Israel beginnt vor Militäreinsatz mit Evakuierung von Rafah
Seit Monaten hat Israel Pläne für eine Offensive in der Stadt an Gazas Grenze zu Ägypten. Trotz vieler Warnungen läuft der Einsatz nun offenbar an.
(dpa) Nach monatelangen Ankündigungen hat Israel am Montag mit entscheidenden Vorbereitungen für den Militäreinsatz in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen begonnen. Das Militär rief rund 100 000 Einwohner des östlichen Teils der Stadt an der Grenze zu Ägypten dazu auf, sich in das einige Kilometer nördlich gelegene Al-Mawasi-Lager zu begeben. Sie wurden demnach per SMS, Telefon sowie mit Flugblättern und über arabischsprachige Medien informiert. Nach Augenzeugenberichten begaben sich viele Menschen rasch auf die Flucht, während sie ihre Habseligkeiten unter anderem mit Eselskarren transportierten.
Indirekte Verhandlungen Israels mit der islamistischen Hamas in Kairo über eine neue Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung von Geiseln im Gegenzug für palästinensische Häftlinge waren zuvor ohne Ergebnis geblieben. Der israelische
Verteidigungsminister Joav Galant sagte nach Angaben seines Büros bei einem Telefonat mit seinem USAmtskollegen Lloyd Austin, die Hamas habe bei den Gesprächen alle Vorschläge abgelehnt. Daher sei eine Militäraktion in Rafah jetzt notwendig und ohne Alternative. Die Islamisten beharren auf einem Abkommen, in dem sich Israel von vornherein zur Beendigung des Krieges und zum vollständigen Abzug seiner Truppen aus dem Gazastreifen verpflichtet.
Israel lehnt aber eine derartige Verpflichtung ab und möchte sich weitere militärische Handlungsmöglichkeiten vorbehalten. Der israelische Ministerpräsident Benjamin
Netanjahu hatte zuletzt mehrere Erklärungen abgegeben, in denen er sich kompromisslos zeigte. So sagte er, Israel werde selbst dann Rafah angreifen, wenn ein Geisel-Deal zustande käme.
Die Bundesregierung bekräftigte am Montag Warnungen vor den Folgen eines großen Militäreinsatzes in Rafah. In dem Gebiet hielten sich mehr als eine Million Menschen auf, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Montag in Berlin. Sie forderte: „Diese Menschen brauchen Schutz. Sie brauchen natürlich humanitäre Unterstützung. Und die Bundesregierung und auch die Außenministerin haben bereits in Vergangenheit wiederholt gesagt, dass eine großangelegte Bodenoffensive auf Rafah eine humanitäre Katastrophe wäre, und zwar eine humanitäre Katastrophe mit Ansage.“
Zugleich verurteilte die Sprecherin fortgesetzte Angriffe der Hamas auf Israel aus dem Gazastreifen. Mitglieder des militärischen Hamas-Arms hatten am Sonntag Raketen auf den israelischen Grenzübergang Kerem
Schalom, der sich nicht weit von Rafah entfernt befindet, gefeuert und dabei vier israelische Soldaten getötet. Kerem Schalom, wichtigster Grenzübergang für die Lieferung von Hilfsgütern aus Israel in den Gazastreifen, wurde daraufhin vorerst geschlossen.
Die Sprecherin forderte auch, laufende und schwierige Verhandlungen nicht zu gefährden. „Gleichzeitig erleben wir eine Situation, wo weit über 100 Menschen in Gefangenschaft, in Geiselhaft der Hamas sind, die befreit werden müssen“, sagte sie. Alle Seiten müssten nun „maximale Anstrengungen“unternehmen.
Israel will mit dem Militäreinsatz in Rafah die verbliebenen Bataillone der islamistischen Terrororganisation Hamas zerschlagen, die sie seit Oktober in dem Küstenstreifen bekämpft. Es werden die Hamas-Führung und auch Geiseln in der Stadt an der Grenze zu Ägypten vermutet. Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als 1200 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober in
Israel verübt hatten. Ein israelischer Militärsprecher erklärte, es handele sich um einen „begrenzten Einsatz“. Die Menschen sollten sich in eine „erweiterte humanitäre Zone“im Bereich Al-Mawasi begeben. Dort gebe es Nahrungsmittel, Wasser und Medikamente. Die Armee ermögliche dort auch die Einrichtung von Feldkrankenhäusern.
Der Sprecher betonte, die Versorgung der Bevölkerung mit humanitären Hilfsgütern werde während des Räumungseinsatzes ungehindert weitergehen. Man könnte diese über verschiedene Routen in den Küstenstreifen bringen, etwa über den Hafen in Aschdod.
Der Militärsprecher sagte, Israel habe mit dem Hamas-Raketenangriff am Vortag eine „gewaltsame Erinnerung an die Präsenz und die operationalen Fähigkeiten der Hamas in Rafah erhalten“. Das Militär bombardierte nach eigenen Angaben im Anschluss den Ort in der Nähe des Grenzübergangs Rafah zu Ägypten, von dem der Angriff ausgegangen war.