Zum Abschied eine Mahnung
In seiner letzten Rede als Präsident hält Barack Obama ein flammendes Plädoyer für die Zivilgesellschaft
WASHINGTON - Noch einmal schlägt die Hand in so typischer Weise von der Seite gegen das Rednerpult. Ein sicheres Zeichen: Barack Obamas Rede ist zu Ende. Es war seine letzte Ansprache als 44. Präsident der Vereinigten Staaten, ein letztes Mal wandte er sich an diesem Dienstagabend von Chicago aus mit einem flammenden Appell für Demokratie und Zusammenhalt an die Amerikaner. Obama geht in den Ruhestand.
Den wichtigsten Adressaten seiner Rede erwähnt Barack Obama nur ein einziges Mal. Dabei ist eigentlich alles, was er bei seinem letzten großen Auftritt im Amt zu sagen hat, auf Donald Trump gemünzt. Der scheidende US-Präsident gibt seinem Nachfolger eine Lektion mit auf den Weg, stilvolle Ermahnungen in Sachen Demokratie.
Zunächst nimmt er ihn demonstrativ in Schutz, als er von der in zehn Tagen anstehenden Inauguration spricht, einem „Markenzeichen unserer Demokratie“. Buhrufe schallen durch die McCormick-Arena in Chicago, und Obama muss zur Ordnung rufen. „Nein, nein, nein“, hält er dagegen und rühmt den friedlichen Übergang der Macht, wie er die Republik seit ihrer Gründung auszeichne. Was folgt, ist eine Mahnrede. So optimistisch Obama sonst meistens klingt, nach acht Jahren im Oval Office beschreibt er die politische Spaltung der Vereinigten Staaten mit deutlichen Sätzen.
„Du wirst einen Menschen nie wirklich verstehen, bis du die Dinge einmal von seinem Standpunkt aus betrachtest, bis du in seine Haut schlüpfst und in ihr herumläufst“, zitiert er den Romanhelden Atticus Finch aus dem Buch „Wer die Nachtigall stört“von Harper Lee. Die gesellschaftlichen Bindekräfte würden geschwächt, fügt er an, „wenn wir einige von uns amerikanischer als andere nennen, wenn wir das ganze System als unheilbar korrupt abschreiben, und wenn wir den Politikern, die wir wählen, die Schuld geben, ohne dabei in Rechnung zu stellen, dass wir es sind, die sie wählen“. Wer keine Lust mehr habe, mit Fremden im Internet zu streiten, der möge versuchen, im realen Leben mit einem Fremden zu reden. Wem sein Abgeordneter nicht gefalle, der möge ein paar Unterschriften sammeln und sich selbst um ein öffentliches Amt bewerben.
Demokratie verlange ein Mindestmaß an Solidarität, betont der 55-Jährige. In der US-Geschichte aber habe es immer wieder Momente gegeben, in denen das Band der Solidarität zu reißen drohe. Jetzt erlebe man erneut einen solchen Moment: Wachsende soziale Ungleichheit, demografischer Wandel und das Schreckgespenst des Terrors, „diese Kräfte haben nicht nur unsere Sicherheit und unseren Wohlstand auf die Probe gestellt, sondern auch unsere Demokratie“.
Die aber könne auf Dauer nicht funktionieren, ohne dass ein jeder das Gefühl habe, wirtschaftlich etwas erreichen zu können. Sie korrodiere, wenn die Ungleichheit allzu krass werde, wenn das eine Prozent der Reichsten sich einen immer größeren Teil des Wohlstands aneigne, während zu viele Benachteiligte abgehängt würden, sagt er und klingt wie Bernie Sanders, der linke Wahlkampfrivale Hillary Clintons. Wenn jedes ökonomische Problem als Kampf zwischen hart arbeitenden weißen Mittelschichten und unwürdigen Minderheiten dargestellt werde, sagt er, auf Trumps populistische Parolen anspielend, „dann streiten sich Arbeiter aller Hautschattierungen am Ende nur noch um die Krümel, während sich die Wohlhabenden immer weiter in ihren privaten Enklaven einigeln“.
Vehement spricht sich Obama dagegen aus, Muslime allein ihres Glaubens wegen zu diskriminieren oder den Kindern lateinamerikanischer Immigranten die nötigen Bildungsinvestitionen zu verweigern.