehr Jungwähler zur AfD – einer Partei, die eine radikale Abkehr von der EU propagiert.
Aus der neuen Studie „Jugend in Deutschland 2024“geht hervor, dass die Partei in der Generation der 14- bis 29-Jährigen immer mehr Zuspruch findet. Demnach würden 22 Prozent der Befragten die AfD wählen, wenn jetzt die Bundestagswahl anstünde. Der Sozial- und Bildungsforscher Klaus Hurrelmann, einer der Autoren der Studie, würde aus diesen Ergebnissen zwar nicht eins zu eins auf das Abstimmungsverhalten junger Menschen bei der Europawahl schließen. „Die Trends der Priorität für bestimmte Parteien, die wir in der Studie feststellen, werden aber als Momentum durchschlagen“, sagt Hurrelmann.
Er beobachtet, dass im bisherigen Wahlkampf die Interessen und Bedürfnisse junger Menschen „praktisch gar nicht“angesprochen würden. Dabei würden Studien zeigen, dass junge Leute direkt themenorientiert seien. „So könnte zum Beispiel die SPD in der jungen Generation damit punkten, dass sie glaubwürdig die Themen der wirtschaftlichen Sicherung, der beruflichen Ausbildung, der Verbesserung der Lage am Wohnungsmarkt und der Alterssicherung in den Vordergrund stellt, die gegenwärtig mit großem Geschick von der AfD besetzt werden“, so Hurrelmann.
Dass die AfD bei jungen Menschen auch deshalb so gut abschneidet, weil diese sich weniger als früher mit den etablierten Parteien identifizieren, weiß die Trierer Politikwissenschaftlerin Anna-Sophie Heinze. „Die AfD inszeniert sich gewissermaßen als ‚Bad Cop` unter den Parteien – sie provoziert und stellt sich selbst als einzig wahre Opposition dar“, sagt Heinze.
Mittlerweile scheint es der AfD gelungen zu sein, sich jungen Menschen als Problemlöser für Europa zu präsentieren. Darauf lässt eine repräsentative Umfrage schließen, die das Meinungsforschungsinstitut USUMA im Auftrag der KonradAdenauer-Stiftung (KAS) von Juni bis September 2023 durchgeführt hat. Auf die Frage, welche Partei am ehesten geeignet sei, die Probleme in Europa zu lösen, nannten 14 Prozent der Befragten im Alter von 16 bis 22 Jahren die AfD. Damit belegt die Partei in dieser Altersgruppe gemeinsam mit der SPD den ersten Platz. Junge Menschen sind laut der KAS-Umfrage aber besonders EU-freundlich und wünschen sich ein starkes Engagement der EU beim Klimaschutz. Das steht im klaren Widerspruch zur AfD, die die EU kategorisch ablehnt. Und nicht nur das: In ihrem Programm zur Europawahl kritisiert die Partei die europapolitischen Maßnahmen gegen den Klimawandel, spricht von „Klimawahn“und „CO2-Hysterie“.
Wie lässt sich der Widerspruch erklären? Anna-Sophie Heinze gibt zu bedenken, dass Wahlentscheidungen nicht immer rational getroffen werden: „Menschen wählen nicht immer diejenige Partei, die ihre eigenen Interessen am ehesten vertreten würde.“Manchmal würden Wählerinnen und Wähler die genauen Parteipositionen in einzelnen Themenfeldern nicht einmal kennen, so Heinze.