Der Haken beim Angeln
Millionen Deutsche fischen in ihrer Freizeit – Tier- und Naturschützer aber kritisieren das Hobby, manche wollen es ganz verbieten
Die Gaststube im Wirtshaus am Haslachweiher bei Aulendorf (Kreis Ravensburg) ist rustikal und einladend möbliert. Irritierend wirken nur die fehlenden Hinweise auf die eigentliche Bedeutung des Ortes, die das Auge lange suchen muss: Ganz hinten, fast versteckt in einem Fensterrahmen hängen zwei präparierte Fischköpfe; der eine vom Hecht, der andere vom Karpfen. Die brüchige und eingefallene Haut der Schuppentiere zeugt davon, dass sie wohl vor vielen Jahren das letzte Mal Wasser sahen. Das muss gewesen sein, als es noch „Sportfi scher verein Aulen dorf“hieß und nicht wie heute „Fischer- und Naturschutz verein Aulendorf“. Dem Zusatz Naturschutz ist es vermutlich geschuldet, dass hier im Vereinsheim keine Pokale glänzen, keine Urkunden von Bestleistungen künden und auch keine Fotos von Anglern mit Fischen Heldentaten belegen.
„Pokal- oder Königsfischen – das machen wir schon lange nicht mehr“, bestätigt Wolfgang Kaiser, Vorsitzender des Vereins. Der 60-Jährige kennt noch die Zeiten, als Angler ihrem Hobby fast unbemerkt von der Gesellschaft nachgingen, sie galten als etwas schrullige, aber friedfertige Typen. Das ist lange her, die Vereine stehen heute unter strenger Beobachtung der Behörden, Natur- und Artenschutz machen Druck, verbunden mit teils schwerwiegenden Vorwürfen, Angler würden Pflanzenwelt und Gewässern erheblichen Schaden zufügen. Auch ist die Rede von Tierquälerei. Radikale Organisationen wie Peta fordern in polemischer Rhetorik („Haben Angler kurze Ruten?“oder „Dein Papa tötet Tiere“) sogar das totale Verbot des Angelns und zeigen die Hobbyfischer reihenweise an. Um dasein st harmlose und in Abgeschiedenheit ausgeübte Freizeitvergnüge niste in ideologisch geführter Kulturkampf entbrannt. „Das Angeln hat sich stark verändert“, bestätigt Wolfgang Kaiser, „und ich mache mir Gedanken, wie es weitergeht.“
Mag sich das Hobby wandeln, unverändert ist seine von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Beliebtheit. Experten gehen von seit Jahren stabil mehr als drei Millionen Anglern in Deutschland aus. Aus dieser Masse ist ein Markt entstanden mit rund fünf Milliarden Euro Umsatz im Jahr für Ruten, Rollen und elektronische Bissanzeiger, an dem nach einer Studie vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin 52 000 Jobs hängen. Das schafft wirtschaftliche Bedeutung und Lobby. Doch wo ein Massenmarkt, da auch massenweise Fischfang. Freizeitangler ziehen jährlich 45 000 Tonnen Fisch aus Flüssen und Seen, deutlich mehr als die professionellen Binnenfischer. „Der Mensch ist eine Raupe Nimmersatt ohne Verstand“, sagt dazu Hilmar Grzesiak, Referent für Naturund Artenschutz beim Nabu, der die scharfe Befischung von Gewässern durch Hobbyangler kritisiert. Und nicht nur das: „Manche Angler werfen mehr Anlockfutter in ein Gewässer, als sie Fisch rausholen. Da geht die Sinnhaftigkeit völlig verloren.“Was zudem schädliche Folgen nach sich ziehen kann, weil große Mengen Anlockfutter zu Nährstoffbelastungen der Gewässer führen können mit Algenblüte und Sauerstoffmangel.
Von einzelnen Anglern oder Gruppierungen lässt sich aber nicht pauschal auf die organisierte Fischerei schließen, im Gegenteil: „Die meisten Gewässer in Deutschland werden von den Angelvereinen und -verbänden erst in Schuss gehalten“, sagt Fischerei-Professor Robert Arlinghaus, der am Leibniz-Institut forscht, zur „Schwäbischen Zeitung“.
