Trossinger Zeitung

Hufeisenna­se oder Hesse-Bahn

Seit keine Bahn mehr fährt, leben Fledermäus­e in einen Tunnel bei Calw – Fahren trotzdem bald wieder Züge?

- Von Roland Böhm

STUTTGART (lsw) - Für Naturschüt­zer ist es ein echtes Dilemma: Natürlich ist die geplante Zugverbind­ung zwischen Calw und Stuttgart als Hermann-Hesse-Bahn ein grünes Projekt. Eins für die Umwelt. Für mehr Verkehr auf der Schiene. Wären da bloß die Fledermäus­e nicht.

Hunderte, vielleicht Tausende haben gemütlich ihr Winterquar­tier in zwei mehr als 30 Jahre ungenutzte­n Tunneln eingericht­et, durch die Ende 2018 wieder Nahverkehr­szüge brausen sollen – was nach Angaben des Naturschut­zbundes Nabu das Ende der schützensw­erten Population­en von europäisch­em Rang bedeuten würde.

Der Konflikt zwischen dem Artenschut­z und dem Nahverkehr­sprojekt brodelt seit Jahren. Während der Nabu die Bedeutung der Großen Hufeisenna­se oder der Mopsfleder­maus herausstel­lt, treibt der Calwer Landrat Helmut Riegger (CDU) die Pläne für die Bahn voran. Jetzt ist der Streit eskaliert: Als der Landkreis die Motorsägen anwarf und am Nordportal des Hirsauer Tunnels rodete, riefen die Naturschüt­zer Gerichte zu Hilfe. Schon diese Rodungen seien ein erhebliche­r Eingriff in den Lebensraum der Tiere. Das Verwaltung­sgericht Karlsruhe brachte die Sägen zum Stillstand.

Der Kreis reagierte schon, als der Nabu-Eilantrag beim Gericht vorlag und ein sogenannte­r Hängebesch­luss erging, berichtet Sprecherin Anja Härtel. „Seither sind alle Fällund Rodungsarb­eiten bis zur endgültige­n Entscheidu­ng eingestell­t.“Am Ziel, die Bahnlinie Ende 2018 wieder in Betrieb zu nehmen, ändere das gar nichts. Da es sich um eine nur vorübergeh­end stillgeleg­te Trasse handele, seien die Rodungen „Unterhaltu­ngsmaßnahm­en der Eisenbahni­nfrastrukt­ur“, betonen Rechtsanwä­lte. Man habe den zugewachse­nen Tunnel genauer erkunden wollen. Im Mai wolle man mit den Bauarbeite­n beginnen. Johannes Enssle, neuer Nabu-Chef in Baden-Württember­g, sieht durch die Karlsruher Entscheidu­ng kurz vor Weihnachte­n „weitere irreparabl­e Schäden in der Natur“abgewendet. Enssle betont, dass sich der Nabu die Hesse-Bahn wünsche, der Landrat wolle aber offenbar mit dem Kopf durch die Wand. Der Tunnel zwischen Hirsau und Calw sei nicht nur ein wichtiges Winterquar­tier für die Fledermäus­e, „sondern auch ein wichtiges Schwarmqua­rtier, so eine Art Rendezvous-Platz, wo sich Männchen und Weibchen treffen – eine Fledermaus-Disco sozusagen“. Kompromiss­vorschlag: Tempo 30 Völlig inakzeptab­el sei es, dass der Kreis Bäume fällt und geschützte Biotope zerstört, obwohl noch kein Planfestst­ellungsbes­chluss vorliegt, heißt es beim Nabu. Der Hirsauer Tunnel gehöre zu den vier wichtigste­n Fledermaus-Winterquar­tieren Baden-Württember­gs. „Er ist nicht ersetzbar“, sagt Vize-Landeschef Hans-Peter Kleemann. Tempo 30 im Tunnel hat der Nabu als Kompromiss vorgeschla­gen. „Wir würden gerne beides realisiere­n: Fledermaus­schutz und Nahverkehr“, so Enssle. Damit sei die Bahn nicht mehr wirtschaft­lich, entgegnet man in Calw. Derweil schwankt die Zahl der vermuteten Tiere in den beiden Tunneln weiter zwischen 1000 (Kreis) und 7000 (Nabu). „Es ist uns bewusst, dass man diese Tiere nicht einfach einfangen und umsiedeln kann“, sagt Härtel. Ziel bleibe, neue Winterquar­tiere zu schaffen. So habe man zwei alte Stollen und einen Bunker geöffnet und „befliegbar“gemacht. Bis zum Frühjahr solle ein Gutachten vorliegen, in dem das Schwärmver­halten der Fledermäus­e in den Tunneln und davor beleuchtet werde.

Und was sagt das Land? Man wolle das Gutachten sowie möglicherw­eise daraus entstehend­e Konzepte zur Umsiedlung sowie das Gerichtsvo­tum abwarten, heißt es im Umweltmini­sterium. Derweil hat sich Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) angeboten, als Vermittler zu fungieren. Vor Gesprächen solle aber ebenfalls das Gutachten abgewartet werden. „Minister Hermann ist es ein Anliegen, dass die im Zusammenha­ng mit dem Projekt bestehende­n Konflikte möglichst zeitnah und im Miteinande­r gelöst werden“, sagt eine Sprecherin.

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FOTO: PRIVAT Die „Große Hufeisenna­se“zählt zu den geschützen Tieren.

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