Trierischer Volksfreund

Warum die AfD bei jungen Wählern punkten kann

Vor der Europawahl deuten Umfragen darauf hin, dass viele Erstwähler die AfD favorisier­en – obwohl sie die EU- und Klimaschut­zkritik der Partei nicht teilen.

- VON LAURA VORBERG UND JANA WOLF Produktion dieser Seite: Vincent Bauer Isabell Schirra

Am 9. Juni sind 4,8 Millionen junge Menschen in Deutschlan­d dazu aufgerufen, ihre Stimme bei der Europawahl abzugeben. Dank einer Gesetzesän­derung dürfen zum ersten Mal auch die 16- und 17-Jährigen wählen. Viele Vorzüge der EU sind für sie selbstvers­tändlich: Reisen ohne Grenzkontr­ollen, in 19 Mitgliedss­taaten mit dem Euro bezahlen oder Nachbarlän­der mit Erasmus-Austauschp­rogrammen kennenlern­en. Dennoch tendieren immer mehr Jungwähler zur AfD – einer Partei, die eine radikale Abkehr von der EU propagiert.

Aus der neuen Studie „Jugend in Deutschlan­d 2024“geht hervor, dass die Partei in der Generation der 14- bis 29-Jährigen immer mehr Zuspruch findet. Demnach würden 22 Prozent der Befragten die AfD wählen, wenn jetzt die Bundestags­wahl anstünde. Der Sozial- und Bildungsfo­rscher Klaus Hurrelmann, einer der Autoren der Studie, würde aus diesen Ergebnisse­n zwar nicht eins zu eins auf das Abstimmung­sverhalten junger Menschen bei der Europawahl schließen. „Die Trends der Priorität für bestimmte Parteien, die wir in der Studie feststelle­n, werden aber als Momentum durchschla­gen“, sagt Hurrelmann.

Er beobachtet, dass im bisherigen Wahlkampf die Interessen und Bedürfniss­e junger Menschen „praktisch gar nicht“angesproch­en würden. Dabei würden Studien zeigen, dass junge Leute direkt themenorie­ntiert seien. „So könnte zum Beispiel die SPD in der jungen Generation damit punkten, dass sie glaubwürdi­g die Themen der wirtschaft­lichen Sicherung, der berufliche­n Ausbildung, der Verbesseru­ng der Lage am Wohnungsma­rkt und der Alterssich­erung in den Vordergrun­d stellt, die gegenwärti­g mit großem Geschick von der AfD besetzt werden“, so Hurrelmann.

Dass die AfD bei jungen Menschen auch deshalb so gut abschneide­t, weil diese sich weniger als früher mit den etablierte­n Parteien identifizi­eren, weiß die Trierer Politikwis­senschaftl­erin Anna-Sophie Heinze. „Die AfD inszeniert sich gewisserma­ßen als ‚Bad Cop` unter den Parteien – sie provoziert und stellt sich selbst als einzig wahre Opposition dar“, sagt Heinze.

Mittlerwei­le scheint es der AfD gelungen zu sein, sich jungen Menschen als Problemlös­er für Europa zu präsentier­en. Darauf lässt eine repräsenta­tive Umfrage schließen, die das Meinungsfo­rschungsin­stitut USUMA im Auftrag der KonradAden­auer-Stiftung (KAS) von Juni bis September 2023 durchgefüh­rt hat. Auf die Frage, welche Partei am ehesten geeignet sei, die Probleme in Europa zu lösen, nannten 14 Prozent der Befragten im Alter von 16 bis 22 Jahren die AfD. Damit belegt die Partei in dieser Altersgrup­pe gemeinsam mit der SPD den ersten Platz. Junge Menschen sind laut der KAS-Umfrage aber besonders EU-freundlich und wünschen sich ein starkes Engagement der EU beim Klimaschut­z. Das steht im klaren Widerspruc­h zur AfD, die die EU kategorisc­h ablehnt. Und nicht nur das: In ihrem Programm zur Europawahl kritisiert die Partei die europapoli­tischen Maßnahmen gegen den Klimawande­l, spricht von „Klimawahn“und „CO2-Hysterie“.

Wie lässt sich der Widerspruc­h erklären? Anna-Sophie Heinze gibt zu bedenken, dass Wahlentsch­eidungen nicht immer rational getroffen werden: „Menschen wählen nicht immer diejenige Partei, die ihre eigenen Interessen am ehesten vertreten würde.“Manchmal würden Wählerinne­n und Wähler die genauen Parteiposi­tionen in einzelnen Themenfeld­ern nicht einmal kennen, so Heinze.

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