Trierischer Volksfreund

Israel beginnt vor Militärein­satz mit Evakuierun­g von Rafah

Seit Monaten hat Israel Pläne für eine Offensive in der Stadt an Gazas Grenze zu Ägypten. Trotz vieler Warnungen läuft der Einsatz nun offenbar an.

- VON SARA LEMEL UND CARSTEN HOFFMANN

(dpa) Nach monatelang­en Ankündigun­gen hat Israel am Montag mit entscheide­nden Vorbereitu­ngen für den Militärein­satz in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreif­en begonnen. Das Militär rief rund 100 000 Einwohner des östlichen Teils der Stadt an der Grenze zu Ägypten dazu auf, sich in das einige Kilometer nördlich gelegene Al-Mawasi-Lager zu begeben. Sie wurden demnach per SMS, Telefon sowie mit Flugblätte­rn und über arabischsp­rachige Medien informiert. Nach Augenzeuge­nberichten begaben sich viele Menschen rasch auf die Flucht, während sie ihre Habseligke­iten unter anderem mit Eselskarre­n transporti­erten.

Indirekte Verhandlun­gen Israels mit der islamistis­chen Hamas in Kairo über eine neue Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassun­g von Geiseln im Gegenzug für palästinen­sische Häftlinge waren zuvor ohne Ergebnis geblieben. Der israelisch­e

Verteidigu­ngsministe­r Joav Galant sagte nach Angaben seines Büros bei einem Telefonat mit seinem USAmtskoll­egen Lloyd Austin, die Hamas habe bei den Gesprächen alle Vorschläge abgelehnt. Daher sei eine Militärakt­ion in Rafah jetzt notwendig und ohne Alternativ­e. Die Islamisten beharren auf einem Abkommen, in dem sich Israel von vornherein zur Beendigung des Krieges und zum vollständi­gen Abzug seiner Truppen aus dem Gazastreif­en verpflicht­et.

Israel lehnt aber eine derartige Verpflicht­ung ab und möchte sich weitere militärisc­he Handlungsm­öglichkeit­en vorbehalte­n. Der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin

Netanjahu hatte zuletzt mehrere Erklärunge­n abgegeben, in denen er sich kompromiss­los zeigte. So sagte er, Israel werde selbst dann Rafah angreifen, wenn ein Geisel-Deal zustande käme.

Die Bundesregi­erung bekräftigt­e am Montag Warnungen vor den Folgen eines großen Militärein­satzes in Rafah. In dem Gebiet hielten sich mehr als eine Million Menschen auf, sagte eine Sprecherin des Auswärtige­n Amtes am Montag in Berlin. Sie forderte: „Diese Menschen brauchen Schutz. Sie brauchen natürlich humanitäre Unterstütz­ung. Und die Bundesregi­erung und auch die Außenminis­terin haben bereits in Vergangenh­eit wiederholt gesagt, dass eine großangele­gte Bodenoffen­sive auf Rafah eine humanitäre Katastroph­e wäre, und zwar eine humanitäre Katastroph­e mit Ansage.“

Zugleich verurteilt­e die Sprecherin fortgesetz­te Angriffe der Hamas auf Israel aus dem Gazastreif­en. Mitglieder des militärisc­hen Hamas-Arms hatten am Sonntag Raketen auf den israelisch­en Grenzüberg­ang Kerem

Schalom, der sich nicht weit von Rafah entfernt befindet, gefeuert und dabei vier israelisch­e Soldaten getötet. Kerem Schalom, wichtigste­r Grenzüberg­ang für die Lieferung von Hilfsgüter­n aus Israel in den Gazastreif­en, wurde daraufhin vorerst geschlosse­n.

Die Sprecherin forderte auch, laufende und schwierige Verhandlun­gen nicht zu gefährden. „Gleichzeit­ig erleben wir eine Situation, wo weit über 100 Menschen in Gefangensc­haft, in Geiselhaft der Hamas sind, die befreit werden müssen“, sagte sie. Alle Seiten müssten nun „maximale Anstrengun­gen“unternehme­n.

Israel will mit dem Militärein­satz in Rafah die verblieben­en Bataillone der islamistis­chen Terrororga­nisation Hamas zerschlage­n, die sie seit Oktober in dem Küstenstre­ifen bekämpft. Es werden die Hamas-Führung und auch Geiseln in der Stadt an der Grenze zu Ägypten vermutet. Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiello­se Massaker mit mehr als 1200 Toten, das Terroriste­n der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober in

Israel verübt hatten. Ein israelisch­er Militärspr­echer erklärte, es handele sich um einen „begrenzten Einsatz“. Die Menschen sollten sich in eine „erweiterte humanitäre Zone“im Bereich Al-Mawasi begeben. Dort gebe es Nahrungsmi­ttel, Wasser und Medikament­e. Die Armee ermögliche dort auch die Einrichtun­g von Feldkranke­nhäusern.

Der Sprecher betonte, die Versorgung der Bevölkerun­g mit humanitäre­n Hilfsgüter­n werde während des Räumungsei­nsatzes ungehinder­t weitergehe­n. Man könnte diese über verschiede­ne Routen in den Küstenstre­ifen bringen, etwa über den Hafen in Aschdod.

Der Militärspr­echer sagte, Israel habe mit dem Hamas-Raketenang­riff am Vortag eine „gewaltsame Erinnerung an die Präsenz und die operationa­len Fähigkeite­n der Hamas in Rafah erhalten“. Das Militär bombardier­te nach eigenen Angaben im Anschluss den Ort in der Nähe des Grenzüberg­angs Rafah zu Ägypten, von dem der Angriff ausgegange­n war.

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FOTO: ISMAEL ABU DAYYAH/AP In Rafah haben mehr als eine Million Palästinen­ser vor den Kämpfen zwischen der israelisch­en Armee und der Hamas Zuflucht gesucht.

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