Der Fischerei- und Naturschutzverein Aulendorf steht dafür stellvertretend. Die Vereinsmitglieder kontrollieren laufend die Wasserqualität, stellen Amphibienzäune auf, schaffen Nistplätze für Fledermäuse und Vögel, auf einer Anhöhe stehen Bienenkästen und die Pflege von Gewässer- und Uferfauna sowie Fischbesatz gehört ohnehin zur Pflicht. „Ohne uns Angler würde es den Gewässern deutlich schlechter gehen“, betont Wolfgang Kaiser. Der Vereinsvorsitzende weiß aber auch um Entwicklungen, die sich mit dem Image des Naturschützers nicht decken: „Wenn ich die ganzen Handyaufnahmen der Angler im Internet sehe, kriege ich zu viel.“ Inflationäre Selbstdarstellung Das Abbild des Anglers mit seinem kapitalen Fang gehörte schon immer zur persönlichen Legendenbildung, verbunden mit der heroischen Geschichte über den Wettstreit des Menschen mit der Natur. Seit digitaler Fotografie und Internet ist aus Mythenbildung aber inflationäre Selbstdarstellung geworden, die gerade in Zeiten ökologischer und ethischer Sensibilität Empörung hervorruft. In der Kritik steht der „Trophäenangler“. Oder wie es Nabu-Experte Grzesiak formuliert: „Unser Problem ist der ,Spaßangler’.“Jener Angler, der grundsätzlich nach dem Prinzip „Catch & Release“(Fangen & Freilassen) handelt. Das Szenario dahinter sieht so aus: Der Angler, oft mit monströser Technologie am Ufer, zieht einen kapitalen Fisch raus und setzt diesen nach dem Trophäenfoto wieder ins Gewässer. Derweil hat der Fisch aus Sicht der Tierschützer Höllenqualen erlitten und verendet womöglich. Das Tierschutzgesetz aber untersagt, Fische ohne „vernünftigen Grund“zu töten und ihnen „Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen“(§ 1 Tierschutzgesetz).
Auch an dieser Stelle lohnt der differenzierte Blick. „,Catch & Release ist nicht per se verboten“, sagt „Angelprofessor“(„Der Spiegel“) Arlinghaus, „verboten ist lediglich das Angeln ohne vernünftigen Grund.“Fischereischein und Angelkarte vorausgesetzt, ist der Fischfang zum eigenen Verzehr ein vernünftiger Grund. Es gibt aber auch vernünftige Gründe, die Fische wieder auszusetzen: in Schonzeiten, bei Schonmaßen und auch bei Großfischen, die oft eine hohe Fruchtbarkeit besitzen. Wolfgang Kaiser aus Aulendorf formuliert es so: „Einen schönen, 30 Jahre alten Karpfen kann ich gar nicht verwerten, den setze ich behutsam zurück. Wenn ich ihn von Anfang an aber nur für das Foto fange und ihn wieder aussetze, damit ein anderer ihn erneut fangen kann, verstoße ich gegen den Tierschutz. Es ist eine Gratwanderung.“
Die gute Nachricht: Den vielen Trophäenfotos im Internet zum Trotz zeigen Untersuchungen; nur eine Minderheit von bis zu fünf Prozent der Angler setzt alle Fische, die sie fängt, wieder zurück. Und auch dann geht es den Fischen besser, als hinlänglich angenommen: Studien, unter anderem vom Leibnitz-Institut, belegen, dass von den abgehakten Karpfen, Hechten, Forellen und Aalen, die zurückgesetzt wurden, nahezu alle überlebten und auch keine auffallenden Symptome aufwiesen. Appell für Nachhaltigkeit Insofern entsteht der Eindruck einer Debatte, die sich stellenweise weniger an Fakten und Forschung orientiert, sondern ideologisch geprägt ist. Die das Verhalten des Anglers vor allem ethisch beurteilt, die ihm einerseits eine archaische, also aus der Zeit gefallene, andererseits eine widernatürliche (siehe Trophäenfotos) Haltung zuschreibt und unterstellt. „Wir brauchen ein vernünftiges Mittelmaß“, sagt Nabu-Mann Grzesiak, der für eine Versachlichung der Diskussion eintritt und das Angeln auch nicht verbieten will.
Der Nabu appelliere vielmehr an Fischereiverbände und -vereine, sich weiterhin für Natur- und Artenschutz zu engagieren. Und an die Angler, „ihr Hobby sinnvoll und nachhaltig auszuüben“.
Wird das Angeln in dieser Weise gehandhabt, sieht Robert Arlinghaus einen Mehrwert: „Wir haben in der Gesellschaft immer wieder die Diskussion, dass die meisten nicht mehr wissen, woher die Nahrungsmittel kommen, das Fleisch nur noch abgepackt im Kühlregal wahrgenommen wird.“Ganz anders sei dies beim Angeln: „Hier wird der Mensch eins mit der Natur und man fängt und entnimmt natürlich aufgewachsene Fische.“Der Angler könne sich sozusagen der Massentierhaltung entsagen und habe den Tötungsvorgang selbst in der Hand. „Das ist alles andere als archaisch, das ist eine wesentliche Erfahrung, wie überdies das Angeln insgesamt eine sehr reiche Naturerfahrung ist.“
Über Natur und spiegelglatter Wasseroberfläche des Haslachweihers haben sich an diesem Abend zeitgleich Nebel und Dunkelheit gelegt. Wolfgang Kaiser zieht die Stirn in Falten, den Worten des Angelprofessors würde er wohl zustimmen. Auch wenn Kaiser noch eine andere Motivationslage für sein Hobby kennt: „Ich mache das wegen der Vereinsarbeit.“Wegen den Menschen, den Freundschaften, wegen der gemeinsamen Arbeit an einem Projekt, im Verbund mit Tier und Natur. Angeln aber, das war er schon lange nicht mehr.